Brief der schweizerischen Delegation
Washington, D.C., den 25. Mai 1946
An die Chefs der Alliierten Delegationen
Washington, D.C.
Sehr geehrte Herren,
Im Verlaufe der heute zu Ende gegangenen Verhandlungen haben die Alliierten Regierungen, unter voller Anerkennung der schweizerischen Souveränität, ihren Rechtsanspruch auf die deutschen Werte in der Schweiz geltend gemacht, wobei sie sich auf die Kapitulation Deutschlands und die von ihnen ausgeübte oberste Staatsgewalt in diesem Lande stützten; ausserdem haben sie die Rückerstattung des Goldes verlangt, das nach ihren Angaben durch Deutschland den besetzten Ländern während des Krieges gegen alles Recht weggenommen und nach der Schweiz geschafft worden sein soll.
Die Schweizerische Regierung erklärte, sie könne zwar eine Rechtsgrundlage für diese Forderungen nicht anerkennen, sie sei dagegen willens, auch ihrerseits an die Befriedung und den Wiederaufbau Europas sowie die Versorgung zerstörter Gebiete beizutragen.
Unter diesen Umständen sind wir zu folgender Übereinkunft gelangt:
I
1. Die Schweizerische Verrechnungsstelle wird ihre Untersuchungen betreffend die in der Schweiz liegenden Werte, die Deutschen in Deutschland gehören oder von solchen kontrolliert werden, vervollständigen, fortsetzen und diese Werte liquidieren. Diese Bestimmung ist auch dann anwendbar, falls es sich um Personen deutscher Staatsangehörigkeit handelt, die heimgeschafft werden sollen.
2. Die von diesen Massnahmen betroffenen Deutschen werden in deutscher Währung für den Gegenwert ihrer in der Schweiz liquidierten Werte entschädigt werden. In jedem dieser Fälle wird der gleiche Umrechnungskurs zur Anwendung gelangen.
3. Die Schweiz wird aus den ihr in Deutschland zur Verfügung stehenden Guthaben die Hälfte der zu diesem Zweck benötigten Summe in deutscher Währung aufbringen.
4. Die Schweizerische Verrechnungsstelle wird die ihr übertragenen Aufgaben in enger Fühlungnahme mit einer Gemischten Kommission erfüllen, in der jede der drei Alliierten Regierungen einen Vertreter haben und in die auch die Schweizerische Regierung einen solchen entsenden wird. Diese Kommission wird, wie auch alle betroffenen Privatpersonen, gegen die Entscheidungen der Verrechnungsstelle Rekurs ergreifen können.
5. Die Schweizerische Regierung wird die Kosten der Verwaltung und Liquidation der deutschen Werte tragen.
II
1. Der Erlös aus der Liquidation der in der Schweiz liegenden und Deutschen in Deutschland zustehenden Werte wird zu 50% der Schweiz zukommen, während ein gleicher Anteil den Alliierten zum Zwecke des Wiederaufbaus zerstörter oder durch den Krieg verarmter, alliierter Länder sowie zur Ernährung von Hungersnot betroffener Bevölkerungen zur Verfügung gestellt werden wird.
2. Die Schweizerische Regierung verpflichtet sich, den drei Alliierten Regierungen einen Betrag von 250 Millionen Schweizer Franken, zahlbar auf Sicht in Gold in New York, zur Verfügung zu stellen. Die Alliierten Regierungen erklären ihrerseits, dass sie mit der Annahme dieses Betrages für sich und ihre Notenbanken auf alle Ansprüche gegenüber der Schweizerischen Regierung oder der Schweizerischen Nationalbank verzichten, die sich auf das von der Schweiz während des Krieges von Deutschland erworbene Gold beziehen. Damit finden alle auf dieses Gold bezüglichen Fragen ihre Erledigung.
III
Die Vorschriften über die Anwendung der vorstehenden Bestimmungen sind in der Beilage enthalten.
IV4
4 Die Bestimmungen dieser Ziffer bleiben weiterhin in Kraft (BBl 1952 III 16).
1. Die Regierung der Vereinigten Staaten wird die schweizerischen Guthaben in den Vereinigten Staaten von der Sperre befreien. Das dafür erforderliche Verfahren wird unverzüglich festgelegt werden.5
2. Die Alliierten werden unverzüglich die «Schwarzen Listen» aufheben, soweit sie die Schweiz betreffen.
5 Siehe die Vereinbarung vom 22. November 1946 (SR 0.982.2).
V6
6 Im Briefe der alliierten Delegationen hat Ziff. V folgenden Wortlaut: «Die unterzeichneten Vertreter der Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland erklären, dass sie, was die vorstehenden Bestimmungen anbetrifft, auch im Namen der Regierungen der folgenden Länder und, soweit notwendig, deren Notenbanken handeln: Albanien, Australien, Belgien, Kanada, Dänemark, Ägypten, Griechenland, Indien, Luxemburg, Norwegen, Neuseeland, Niederlande, Tschechoslowakei, Südafrikanische Union und Jugoslawien.»
Der unterzeichnete Vertreter der Schweizerischen Regierung erklärt, auch im Namen des Fürstentums Liechtenstein zu handeln.
VI7
7 Die Bestimmungen dieser Ziffer bleiben weiterhin in Kraft (BBl 1952 III 16).
Falls über die Anwendung oder Auslegung dieses Abkommens Meinungsverschiedenheiten entstehen sollten und diese nicht auf andere Weise gelöst werden können, wird ein schiedsgerichtlicher Entscheid anzurufen sein.
VII
Dieses Abkommen und seine Beilage treten in Kraft, sobald sie vom Schweizerischen Parlament genehmigt worden sind.
Dieses Abkommen und seine Beilage sind in englischer und französischer Sprache abgefasst worden. Beide Fassungen besitzen die gleiche Rechtskraft.
Genehmigen Sie, sehr geehrte Herren, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
(Es folgt die Unterschrift des schweizerischen Delegierten)