311.039.6

Verordnung
über Massnahmen zur Unterstützung der Sicherheit
von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen

(VSMS)

vom 9. Oktober 2019 (Stand am 1. Oktober 2024)

Der Schweizerische Bundesrat,

gestützt auf Artikel 386 Absatz 4 des Strafgesetzbuchs1,

verordnet:

1. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Gegenstand

Diese Verordnung regelt die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an Organisationen, die Massnahmen in der Schweiz durchführen, um bestimmte Minderheiten vor Angriffen zu schützen, die im Zusammenhang mit terroristischen oder gewalttätig-extremistischen Aktivitäten im Sinne von Artikel 19 Absatz 2 Buchstaben a und e des Nachrichtendienstgesetzes vom 25. September 20152 stehen.

Art. 2 Beitragsempfängerinnen

Finanzhilfen können Organisationen des öffentlichen oder privaten Rechts erhalten, die ihren Sitz in der Schweiz haben und nicht gewinnorientiert sind.

Art. 3 Minderheiten

1 Als Minderheiten im Sinne dieser Verordnung gelten Gruppen von Personen in der Schweiz, die:

a.
gegenüber dem Rest der Bevölkerung der Schweiz oder eines Kantons in der Minderzahl sind;
b.
sich insbesondere durch eine gemeinsame Lebensweise, Kultur, Religion, Tradition, Sprache oder durch ihre sexuelle Orientierung verbunden fühlen;
c.
eine gefestigte Bindung zur Schweiz und ihren Werten haben; und
d.
ein besonderes Schutzbedürfnis aufweisen.

2 Ein besonderes Schutzbedürfnis ist dann gegeben, wenn eine Minderheit einer Bedrohung durch Angriffe im Zusammenhang mit Terrorismus oder gewalttätigem Extremismus ausgesetzt ist, die über die allgemeine, die übrige Bevölkerung treffende Bedrohung hinausgeht.

2. Abschnitt: Massnahmen

Art. 4

Der Bund kann Finanzhilfen für Massnahmen mit folgenden Zwecken gewähren:

a.
Schutz baulicher, technischer oder organisatorischer Art zur Verhinderung von Straftaten;
b.
Ausbildung für Mitglieder von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen in den Bereichen Risikoerkennung und Bedrohungsabwehr; die Ausbildung an Waffen nach Artikel 4 Absatz 1 des Waffengesetzes vom 20. Juni 19973 ist ausgeschlossen;
c.
Sensibilisierung von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen und von Dritten hinsichtlich vorhandener Bedrohungen und angezeigter spezifischer Vorkehrungen zur Gewährleistung ihrer Sicherheit;
d.
Information der Bevölkerung oder bestimmter Bevölkerungsgruppen über Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen, namentlich hinsichtlich der sie betreffenden Herausforderungen im Sicherheitsbereich.

3. Abschnitt: Finanzhilfen

Art. 5 Grundsätze

1 Die Finanzhilfen des Bundes stehen unter dem Vorbehalt der jährlichen Kreditanträge und -beschlüsse der zuständigen Organe des Bundes zum Voranschlag und Finanzplan.

2 Es besteht kein Anspruch auf Finanzhilfen.

3 Übersteigen die beantragten Finanzhilfen die verfügbaren Mittel, so erstellt die für den Entscheid zuständige Behörde (Art. 11 Abs. 6) gestützt auf Artikel 13 Absatz 2 des Subventionsgesetzes vom 5. Oktober 19904 (SuG) eine Prioritätenordnung. Kriterien für die Prioritätenordnung sind:

a.
die Dringlichkeit der Massnahme;
b.
die Qualität der Massnahme;
c.
die Effizienz des Mitteleinsatzes.
Art. 6 Materielle Voraussetzungen

Finanzhilfen können für einmalige oder wiederkehrende Massnahmen gewährt werden, die:

a.
auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind; und
b.
eine möglichst grosse Breiten- und Multiplikationswirkung erzielen oder als Lösungsansatz zur Beseitigung weiterer Bedrohungen dienen können.

2 Es werden nur Finanzhilfen gewährt, wenn eine dem Umfang der Massnahme angepasste Überprüfung ihrer Durchführung und ihrer Wirkung vorgesehen ist.

3 Keine Finanzhilfen werden gewährt:

a.
für Massnahmen, die politische Aktivitäten, Lobbyarbeiten oder missionierende Tätigkeiten beinhalten;
b.
wenn die Organisation, die das Gesuch stellt oder die unterstützt werden möchte, verbotene Tätigkeiten ausübt oder Gewalt direkt oder indirekt verherrlicht oder verharmlost;
c.
für Massnahmen, die ein längerfristiges finanzielles Engagement des Bundes bedingen.
Art. 7 Begrenzung der Finanzhilfen

1 Die Finanzhilfen des Bundes gestützt auf diese Verordnung und gestützt auf andere Bundeserlasse betragen insgesamt höchstens 50 Prozent der anrechenbaren Kosten der jeweiligen Massnahme.

2 Anrechenbar sind Kosten, die unmittelbar mit der Vorbereitung, der Durchführung und der Evaluation der Massnahme zusammenhängen.

Art. 8 Bemessung

Die Finanzhilfen werden auf der Grundlage der folgenden Elemente berechnet:

a.
Art und Bedeutung der Massnahme;
b.
Eigenleistungen der Beitragsempfängerin, Leistungen, die gestützt auf andere Bundeserlasse ausgerichtet werden, Leistungen der Kantone und lokaler Behörden sowie Leistungen Dritter.

4. Abschnitt: Verfahren für die Gewährung von Finanzhilfen

Art. 9 Grundlagen, Rechtsform und Befristung

1 Das Verfahren für die Gewährung von Finanzhilfen richtet sich nach den Bestimmungen des SuG5.

2 Die Finanzhilfen werden gewährt mittels:

a.
einer Verfügung nach Artikel 16 Absatz 1 SuG; oder
b.
eines öffentlich-rechtlichen Vertrags nach Artikel 16 Absatz 2 SuG für Massnahmen mit einem längeren Zeithorizont.

3 Ein Vertrag wird unter Kreditvorbehalt für die Dauer von höchstens vier Jahren abgeschlossen.

4 In der Verfügung oder im Vertrag werden namentlich festgelegt:

a.
der Zweck der Finanzhilfe;
b.
die Höhe der Finanzhilfe;
c.
allfällige an die Gewährung der Finanzhilfe geknüpfte Bedingungen und Auflagen;
d.
die Berichterstattung;
e.
die Qualitätssicherung.
Art. 10 Gesuche

1 Gesuche um Finanzhilfe sind beim Bundesamt für Polizei (fedpol) spätestens am 30. Juni des Jahres einzureichen, das dem Beginn der zu unterstützenden Massnahme vorausgeht.

1bis Bestehen unvorhersehbare Sicherheitsrisiken, können Gesuche für bauliche und technische Massnahmen nach Artikel 4 Buchstabe a jederzeit eingereicht werden.6

2 Die Gesuche müssen enthalten:

a.
umfassende Angaben über die Organisation, die das Gesuch stellt oder unterstützt werden möchte;
b.
detaillierte Angaben zu den Umständen, die ein besonderes Schutzbedürfnis begründen;
c.
eine detaillierte Beschreibung der geplanten Massnahme mit Angaben über Ziel, Vorgehen und erwartete Wirkungen;
d.
Angaben zur Koordination mit Massnahmen, die andere Bundesbehörden, Kantone, lokale Behörden oder Dritte ergriffen haben oder allenfalls ergreifen wollen;
e.
den Zeitplan für die Durchführung der geplanten Massnahme;
f.
einen detaillierten Kostenvoranschlag und einen Finanzierungsplan;
g.
Angaben zu den Eigenleistungen der Beitragsempfängerin, zu den Leistungen, die gestützt auf andere Bundeserlasse ausgerichtet werden, zu Leistungen der Kantone und lokaler Behörden sowie zu Leistungen Dritter.

6 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 21. Aug. 2024, in Kraft seit 1. Okt. 2024 (AS 2024 451).

Art. 11 Prüfung der Gesuche und Entscheid

1 Fedpol nimmt die Finanzhilfegesuche entgegen, bestätigt deren Eingang, prüft diese auf Vollständigkeit und fordert bei Bedarf fehlende und zusätzliche Informationen ein.

2 Es prüft die Gesuche inhaltlich.

3 Es holt beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) eine Beurteilung zum besonderen Schutzbedürfnis ein. Der NDB konsultiert die zuständigen kantonalen und kommunalen Sicherheitsbehörden.

4 Fedpol kann zusätzliche Informationen bei kantonalen oder lokalen Behörden und, in Absprache mit der Gesuchstellerin oder dem Gesuchsteller, auch bei Dritten einholen.

5 Es kann eine Begleitgruppe einsetzen, die die Gesuche aufgrund der Prioritätenordnung beurteilt und zuhanden von fedpol eine Empfehlung abgibt, welche Gesuche prioritär finanziert werden sollen.

6 Es entscheidet über die Gewährung von Finanzhilfen und erlässt die Verfügung oder schliesst den Vertrag ab.

Art. 12 Auskunfts- und Rechenschaftspflicht

1 Beitragsempfängerinnen müssen fedpol jederzeit über die Verwendung der Finanzhilfe Auskunft erteilen und Einsicht in die relevanten Unterlagen gewähren.

2 Sie haben fedpol einen Schlussbericht und eine Schlussabrechnung einzureichen; darin legen sie den Verlauf und das Ergebnis der unterstützten Massnahme dar und legen Rechenschaft ab über die verfügungs- oder vertragskonforme Verwendung der Finanzhilfe.

5. Abschnitt: Rechtsschutz

Art. 14

Der Rechtsschutz richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege.

6. Abschnitt: Schlussbestimmungen

Art. 15 Evaluation

1 Fedpol überprüft regelmässig die Zweckmässigkeit und die Wirksamkeit dieser Verordnung.

2 Es erstattet dem Bundesrat regelmässig Bericht über die Ergebnisse der Evaluation.

Art. 16 Übergangsbestimmung

Im Jahr des Inkrafttretens dieser Verordnung können auch Gesuche eingereicht, geprüft und gutgeheissen werden, die die zeitliche Vorgabe von Artikel 10 Absatz 1 nicht erfüllen.