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0.353.963.2

Übersetzung2

Auslieferungsvertrag zwischen
der Schweiz und der Republik Paraguay

Abgeschlossen am 30. Juni 1906
Von der Bundesversammlung genehmigt am 3. April 19073
Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 14. September 1907
In Kraft getreten am 26. Oktober 1907

1 BS 12 199; BBl 1906 V 662

2 Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung.

3 AS 23 749

Der Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und
die Regierung der Republik Paraguay,

von dem Wunsche geleitet, einen Vertrag zur Regelung der gegenseitigen Auslieferung der flüchtigen Verbrecher abzuschliessen, haben zu diesem Zwecke als ihre Bevollmächtigten ernannt:

(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)

welche nach Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten nachstehende Artikel vereinbart haben:

Art. 1

Die hohen vertragschliessenden Teile verpflichten sich, nach Massgabe der Vorschriften des gegenwärtigen Vertrages, sich gegenseitig diejenigen Personen auszuliefern, welche von der zuständigen richterlichen Behörde des ersuchenden Staates wegen eines der in Artikel 2 aufgeführten Verbrechen oder Vergehen angeschuldigt, verfolgt oder verurteilt sind und sich auf das Gebiet des andern Staates geflüchtet haben.

Art. 2

Die Verbrechen und Vergehen, für welche die Auslieferung gewährt wird, sind folgende:

1.
Totschlag, Mord, Elternmord, Kindesmord, Vergiftung;
2.
Abtreibung der Leibesfrucht;
3.
absichtliche Körperverletzung, welche den Tod oder einen bleibenden Nachteil, dauernde Arbeitsunfähigkeit oder eine schwere Verstümmelung eines Gliedes oder Organes des Körpers verursacht hat;
4.
Notzucht; gewalttätiger Angriff auf die Schamhaftigkeit; gewerbsmässige Kuppelei; Blutschande;
5.
mit oder ohne Gewalt verübter Angriff auf die Schamhaftigkeit von Kindern beider Geschlechter unter 14 Jahren;
6.
Bigamie;
7.
Wegnahme (Raub) und widerrechtliche Gefangenhaltung von Personen; Unterdrückung oder Unterschiebung von Kindern;
8.
Aussetzung und bösliches Verlassen von Kindern oder hilflosen Personen; Entführung von Minderjährigen;
9.
Fälschung oder Veränderung von Münzen, Papiergeld, von Banknoten und andern Kreditpapieren mit gesetzlichem Kurs, von Aktien und andern Werttiteln, ausgegeben vom Staate, von Korporationen, Gesellschaften oder Privatpersonen; Ausgabe, Inverkehrsetzung oder Veränderung von Postmarken, von Stempeln, Marken oder Siegeln des Staates oder öffentlicher Stellen. Einführung, Ausgabe oder Gebrauch der genannten Sachen, in Kenntnis, dass sie gefälscht sind; Gebrauch von gefälschten Urkunden oder Akten der erwähnten Arten; betrügerischer Gebrauch oder Missbrauch von authentischen Siegeln, Stempeln und Marken;
10.
Fälschung von öffentlichen oder privaten Schriftstücken, Verfälschung von amtlichen Urkunden, von Wechseln oder andern Handelspapieren; betrügerischer Gebrauch gefälschter oder nachgemachter Urkunden; Unterschlagung von Urkunden;
11.
falsches Zeugnis; Verleitung von Zeugen zu falscher Aussage; Meineid in Ziviloder Strafsachen;
12.
Bestechung von öffentlichen Beamten;
13.
Veruntreuung oder Unterschlagung öffentlicher Gelder; Gebührenüberforderung4, begangen von Beamten oder Depositären;
14.
vorsätzliche Brandstiftung; Missbrauch von Sprengstoffen;
15.
vorsätzliche Handlungen, welche die Zerstörung oder Beschädigung von Eisenbahnen, Dampfschiffen, Posten, elektrischen Apparaten oder Leitungen (Telegrafen, Telefone) und die Gefährdung ihres Betriebes bewirken;
16.
Raub, Erpressung, Diebstahl, Hehlerei;
17.
Baratterie und Seeraub; vorsätzliche Handlungen, welche das Sinken, die Strandung, Zerstörung, Unbrauchbarmachung oder Beschädigung eines Schiffes bewirken, sofern daraus eine Gefahr für andere entstehen kann;
18.
Betrug;
19.
Vertrauensmissbrauch und Unterschlagung;
20.
betrügerischer Bankerott.

In allen diesen Fällen genügen der Versuch und die Teilnahme, um die Auslieferung zu begründen, sofern sie nach den Gesetzen der Vertragsstaaten strafbar sind.

Es wird wegen der oben aufgeführten Delikte die Auslieferung bewilligt, wenn die zur Last gelegten Straftaten nach den Gesetzgebungen der Vertragsstaaten wenigstens eine einjährige Freiheitsstrafe nach sich ziehen können.

4 Berichtigung der in der AS veröffentlichten Übersetzung gemäss Originaltext.

Art. 3

Die Auslieferung findet nicht statt:

1.
wenn die reklamierte Person durch Geburt oder Naturalisation Bürger des ersuchten Staates ist;
2.
wegen politischer Vergehen oder wegen Handlungen, welche mit solchen im Zusammenhang stehen;
3.
wenn das Delikt auf dem Gebiete des ersuchten Staates begangen worden ist;
4.
wenn dem Auslieferungsbegehren das gleiche Verbrechen oder Vergehen zugrunde liegt, für welches die reklamierte Person in dem ersuchten Staate abgeurteilt, bestraft oder freigesprochen worden ist;
5.
wenn die Strafe oder die Strafklage vor der Verhaftung oder Vorladung der reklamierten Person nach der Gesetzgebung des ersuchenden oder des ersuchten Staates verjährt ist.
Art. 4

Die Auslieferung findet nicht statt, wenn die reklamierte Person in dem ersuchten Staate für dasselbe Verbrechen oder Vergehen verfolgt oder vor Gericht gestellt wird.

Art. 5

Wenn das Strafgesetz des ersuchenden Staates für die strafbare Handlung, um derentwillen die Auslieferung verlangt wird, eine körperliche Strafe androht, so wird die Auslieferung nur unter der Bedingung gewährt, dass jene Strafe gegebenen Falles in eine Freiheits­oder Geldstrafe umgewandelt werde.

Art. 6

Die Auslieferung wird nur unter der Bedingung bewilligt, dass der Auszuliefernde nicht vor ein Ausnahmegericht gestellt werde.

Art. 7

Die reklamierten Personen, welche wegen eines andern Deliktes als dasjenige, das dem Auslieferungsbegehren zugrunde liegt, verfolgt werden oder eine Strafe verbüssen, werden erst ausgeliefert, nachdem sie im ersuchten Staate endgültig abgeurteilt sind und im Falle ihrer Verurteilung die Strafe verbüsst haben oder begnadigt worden sind.

Art. 8

Die Personen, deren Auslieferung gewährt worden ist, können für Verbrechen oder Vergehen, welche vor der Auslieferung begangen worden sind, oder für Handlungen, welche mit solchen Verbrechen oder Vergehen in Verbindung stehen, nur verfolgt und bestraft werden, wenn der Auslieferungsstaat hierzu seine Zustimmung erteilt und es sich um Straftaten handelt, die in Artikel 2 aufgeführt sind.

Sie können auch nicht an einen dritten Staat ausgeliefert werden, der sie wegen anderer Straftaten, als diejenigen, welche die Auslieferung begründet haben, verlangen würde.

Diese Einschränkungen kommen jedoch nicht zur Geltung, wenn der Ausgelieferte ausdrücklich einwilligt, für eine vor der Auslieferung begangene und im Auslieferungsbegehren nicht erwähnte Straftat verfolgt oder bestraft oder an einen dritten Staat ausgeliefert zu werden, oder endlich wenn der Ausgelieferte in dem Staate, in welchem er abgeurteilt worden ist, von dem Tage an, da er seine Strafe verbüsst hat oder zufolge Begnadigung in Freiheit gesetzt wurde, während drei Monaten verbleibt, oder wenn er in der Folge freiwillig auf das Gebiet des betreffenden Staates zurückkehrt.

Art. 9

Die Auslieferung kann auch dann bewilligt werden, wenn dadurch die Erfüllung von Verbindlichkeiten, welche die reklamierte Person gegenüber Privaten im Zufluchtsstaate eingegangen hat, verhindert werden sollte. Die Interessenten behalten jedoch alle ihre bezüglichen Rechte gewahrt und sie können dieselben vor dem zuständigen Richter geltend machen.

Art. 10

In den Fällen, in denen nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages die Auslieferung nicht gewährt worden ist, wird die reklamierte Person, wenn angängig, von den Gerichten des ersuchten Staates gemäss dessen Gesetzen abgeurteilt, und es soll das definitive Urteil der requirierenden Regierung mitgeteilt werden.

Der Staat, auf dessen Ansuchen ein Angehöriger des andern Staates verfolgt und abgeurteilt worden ist, verpflichtet sich seinerseits, gegen dieselbe Person wegen der gleichen Straftat kein zweites Verfahren durchzuführen, ausser, wenn der Verurteilte die Strafe, zu der er in seinem Heimatstaate verfällt wurde, nicht verbüsst haben sollte.

Art. 11

Wurde die strafbare Handlung, auf welche sich das Auslieferungsbegehren gründet, in einem dritten Staate begangen, so wird die Auslieferung zugestanden, wenn die Gesetzgebungen der vertragschliessenden Teile die gerichtliche Verfolgung solcher Handlungen, auch wenn sie im Auslande verübt worden sind, gestatten und es dem um die Auslieferung ersuchten Staate nicht obliegt, den Verbrecher vor seine eigenen Gerichte zu stellen oder an die Regierung desjenigen Staates auszuliefern, auf dessen Gebiet die strafbare Handlung begangen worden ist.

Art. 12

Wenn die Person, deren Auslieferung auf Grund des gegenwärtigen Vertrages verlangt wird, gleichzeitig von einer oder mehreren andern Regierungen wegen auf deren Gebieten begangener Verbrechen reklamiert wird, so soll die Auslieferung an denjenigen Staat bewilligt werden, auf dessen Gebiet das schwerste Delikt verübt wurde, und bei gleicher Schwere an den Staat, dessen Auslieferungsbegehren zuerst eingegangen ist.

Art. 13

Wenn die reklamierte Person dem ersuchenden Staate nicht angehört und wegen desselben Deliktes auch von der Regierung ihres Heimatstaates verlangt würde, so steht es im Belieben der ersuchten Regierung, den Verfolgten an den einen oder den andern der beiden ersuchenden Staaten auszuliefern.

Art. 14

Das Auslieferungsbegehren soll auf dem diplomatischen Wege gestellt werden und in Ermangelung eines diplomatischen Agenten durch den im Range höchststehenden Konsul des ersuchenden Staates oder durch das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten der Republik Paraguay direkt bei dem Präsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft und umgekehrt.

Das Auslieferungsbegehren soll begleitet sein:

1.
von dem Original oder einer beglaubigten Abschrift des Haftbefehles oder einer andern Urkunde von gleichem Werte, oder des Straferkenntnisses, das von der zuständigen Behörde nach den im ersuchenden Staate vorgeschriebenen Formen ergangen ist.
Diese Urkunden haben die strafbare Handlung, den Ort und die Zeit ihrer Begehung anzugeben;
2.
von einer Abschrift der auf das in Frage stehende Verbrechen oder Vergehen anwendbaren Strafbestimmungen;
3.
soweit möglich von dem Signalement des reklamierten Individuums und andern Angaben, welche zur Feststellung seiner Identität, Persönlichkeit und Staatsangehörigkeit dienlich sind.

Diese Urkunden sollen stets von einer französischen Übersetzung begleitet sein, wenn sie nicht in dieser Sprache abgefasst sind.

Art. 15

In dringlichen Fällen kann einer der vertragschliessenden Teile die vorläufige Verhaftung des Schuldigen verlangen. Diese erfolgt nach den Gesetzen des ersuchten Staates, und zwar auf Grund einer schriftlichen oder telegrafischen Aufforderung der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates, welche die Zusicherung enthält, es werden der Haftbefehl und die im vorhergehenden Artikel erwähnten Belege auf dem diplomatischen Wege übermittelt.

Die demgemäss verhaftete Person wird in Freiheit gesetzt, wenn innerhalb von drei Monaten von der Festnahme hinweg das diplomatische Auslieferungsbegehren nicht in der im Artikel 14 vorgesehenen Form eintrifft, es sei denn, dass die Verhaftung aus andern Gründen aufrecht erhalten würde.

Art. 16

Wenn in einem Strafverfahren wegen eines in Artikel 2 erwähnten Deliktes eine der beiden Regierungen die Einvernahme von Zeugen, die im andern Staate wohnhaft sind, oder die Vornahme irgendwelcher andern Untersuchungshandlungen für notwendig erachtet, so ist zu diesem Zwecke auf dem diplomatischen Wege ein Ersuchsschreiben einzusenden, und es soll demselben gemäss den Gesetzen des ersuchten Staates beförderlichst Folge gegeben werden.

Die Vertragsstaaten verzichten auf jede Forderung betreffend Vergütung der Kosten, die ihnen aus dem Vollzug der Rogatorien erwachsen, sofern es sich nicht um kriminelle, kommerzielle oder medizinische Expertisen handelt.

Ebensowenig kann eine Ersatzforderung Platz greifen für die Kosten gerichtlicher Handlungen, die von den Beamten eines der Vertragsstaaten von sich aus vorgenommen werden zum Zwecke der Verfolgung oder Feststellung von Delikten, welche auf ihrem Gebiete von einem Ausländer begangen wurden, der nachher in seinem Heimatstaate zur Verantwortung gezogen wird.

Art. 17

Wenn in einer Strafsache betreffend ein in Artikel 2 aufgezähltes Delikt das persönliche Erscheinen eines Zeugen notwendig oder zweckmässig erachtet werden sollte, so wird die Regierung des Staates, in dein er wohnt, ihn einladen, der ihm zugestellten Vorladung Folge zu leisten. Im Falle der Zustimmung wird ihm die ersuchende Regierung von dem Zeitpunkte hinweg, an dem er seinen Wohnort verlassen haben wird, die Reise‑ und Aufenthaltskosten vergüten gemäss den in dem Lande, wo er erscheinen soll, geltenden Tarifen, sofern sie sich nicht für verpflichtet erachtet, dem Zeugen eine grössere Entschädigung auszurichten.

Keine Person, welcher Nationalität sie auch sein mag, die in einem der beiden Länder als Zeuge vorgeladen und freiwillig vor den Gerichten des andern Landes erschienen ist, darf daselbst wegen Verbrechen oder Vergehen, oder wegen Verurteilungen zivilrechtlicher, krimineller oder korrektioneller Natur, die vor ihrem Weggang aus dem ersuchten Lande stattgefunden haben, noch unter dem Vorwand der Mitschuld an den Handlungen, welche den Gegenstand des Prozesses bilden, in dem sie als Zeuge erscheint, verfolgt oder verhaftet werden.

Art. 18

Es ist ausdrücklich vereinbart, dass der Transit einer von einem dritten Staate an den andern Vertragsstaat auszuliefernden Person durch das Gebiet eines der kontrahierenden Staaten, sofern dieselbe nicht dem Lande angehört, durch das der Transit stattfinden muss, auf die einfache Vorlage im diplomatischen Wege des Haftbefehles oder verurteilenden Erkenntnisses bewilligt werden soll, vorausgesetzt, dass die Handlung, welche der Auslieferung zugrunde liegt, in der gegenwärtigen Übereinkunft aufgeführt ist und nicht die Vorbehalte der Artikel 3 und 4 Platz greifen.

Der Transport erfolgt auf den kürzesten Wegen unter Begleitung von Agenten des ersuchten Staates und auf Kosten der ersuchenden Regierung.

Art. 19

Die von einem Verbrechen oder Vergehen herrührenden Gegenstände, welche im Besitze der reklamierten Person vorgefunden wurden, oder welche diese versteckt hat und die später aufgefunden werden, die Werkzeuge oder Instrumente, deren sie sich zur Begehung der strafbaren Handlung bedient hat, sowie alle andern Beweisstücke sollen gleichzeitig mit der reklamierten Person zur Übergabe gelangen.

Diese Übergabe soll auch dann stattfinden, wenn die Auslieferung wegen des Todes oder der Flucht des Delinquenten nicht vollzogen werden kann.

Allfällige Rechte Dritter an den fraglichen Gegenständen werden ausdrücklich vorbehalten, und es sollen diese nach Beendigung des Verfahrens den Berechtigten kostenfrei zurückgestellt werden.

Art. 20

Die Kosten, welche auf dem Gebiete des ersuchten Staates durch die Festnahme, die Haft, die Bewachung und den Unterhalt der reklamierten Person, sowie durch den Transport der in Artikel 19 des gegenwärtigen Vertrages erwähnten Gegenstände erwachsen, werden von der Regierung dieses Staates getragen.

Art. 21

Die vertragschliessenden Teile verpflichten sich, einander alle von den Gerichten des einen der kontrahierenden Staaten gegen Angehörige des andern wegen Verbrechen und Vergehen jeder Art ausgesprochenen Straferkenntnisse mitzuteilen. Diese Mitteilung erfolgt auf diplomatischem Wege durch Zusendung eines Auszuges des in Rechtskraft erwachsenen Urteils.

Art. 22

Der gegenwärtige Vertrag tritt sechs Wochen nach Austausch der Ratifikations­urkunden in Kraft und bleibt in Geltung bis sechs Monate nach erfolgter Kündigung seitens einer der vertragschliessenden Regierungen.

Die Ratifikationen sollen sobald als möglich in Asuncion ausgetauscht werden, nachdem der Vertrag durch die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Kongress der Republik Paraguay genehmigt sein wird.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die beidseitigen Bevollmächtigten die vorstehenden Artikel unterzeichnet und ihre Siegel beigesetzt.

Buenos Aires, den 30. Juni 1906

J. Choffat

José Z. Caminos