A. – (1) Wer in einem der Verbandsländer ein Gesuch für ein Erfindungspatent, ein Gebrauchsmuster, ein gewerbliches Muster oder Modell, eine Fabrik‑ oder Handelsmarke regelrecht hinterlegt hat, oder sein Rechtsnachfolger, geniesst für die Hinterlegung in den andern Ländern während der hiernach bezeichneten Fristen ein Prioritätsrecht.
(2) Als prioritätsbegründend wird jede Hinterlegung anerkannt, welcher nach der inneren Gesetzgebung jedes Verbandslandes oder nach den zwischen mehreren Verbandsländern abgeschlossenen internationalen Verträgen die Bedeutung einer regelrechten nationalen Hinterlegung zukommt.
B. – Demgemäss kann die spätere, jedoch vor Ablauf dieser Fristen in einem der anderen Verbandsländer bewirkte Hinterlegung nicht unwirksam gemacht werden durch inzwischen eingetretene Tatsachen, wie namentlich durch eine andere Hinterlegung, durch die Veröffentlichung der Erfindung oder deren Ausführung, durch das Feilbieten von Exemplaren des Musters oder Modells, durch den Gebrauch der Marke; diese Tatsachen können kein Recht Dritter und kein persönliches Besitzrecht begründen. Die Rechte, welche von Dritten vor dem Tag der ersten, prioritätsbegründenden Anmeldung erworben wurden, bleiben nach Massgabe der inneren Gesetzgebung eines jeden Verbandslandes vorbehalten.
C. – (1) Die oben erwähnten Prioritätsfristen betragen zwölf Monate für die Erfindungspatente und die Gebrauchsmuster und sechs Monate für die gewerblichen Muster oder Modelle und für die Fabrik‑ oder Handelsmarken.
(2) Diese Fristen laufen vom Datum der Hinterlegung des ersten Gesuches hinweg; der Tag der Hinterlegung ist in der Frist nicht inbegriffen.
(3) Wenn in dem Land, wo der Schutz verlangt wird, der letzte Tag der Frist ein gesetzlicher Feiertag ist oder ein Tag, an welchem das Büro zur Entgegennahme von Anmeldungen nicht geöffnet ist, so erstreckt sich die Frist auf den nächstfolgenden Werktag.
D. – (1) Wer die Priorität einer frühern Hinterlegung in Anspruch nehmen will, muss eine Erklärung über die Zeit und das Land dieser Hinterlegung abgeben. Jedes Land bestimmt, bis wann diese Erklärung spätestens abzugeben ist.
(2) Die Angaben sind in die von der zuständigen Verwaltung ausgehenden Veröffentlichungen, namentlich in die Patenturkunden und die zugehörigen Beschreibungen aufzunehmen.
(3) Die Verbandsländer können von demjenigen, welcher eine Prioritätserklärung abgibt, verlangen, dass er die frühere Anmeldung (Beschreibung, Zeichnungen usw.) in einer Abschrift einreicht. Die von der Verwaltung, welche diese Anmeldung empfangen hat, als übereinstimmend bescheinigte Abschrift ist von jeder Beglaubigung befreit und kann auf alle Fälle zu beliebiger Zeit innerhalb der Frist von drei Monaten seit der Hinterlegung der spätern Anmeldung gebührenfrei eingereicht werden. Es kann gefordert werden, dass ihr eine von dieser Verwaltung ausgestellte Bescheinigung über das Datum der Hinterlegung und eine Übersetzung beigefügt wird.
(4) Andere Förmlichkeiten für die Prioritätserklärung dürfen anlässlich der Hinterlegung des Gesuches nicht gefordert werden. Jedes Verbandsland bestimmt die Folgen der Ausserachtlassung der durch den gegenwärtigen Artikel vorgesehenen Förmlichkeiten; jedoch dürfen diese Folgen nicht über den Verlust des Prioritätsrechts hinausgehen.
(5) Später können noch weitere Belege gefordert werden.
E. – (1) Wenn in einem Land ein gewerbliches Muster oder Modell unter Inanspruchnahme eines auf die Anmeldung eines Gebrauchsmusters gegründeten Prioritätsrechts hinterlegt wird, so ist die Prioritätsfrist nur die für gewerbliche Muster oder Modelle festgesetzte.
(2) Ausserdem ist es zulässig, in einem Land ein Gebrauchsmuster zu hinterlegen unter Inanspruchnahme eines auf die Hinterlegung eines Patentgesuches gegründeten Prioritätsrechts und umgekehrt.
F. – Kein Verbandsland kann ein Patentgesuch deshalb zurückweisen, weil dieses mehrere Prioritäten beansprucht, sofern nur im Sinne des Landesgesetzes Einheit der Erfindung vorliegt.
G. – Ergibt die Prüfung, dass ein Patentgesuch nicht einheitlich ist, so kann der Bewerber das Gesuch in eine gewisse Anzahl von Teilgesuchen teilen, wobei ihm als Datum jedes Teilgesuches das Datum des ursprünglichen Gesuches sowie gegebenenfalls die Wohltat des Prioritätsrechts erhalten bleibt.
H. – Die Priorität darf nicht deshalb verweigert werden, weil gewisse Elemente der Erfindung, für welche die Priorität beansprucht wird, in den im Ursprungsland aufgestellten Patentansprüchen nicht enthalten sind, sofern nur die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen diese Elemente deutlich offenbart.