1 Befindet sich eine Person im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei und soll diese Person als Zeugin, Zeuge oder sachverständige Person von den Justizbehörden der anderen Vertragspartei einvernommen werden, so kann Letztere, sofern das persönliche Erscheinen der einzuvernehmenden Person in ihrem Hoheitsgebiet nicht zweckmässig oder möglich ist, darum ersuchen, dass die Einvernahme nach Massgabe der Absätze 2–6 per Videokonferenz erfolgt.
2 Die ersuchte Vertragspartei bewilligt die Einvernahme per Videokonferenz, sofern deren Einsatz ihren Grundprinzipien nicht entgegensteht. Verfügt die ersuchte Vertragspartei nicht über die technischen Vorrichtungen für eine Videokonferenz, so können ihr diese von der ersuchenden Vertragspartei in gegenseitigem Einvernehmen zur Verfügung gestellt werden.
3 Die Justizbehörde der ersuchten Vertragspartei lädt die betroffene Person in der in ihrem innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Form vor.
4 Für die Einvernahme per Videokonferenz gelten folgende Regeln:
- a.
- Bei der Einvernahme ist eine Vertreterin oder ein Vertreter der Justizbehörde der ersuchten Vertragspartei anwesend, bei Bedarf unterstützt durch eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher. Diese Vertreterin oder dieser Vertreter ist auch für die Identifizierung der einzuvernehmenden Person und für die Einhaltung der Grundprinzipien der Rechtsordnung der ersuchten Vertragspartei verantwortlich. Werden nach Ansicht der Justizbehörde der ersuchten Vertragspartei bei der Einvernahme die Grundprinzipien der Rechtsordnung der ersuchten Vertragspartei verletzt, so trifft sie unverzüglich die erforderlichen Massnahmen, um die Einvernahme nach diesen Prinzipien fortführen zu können.
- b.
- Die zuständigen Behörden der ersuchenden und der ersuchten Vertragspartei vereinbaren bei Bedarf Massnahmen zum Schutz der einzuvernehmenden Person.
- c.
- Die Einvernahme wird unmittelbar von oder unter der Leitung der Justizbehörde der ersuchenden Vertragspartei nach deren innerstaatlichen Rechtsvorschriften durchgeführt.
- d.
- Auf Verlangen der ersuchenden Vertragspartei oder der einzuvernehmenden Person wird dafür gesorgt, dass die einzuvernehmende Person bei Bedarf von einer Dolmetscherin oder einem Dolmetscher unterstützt wird.
- e.
- Die einzuvernehmende Person kann sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht, das ihr nach dem Recht der ersuchten oder der ersuchenden Vertragspartei zusteht, berufen.
5 Unbeschadet allfälliger zum Schutz von Personen vereinbarter Massnahmen erstellt die Justizbehörde der ersuchten Vertragspartei nach der Einvernahme ein Protokoll unter Angabe des Datums und Orts der Einvernahme, der Identität der einvernommenen Person, der Identität und der Funktion der übrigen Personen, die in der ersuchten Vertragspartei an der Einvernahme teilgenommen haben, aller allfälligen Vereidigungen und der technischen Bedingungen, unter denen die Einvernahme stattgefunden hat. Dieses Dokument wird von der zuständigen Behörde der ersuchten Vertragspartei der zuständigen Behörde der ersuchenden Vertragspartei übermittelt.
6 Jede Vertragspartei ergreift die erforderlichen Massnahmen um sicherzustellen, dass in Fällen, in denen Zeuginnen, Zeugen oder Sachverständige nach diesem Artikel in ihrem Hoheitsgebiet einvernommen werden und trotz Aussagepflicht die Aussage verweigern oder falsch aussagen, ihr innerstaatliches Recht genauso angewendet wird, wie wenn die Einvernahme im Rahmen eines innerstaatlichen Verfahrens erfolgen würde.
7 Die Vertragsparteien können nach freiem Ermessen in Fällen, in denen dies angebracht erscheint, und mit Zustimmung ihrer zuständigen Justizbehörden die Bestimmungen dieses Artikels auch auf Einvernahmen per Videokonferenz anwenden, an denen eine beschuldigte oder verdächtigte Person teilnimmt. In diesem Fall ist die Entscheidung, ob und in welcher Form eine Videokonferenz durchgeführt werden soll, Gegenstand einer Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien, die diese Entscheidung im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und den einschlägigen internationalen Übereinkünften, einschliesslich des Internationalen Paktes vom 16. Dezember 19664 über bürgerliche und politische Rechte, treffen. Einvernahmen von beschuldigten Personen oder Verdächtigen dürfen nur mit deren Einwilligung stattfinden.