1as AS0.193.416.36 (Stand am 5. November 1999)

0.193.416.36

Übersetzung2

Vergleichsvertrag
zwischen der Schweiz und den Niederlanden

Abgeschlossen am 12. Dezember 1925
Von der Bundesversammlung genehmigt am 25. Juni 19263
Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 11. Juni 1927
In Kraft getreten am 11. Juni 1927

1 BS 11 317; BBl 1926 I 481

2 Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung.

3 AS 43 145

Der Schweizerische Bundesrat
und
Ihre Majestät die Königin der Niederlande,

von dem Wunsche geleitet, die zwischen der Schweiz und den Niederlanden bestehenden freundschaftlichen Bande zu festigen und auf dem Wege des Vergleichsverfahrens die Beilegung von Streitigkeiten, die zwischen beiden Ländern entstehen und nicht in anderer Weise erledigt würden, zu fördern, sind übereingekommen, zu diesem Zwecke einen Vertrag abzuschliessen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt:

(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)

die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, folgende Bestimmungen vereinbart haben:

Art. 1

Jede Streitigkeit, welcher Art sie auch sei, die zwischen den vertragschliessenden Parteien entstehen und nicht auf diplomatischem Wege innert angemessener Frist geschlichtet werden könnte, und die sich zu einer gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Erledigung gemäss Artikel 36 Absatz 2 der Satzung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes4 oder gemäss irgendeines andern internationalen Abkommens zwischen den vertragschliessenden Teilen nicht eignet, wird auf Ersuchen beider Parteien oder einer derselben einer ständigen Vergleichskommission zur Prüfung und Berichterstattung unterbreitet.

Die vertragschliessenden Teile können dahin übereinkommen, dass ein Streitfall, der sich zu einer gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Erledigung eignet, zuvor einem Vergleichsverfahren unterworfen werde. Falls bei einer solchen Streitigkeit einer der Teile die Vorschläge der Kommission innert angemessener Frist nicht annimmt, so kann jeder von ihnen die Streitigkeit dem Ständigen Internationalen Gerichtshof5 unterbreiten.

4 [AS 37 768]. Diesem Artikel entspricht heute Art. 36 Ziff. 2 des Statuts des Internatio­nalen Gerichtshofes vom 26. Juni 1945 (SR 0.193.501).

5 Heute: dem Internationalen Gerichtshof (Art. 37 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes – SR 0.193.501).

Art. 2

Die ständige Vergleichskommission besteht aus fünf Mitgliedern.

Je ein Mitglied wird von jedem der vertragschliessenden Teile in freier Wahl ernannt, während die drei übrigen im gemeinsamen Einvernehmen berufen werden. Diese drei Mitglieder sollen nicht Angehörige der vertragschliessenden Staaten sein, noch sollen sie auf deren Gebiet ihren Wohnsitz haben oder in deren Dienste stehen oder gestanden sein.

Der Vorsitzende der Kommission wird im gemeinsamen Einvernehmen aus der Reihe der gemeinschaftlich berufenen Mitglieder ernannt.

Die Kommission ist binnen sechs Monaten nach dem Austausche der Ratifikationsurkunden zum gegenwärtigen Vertrage zu bilden.

Wenn die Ernennung der gemeinsam zu berufenden Mitglieder oder des Vorsitzenden nicht binnen sechs Monaten nach dem Austausche der Ratifikationsurkunden oder, im Falle des Rücktritts oder Ablebens eines Mitgliedes, nicht binnen zwei Monaten nach dem Freiwerden des Sitzes stattgefunden hat, so wird Seine Majestät der König von Dänemark, gegebenenfalls bloss durch einen der Teile, gebeten, diese Ernennungen vorzunehmen.

Art. 3

Die Mitglieder der Vergleichskommission sind für drei Jahre gewählt. Unter Vorbehalt anderweitiger Vereinbarungen zwischen den vertragschliessenden Teilen können sie während ihrer Amtsdauer nicht abberufen werden. Im Falle des Ablebens oder Rücktritts eines Mitgliedes ist für den Rest seiner Amtsdauer eine Ersatzwahl vorzunehmen.

Endigt die Amtsdauer eines gemeinsam berufenen Mitgliedes, ohne dass eine Partei gegen deren Verlängerung Einspruch erhebt, so gilt diese als für einen weiteren Zeitabschnitt von drei Jahren erneuert. Desgleichen gilt die Amtsdauer eines von nur einer Partei ernannten Mitgliedes als für drei Jahre verlängert, wenn bei deren Ablauf die Partei keine Ersatzwahl vorgenommen hat.

Ein Mitglied, dessen Amtsdauer während eines Verfahrens abläuft, nimmt bis zu dessen Abschluss an der Behandlung des Streitfalles weiterhin teil.

Art. 4

Die Vergleichskommission bestimmt ihren Sitz. Sie kann über dessen Verlegung frei beschliessen.

Art. 5

Es steht jeder Partei zu, innerhalb von vierzehn Tagen, nachdem der ständigen Vergleichskommission das Begehren nach Einleitung eines Vergleichsverfahrens bekanntgegeben worden ist, das von ihr in freier Wahl bezeichnete Mitglied durch eine Persönlichkeit zu ersetzen, die auf dem Gebiete, dem der Gegenstand des Streitfalles angehört, besonders kundig ist.

Will eine der Parteien von diesem Rechte Gebrauch machen, so hat sie die Gegenpartei davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen; in diesem Falle kann letztere in einem Zeitraume von vierzehn Tagen nach Empfang der Mitteilung vom gleichen Rechte Gebrauch machen.

Im Falle, dass eines der gemeinschaftlich durch die vertragschliessenden Teile berufenen Mitglieder der Vergleichskommission zeitweise durch Krankheit oder irgendwelchen andern Umstand verhindert sein sollte, an den Arbeiten der Kommission teilzunehmen, kommen die Parteien überein, nötigenfalls einen Stellvertreter zu bezeichnen, der vorübergehend dessen Platz einnehmen wird.

Wenn die Ernennung dieses Stellvertreters nicht binnen drei Monaten nach dem zeitweiligen Freiwerden des Sitzes erfolgt, wird Seine Majestät der König von Dänemark durch beide Teile oder durch einen derselben gebeten, ihn zu bezeichnen.

Jede der Parteien behält sich vor, unverzüglich einen Stellvertreter zu bezeichnen, um zeitweise das ständige durch sie berufene Mitglied zu ersetzen, falls dieses infolge von Krankheit oder irgendwelchen andern Umstandes vorübergehend verhindert sein sollte, an den Arbeiten der Kommission teilzunehmen. Die Partei, welche von diesem Rechte Gebrauch zu machen beabsichtigt, hat die Gegenpartei unverzüglich davon in Kenntnis zu setzen.

Art. 6

Der Vergleichskommission liegt als Aufgabe ob, jeden Streitfall, der ihr durch die vertragschliessenden Teile unterbreitet würde, zu prüfen und einen Bericht abzufassen, der eine Feststellung des Tatbestandes und jedesmal, wenn es die Umstände erlauben, auch Vorschläge hinsichtlich der Schlichtung des Streitfalles enthalten soll.

Art. 7

Die Anrufung der Vergleichskommission erfolgt durch ein Begehren, das von beiden vertragschliessenden Teilen oder einem von ihnen an den Kommissionsvorsitzenden gerichtet wird. Im letztern Fall ist dieses Begehren gleichzeitig auch der Gegenpartei bekanntzugeben.

Art. 8

Die vertragschliessenden Teile haben das Recht, besondere Vertreter bei der Vergleichskommission zu ernennen, die gleichzeitig als Mittelspersonen zwischen ihnen und der Kommission dienen.

Art. 9

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die Arbeiten der Vergleichskommission in allen Fällen und in jeglicher Beziehung zu erleichtern und dieser ins besondere jede Rechtshilfe durch Vermittlung der zuständigen Behörden zu gewähren.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, die ihnen gemäss der Landes­gesetzgebung zur Verfügung stehenden Mittel zu gebrauchen, um das Erscheinen von Zeugen oder Sachverständigen, die sich auf ihrem Gebiete beflinden und vor die Kommission geladen werden, sicherzustellen. Falls diese nicht vor der Kommission erscheinen können, so ist für deren Einvernahme durch die zuständigen Behörden Sorge zu tragen.

Art. 10

Die Verhandlungen der Vergleichskommission sind geheim, es sei denn, dass die Kommission im Einvernehmen mit den Parteien anders beschliesse.

Art. 11

Das Verfahren vor der Vergleichskommission ist kontradiktorisch.

Die Kommission setzt selbst das Verfahren fest, wobei, falls nicht einstimmig ein anderer Beschluss gefasst wird, die Bestimmungen in Titel III des Haager Abkommens vom 18. Oktober 19076 zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle zu berücksichtigen sind.

Art. 12

Unter Vorbehalt anderweitiger Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages trifft die Vergleichskommission ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit.

Art. 13

Die Vergleichskommission hat ihren Bericht binnen sechs Monaten von dem Tage an, an dem sie mit der Streitigkeit befasst worden ist, zu erstatten, es sei denn, dass die vertragschliessenden Teile im gemeinsamen Einverständnisse beschliessen, diese Frist zu verkürzen oder zu verlängern. Die Kommission hat ihrerseits das Recht, die Frist einmal zu verlängern. Sobald das Verfahren begonnen hat, ist es den Parteien nicht mehr möglich, es zu verkürzen.

Die Ansicht der in der Minderheit verbliebenen Mitglieder ist mit ihrer Begründung in dem Bericht aufzunehmen.

Jeder Partei wird eine Ausfertigung des Berichtes ausgehändigt.

Dem Berichte kommt weder in bezug auf den Tatbestand noch hinsichtlich der rechtlichen Erwägungen verbindliche Bedeutung zu.

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, den Bericht von sich aus nicht ohne vorherige Rücksprache zu veröffentlichen. Die Kommission kann die Veröffent­lichung ihres Berichtes verfügen, wenn nicht die beiden von den Parteien in freier Wahl bezeichneten Mitglieder sich einer solchen widersetzen.

Art. 14

Während der tatsächlichen Dauer des Verfahrens erhalten die Mitglieder der Vergleichskommission eine Entschädigung, deren Höhe von den vertragschliessenden Teilen zu vereinbaren ist.

Jede Partei kommt für ihre eigenen Kosten auf; die Kosten für die Kommission werden von den Parteien zu gleichen Teilen getragen.

Art. 15

Während der Dauer des Vergleichsverfahrens enthalten sich die vertragschliessenden Teile jeglicher Massnahmen, die sich in einer Weise auswirken könnten, die der Annahme der Vorschläge der Vergleichskommission hinderlich wäre.

Art. 16

Der gegenwärtige Vertrag soll ratifiziert, und die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich im Haag ausgetauscht werden.

Der Vertrag gilt für die Dauer von 10 Jahren, gerechnet vom Austausche der Ratifikationsurkunden an. Wird er nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Frist gekündigt, so bleibt er für einen weitern Zeitraum von zehn Jahren in Kraft und so fort für je zehn Jahre.

Falls im Zeitpunkte des Ablaufs des gegenwärtigen Vertrages ein Vergleichsverfahren hängig sein sollte, so wäre dieses Verfahren gemäss den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages oder jedes andern an dessen Stelle von den vertragschliessenden Teilen geschlossenen Abkommens fortzusetzen.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die obengenannten Bevollmächtigten den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet und ihn mit ihren Siegeln versehen.

Ausgefertigt, in doppelter Urschrift, Im Haag, am 12. Dezember 1925.

A. de Pury

Karnebeck