Art. 1 Gegenstand
Diese Verordnung regelt die Voraussetzungen für die Durchführung von wissenschaftlichen Pilotversuchen mit Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis nach Artikel 8a BetmG (Pilotversuche).
812.121.5
vom 31. März 2021 (Stand am 15. Mai 2021)
Der Schweizerische Bundesrat,
gestützt auf Artikel 8a des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober 19511 (BetmG),
verordnet:
Diese Verordnung regelt die Voraussetzungen für die Durchführung von wissenschaftlichen Pilotversuchen mit Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis nach Artikel 8a BetmG (Pilotversuche).
1 Es dürfen nur Pilotversuche durchgeführt werden, die der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Auswirkungen von Massnahmen, Instrumenten oder Vorgehensweisen, namentlich Vertriebssystemen, betreffend den Umgang mit Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis zu nicht medizinischen Zwecken dienen.
2 Sie müssen insbesondere Erkenntnisse liefern zu den Auswirkungen auf:
1 Auf Pilotversuche finden keine Anwendung:
2 Für den Verkauf von Cannabisprodukten an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Pilotversuchen können auch andere als die in den Artikeln 11 und 13 BetmG bezeichneten Stellen vorgesehen werden.
In dieser Verordnung bedeuten:
1 Pilotversuche sind örtlich auf eine oder mehrere Gemeinden zu begrenzen.
2 Die Dauer der Pilotversuche muss wissenschaftlich begründet sein und darf höchstens fünf Jahre betragen. Sie kann auf Gesuch hin einmalig um höchstens zwei Jahre verlängert werden.
Die Anzahl der Personen, die an einem Pilotversuch teilnehmen, ist auf das für die wissenschaftliche Aussagekraft erforderliche Mass zu begrenzen. Sie darf 5000 Personen nicht überschreiten.
1 Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis, die im Rahmen von Pilotversuchen zugänglich gemacht werden, müssen in der Schweiz produziert werden.
2 Ausnahmsweise können Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis eingeführt werden, wenn gegenüber dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) glaubhaft gemacht wird, dass eine ausreichende Produktion in der Schweiz zeitnah nicht sichergestellt werden kann. Die Bestimmungen nach Artikel 8 Absatz 1 gelten auch für eingeführte Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis.
1 Für den Anbau von Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis gelten folgende Vorgaben:
2 In Abweichung von Absatz 1 Buchstabe a können Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis auch aus konventionellem Anbau stammen, wenn:
3 Das BAG führt zur Beurteilung, ob eine ausreichende Produktion nach Absatz 1 sichergestellt werden kann, eine Liste mit interessierten Anbauern, die sich potenziell für einen Anbau gemäss den Vorgaben nach Absatz 1 eignen.
2 SR 910.18
3 Die Guideline on good agricultural and collection practice (GACP) for starting materials of herbal origin der EMA kann im Internet kostenlos abgerufen werden unter www.ema.europa.eu > Human regulatory > Herbal products > Scientifics guidelines.
1 Cannabisprodukte müssen folgenden Qualitätsanforderungen genügen:
2 Die gemessenen Wirkstoffgehalte nach Absatz 1 Buchstabe a dürfen in unverarbeiteten Cannabisprodukten höchstens um 25 Prozent und in verarbeiteten Cannabisprodukten höchstens um 15 Prozent von den auf den Cannabisprodukten deklarierten Angaben abweichen.
3 Die Höchstgehalte für Kontaminanten nach Absatz 1 Buchstabe c sind im Anhang geregelt. Das Eidgenössische Departement des Innern passt diesen regelmässig an den Stand der Wissenschaft und Technik an.
1 Die Hersteller bestimmen den Gesamt-THC- und den Gesamt-CBD-Gehalt der Cannabisprodukte.
2 Sie entnehmen die Proben von Produktchargen für analytische Untersuchungen nach Artikel 9 Absätze 2 und 3 nach den Vorgaben der Pharmacopoea Europaea gemäss Artikel 1 der Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts über den Erlass der Pharmakopöe und die Anerkennung von Arzneibüchern vom 9. November 20016.
3 Sie behalten von jeder Produktcharge 250 Gramm als Rückstellmuster für Stichprobenkontrollen durch die zuständigen kantonalen Behörden (Art. 31) für drei Jahre unter gleichen Lagerbedingungen wie die Produktcharge zurück. Die Produktchargen sind dem Produktionsvolumen entsprechend zu bestimmen.
4 Die Hersteller bestimmen die Wirkstoffgehalte nach Absatz 1 sowie die Höchstgehalte für Kontaminanten nach Artikel 9 Absatz 3 nach anerkannten Analyseverfahren von zertifizierten Analyselaboren.
1 Cannabisprodukte dürfen nur in einer versiegelten Verpackung abgegeben werden. Cannabisprodukte zur oralen Einnahme müssen kindersicher verpackt werden.
2 Die Verpackung von Cannabisprodukten ist zu versehen mit:
3 Bei vermischten Cannabisprodukten, die Lebensmittel enthalten, gelten die entsprechenden Kennzeichnungsanforderungen nach der Verordnung des EDI vom 16. Dezember 20167 betreffend die Information über Lebensmittel.
Die Werbung für Cannabisprodukte ist verboten.
Cannabisprodukte dürfen nur durch Verkaufsstellen zugänglich gemacht werden, die:
1 An Pilotversuchen können Personen teilnehmen, die:
2 Ausgeschlossen ist die Teilnahme von Personen, die:
3 Es besteht kein Anspruch auf Teilnahme an Pilotversuchen.
4 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können ihre Einwilligung nach Absatz 1 Buchstabe c jederzeit widerrufen.
Wer Pilotversuche durchführt, muss die Teilnehmerinnen und Teilnehmer:
1 Die Menge der Cannabisprodukte, die einer Teilnehmerin oder einem Teilnehmer abgegeben wird, orientiert sich am persönlichen Bedarf pro Monat. Sie darf 10 Gramm Gesamt-THC pro Monat nicht überschreiten.
2 Die Menge der unvermischten Cannabisprodukte, die einer Teilnehmerin oder einem Teilnehmer abgegeben wird, darf 10 Gramm pro Abgabe nicht überschreiten. Bei vermischten Cannabisprodukten darf sie 2 Gramm Gesamt-THC pro Abgabe nicht überschreiten.
3 Cannabisprodukte dürfen nur gegen Entgelt an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer abgegeben werden. Bei der Festlegung des Preises sind der Wirkstoffgehalt sowie der ortsübliche Schwarzmarktpreis zu berücksichtigen.
4 Die abgegebene Menge ist zu registrieren und nach Artikel 27 Absatz 3 zu dokumentieren.
1 Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dürfen die Cannabisprodukte, die sie erwerben, nur zum Eigengebrauch verwenden und nicht im öffentlich zugänglichen Raum konsumieren.
2 Wer solche Cannabisprodukte weitergibt, wird durch den Inhaber der Bewilligung für den entsprechenden Pilotversuch mit geeigneten Massnahmen sanktioniert und im Wiederholungsfall vom Pilotversuch ausgeschlossen.
Wer Pilotversuche durchführt, muss:
1 Die Inhaber von Bewilligungen für Pilotversuche überwachen den Gesundheitszustand der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und stellen deren Behandlung im Falle von studienbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sicher.
2 Sie haben zu diesem Zweck eine verantwortliche Ärztin oder einen verantwortlichen Arzt zu bezeichnen.
1 Nach Abschluss des Pilotversuchs nicht verwendete Cannabisprodukte sind der zuständigen kantonalen Vollzugsbehörde zur Entsorgung zu übergeben.
2 Dies gilt auch für Rückstellmuster nach Ablauf der Aufbewahrungsdauer nach Artikel 10 Absatz 3.
Gesuche können von öffentlichen oder privaten Organisationen eingereicht werden.
1 Das Gesuch zur Durchführung eines Pilotversuchs ist beim BAG einzureichen.
2 Das Gesuch muss mindestens enthalten:
3 Ein Gesuch um Verlängerung nach Artikel 5 Absatz 2 ist zu begründen.
1 Das BAG erteilt die Bewilligung nach Anhörung der betroffenen Kantone und Gemeinden, wenn:
2 Es lehnt Gesuche ab, wenn ein Pilotversuch voraussichtlich zu keinen neuen oder zusätzlichen Erkenntnissen bezüglich der Ziele nach Artikel 2 führt.
1 Für den Anbau, die Einfuhr und die Herstellung von Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis, die im Rahmen von Pilotversuchen abgegeben werden, ist eine Ausnahmebewilligung des BAG nach Artikel 8 Absatz 5 BetmG erforderlich.
2 Das im Zeitpunkt der Erteilung der Ausnahmebewilligung bestimmte Anbauverfahren nach Artikel 8 Absatz 1 oder 2 gilt grundsätzlich für die gesamte Dauer des bewilligten Pilotversuchs.
3 Von dem in der Ausnahmebewilligung bestimmten Anbauverfahren kann während der Durchführung des Pilotversuchs abgewichen werden, namentlich wenn dieses Anbauverfahren nicht mehr gewährleistet werden kann oder vom konventionellen auf den biologischen Anbau umgestellt werden kann.
1 Das BAG koordiniert die Verfahren zur Durchführung eines Pilotversuchs und damit zusammenhängende Gesuche für die Erteilung von Ausnahmebewilligungen nach Artikel 8 Absatz 5 BetmG.
2 Der Gesuchsteller kann das Gesuch um Durchführung eines Pilotversuchs beim BAG und das Gesuch bei der zuständigen Ethikkommission nach Artikel 45 HFG9 gleichzeitig einreichen.
3 Das BAG und die zuständige Ethikkommission informieren sich gegenseitig und koordinieren ihre Beurteilungen.
Keine Gebühren werden erhoben für Entscheide:
1 Die Inhaber von Bewilligungen für Pilotversuche erteilen dem BAG sämtliche Auskünfte, die es zur Ausübung seiner Kontrolltätigkeit nach Artikel 29 benötigt.
2 Sie führen über ihren gesamten Verkehr mit Cannabisprodukten Buch und berichten dem BAG und den Kantonen jeweils auf Jahresende über ihren Verkehr mit Cannabisprodukten und über die Vorräte in den einzelnen Verkaufsstellen.
3 Die Dokumentations-, Melde- und Belegpflichten betreffend den Verkehr mit Cannabisprodukten richten sich sinngemäss nach den Artikeln 57–65 der Betäubungsmittelkontrollverordnung vom 25. Mai 201110.
4 Die Inhaber von Bewilligungen für Pilotversuche melden dem BAG unverzüglich ausserordentliche Ereignisse.
10 SR 812.121.1
Die Strafverfolgungsbehörden erstatten den Inhabern von Bewilligungen für Pilotversuche Meldung, falls festgestellt wurde, dass eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer Cannabisprodukte an Dritte weitergegeben hat.
1 Das BAG kontrolliert, ob die Inhaber von Bewilligungen für Pilotversuche die Bestimmungen dieser Verordnung einhalten. Es kann dazu die zuständigen kantonalen Vollzugsbehörden beiziehen.
2 Das BAG widerruft die Bewilligung, namentlich wenn:
3 Das BAG und die zuständige Ethikkommission informieren sich gegenseitig und koordinieren ihre Massnahmen.
Wer Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis für Pilotversuche anbaut, einführt, herstellt oder in Verkehr bringt, ist hinsichtlich der Einhaltung der Anforderungen nach den Artikeln 8–11 zur Selbstkontrolle verpflichtet.
Die kantonalen Behörden bezeichnen die zuständigen Kontrollstellen für die Überprüfung der Einhaltung der Anforderungen an die Qualität von Cannabisprodukten nach Artikel 9.
1 Die Inhaber von Bewilligungen für Pilotversuche haben das BAG jährlich über den Verlauf des Pilotversuchs sowie über die bezogenen, abgegebenen und gelagerten Mengen der Cannabisprodukte zu informieren.
2 Sie haben den Pilotversuch nach anerkannten wissenschaftlichen Standards auszuwerten und die Ergebnisse in einem Forschungsbericht zu dokumentieren.
3 Der Forschungsbericht ist dem BAG einzureichen.
4 Auf Anfrage sind dem BAG die anonymisierten Rohdaten für sekundäre Datenanalysen und Auswertungen über die verschiedenen Pilotversuche hinweg zuzustellen.
Das BAG informiert die Öffentlichkeit periodisch über die laufenden Pilotversuche.
1 Das BAG wertet die Forschungsberichte laufend aus im Hinblick auf den Erlass einer möglichen Gesetzesänderung für die Regelung des Umgangs mit Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis.
2 Untersucht werden insbesondere:
3 Das BAG erstellt spätestens nach Abschluss sämtlicher Pilotversuche zuhanden des Bundesrates einen Bericht. Der Bericht wertet die während der Pilotversuche gemachten Erfahrungen aus.
4 Der Bundesrat informiert die Bundesversammlung spätestens nach Abschluss sämtlicher Pilotversuche über deren Ergebnisse.
Diese Verordnung tritt am 15. Mai 2021 in Kraft und gilt bis zum 14. Mai 2031.
(Art. 9 Abs. 3)
1. Die Höchstgehalte für Kontaminanten nach Artikel 9 Absatz 3 beziehen sich auf das unzerkleinerte oder zerkleinerte getrocknete Pflanzenmaterial von weiblichen Pflanzen der Gattung Cannabis sativa L. (Hanfpflanze). Dieses Pflanzenmaterial kann dabei direkt als unverarbeitetes Cannabisprodukt verwendet werden oder als Ausgangsmaterial für verarbeitete oder vermischte Cannabisprodukte nach Artikel 4 dienen.
2. Für frisches Pflanzenmaterial als Ausgangsmaterial sowie für verarbeitete oder vermischte Cannabisprodukte gelten, falls nicht anders vermerkt, die gleichen Höchstgehalte, wobei die durch die Verarbeitung oder die Vermischung bewirkten Veränderungen der Höchstgehalte zu berücksichtigen sind.
3. Tabelle
Parameterklasse | Parameter | Höchstgehalte |
Fremde Bestandteile | ≤ 2 % | |
Mikrobielle Kontaminanten | Total aerobic microbial count (TAMC)/g | ≤ 10 000 000 CFU/g |
Total combined yeasts and moulds count (TYMC)/g | ≤ 100 000 CFU/g | |
Escherichia coli/g | ≤ 1 000 CFU/g | |
Salmonella/25 g | Abwesend | |
Mykotoxine | Aflatoxin B1 | ≤ 2 µg/kg |
Aflatoxin Σ (B1, B2, G1, G2) | ≤ 4 µg/kg | |
Ochratoxin A | ≤ 5 µg/kg | |
Schwermetalle | Blei (Pb) | ≤ 3,0 mg/kg |
Cadmium (Cd) | ≤ 1,0 mg/kg | |
Quecksilber (Hg) | ≤ 0,1 mg/kg | |
Arsen (As) | ≤ 1 mg/kg | |
Pflanzenschutzmittel (Pestizide) | Für Pflanzenschutzmittel gilt ein Höchstgehalt von 0,01 mg/kg (Bestimmungsgrenze). | |
Pyrrolizidinalkaloide | 21 Stoffe aus der Gruppe der Pyrrolizidinalkaloide, die im Anhang der Verordnung (EU) 2020/204011 | Eine Prüfung der Pyrrolizidinalkaloide sollte bei Material, das aus Freilandproduktion stammt, durchgeführt werden. Es gilt eine max. Tagesdosis von 1 µg/kg für die Summe der 21 Stoffe aus der Gruppe der Pyrrolizidinalkaloide, die im Anhang der Verordnung (EU) 2020/2040 aufgeführt sind. |
Lösungsmittel | Extraktionslösungsmittel, die für Cannabisprodukte nach Art. 4 verwendet werden dürfen, sind in Anhang 1 der Verordnung des EDI vom 16. Dezember 201612 über technologische Verfahren sowie technische Hilfsstoffe zur Behandlung von Lebensmitteln (VtVtH) aufgeführt. | Für Lösungsmittel gelten die in Anhang 1 der VtVtH definierten Höchstgehalte in extrahierten Lebensmitteln. Lösungsmittel, für die nach Anhang 1 der VtVtH keine Höchstgehalte festgelegt wurden, dürfen nach guter Herstellungspraxis verwendet werden, wenn sichergestellt wird, dass Rückstände oder Derivate in technisch unvermeidbaren Mengen vorhanden sind, die keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen. |
11 Verordnung (EU) 2020/2040 der Kommission vom 11. Dezember 2020 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 hinsichtlich der Höchstgehalte an Pyrrolizidinalkaloiden in bestimmten Lebensmitteln, ABl. L 420 vom 14.12.2020, S. 1.