0.822.713.91

 AS 2018 981; BBl 2016 7014

Übersetzung

Protokoll von 2014
zum Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930

Abgeschlossen in Genf am 11. Juni 2014

Von der Bundesversammlung genehmigt am 17. März 20171
Schweizerische Ratifikationsurkunde hinterlegt am 28. September 2017

In Kraft getreten am 28. September 20182

(Stand am 23. April 2020)

1 AS 2018 979

2 Art. 1 Abs. 1 des BB vom 17. März 2017

Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation,

die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 28. Mai 2014 zu ihrer einhundertdritten Tagung zusammengetreten ist;

erkennt an, dass das Verbot von Zwangs- oder Pflichtarbeit Bestandteil der Grundrechte ist und dass Zwangs- oder Pflichtarbeit die Menschenrechte und die Würde von Millionen von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen verletzt, zum Fort­bestehen von Armut beiträgt und der Verwirklichung von menschenwürdiger Arbeit für alle im Weg steht;

anerkennt, dass das Übereinkommen (Nr. 29) über Zwangsarbeit, 19303, nachstehend als «das Übereinkommen» bezeichnet, und das Übereinkommen (Nr. 105) über die Abschaffung der Zwangsarbeit, 19574, bei der Bekämpfung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit eine entscheidende Rolle spielen, dass Lücken bei ihrer Umsetzung aber zusätzliche Massnahmen erfordern;

weist darauf hin, dass die Definition der Zwangs- oder Pflichtarbeit nach Artikel 2 des Übereinkommens sich auf Zwangs- oder Pflichtarbeit in allen ihren Formen und Ausprägungen erstreckt und ohne Unterschied für alle Menschen gilt;

unterstreicht die Dringlichkeit der Beseitigung von Zwangs- und Pflichtarbeit in allen ihren Formen und Ausprägungen;

verweist auf die Verpflichtung der Mitglieder, die das Übereinkommen ratifiziert haben, Zwangs- oder Pflichtarbeit unter Strafe zu stellen und dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen Strafmassnahmen wirklich ausreichend sind und streng vollzogen werden;

stellt fest, dass die in dem Übereinkommen vorgesehene Übergangszeit abgelaufen ist und die Bestimmungen des Artikels 1 Absätze 2 und 3 und der Artikel 3–24 nicht mehr anwendbar sind;

anerkennt, dass die Umstände und Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit sich geändert haben und dass der Menschenhandel für die Zwecke von Zwangs- oder Pflichtarbeit, der mit sexueller Ausbeutung einhergehen kann, Gegenstand wachsender internationaler Sorge ist und dringende Massnahmen zu seiner effektiven Beseitigung erfordert;

stellt fest, dass eine zunehmende Zahl von Arbeitnehmern Zwangs- oder Pflichtarbeit in der Privatwirtschaft verrichtet, dass bestimmte Wirtschaftssektoren besonders anfällig sind und dass bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern einem höheren Risiko ausgesetzt sind, zu Opfern von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu werden, insbesondere Migranten;

stellt fest, dass die effektive und nachhaltige Beseitigung von Zwangs- oder Pflichtarbeit zur Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs unter Arbeitgebern sowie zum Schutz der Arbeitnehmer beiträgt;

verweist auf die einschlägigen internationalen Arbeitsnormen, insbesondere das Über­einkommen (Nr. 87) über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 19485, das Übereinkommen (Nr. 98) über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 19496, das Übereinkommen (Nr. 100) über die Gleichheit des Entgelts, 19517, das Übereinkommen (Nr. 111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf), 19588, das Übereinkommen (Nr. 138) über das Mindestalter, 19739, das Übereinkommen (Nr. 182) über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 199910, das Übereinkommen (Nr. 97) über Wanderarbeiter (Neufassung), 1949, das Übereinkommen (Nr. 143) über Wanderarbeitnehmer (ergänzende Bestimmungen), 1975, das Übereinkommen (Nr. 189) über Hausangestellte, 201111, das Übereinkommen (Nr. 181) über private Arbeitsvermittler, 1997, das Übereinkommen (Nr. 81) über die Arbeitsaufsicht, 194712, das Übereinkommen (Nr. 129) über die Arbeitsaufsicht (Landwirtschaft), 1969, sowie die Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit (1998) und die Erklärung der IAO über soziale Gerechtigkeit für eine faire Globalisierung (2008);

verweist auf andere relevante internationale Instrumente, insbesondere die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948), den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966)13, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966)14, das Übereinkommen über die Sklaverei (1926)15, das Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken (1956)16, das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (2000)17, das Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels (2000)18, das Protokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg (2000)19, die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (1990), die Konvention gegen Folter und anderer grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1984)20, das Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1979)21 und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2006)22;

hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen zum Schliessen von Lücken bei der Umsetzung des Übereinkommens, und bekräftigt, dass Präventions- und Schutz­massnahmen sowie Rechtsbehelfe, wie Entschädigung und Rehabilitation, erforderlich sind, um die effektive und nachhaltige Beseitigung von Zwangs- oder Pflichtarbeit gemäss dem vierten Punkt der Tagesordnung der Tagung zu erreichen, und

dabei bestimmt, dass diese Anträge die Form eines Protokolls zu dem Übereinkommen erhalten sollen.

Die Konferenz nimmt heute, am 11. Juni 2014, das folgende Protokoll an, das als Protokoll von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930, bezeichnet wird:

Art. 1

1.  Bei der Umsetzung seiner Verpflichtungen aus dem Übereinkommen zur Beseitigung von Zwangs- oder Pflichtarbeit hat jedes Mitglied wirksame Massnahmen zu ergreifen, um ihre Anwendung zu verhindern und zu beseitigen, um den Opfern Schutz und Zugang zu geeigneten und wirksamen Rechtsbehelfen und Abhilfemassnahmen, wie zum Beispiel Entschädigung, zu gewährleisten und um die für Zwangs- oder Pflichtarbeit Verantwortlichen zu bestrafen.

2.  Jedes Mitglied hat in Absprache mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden eine innerstaatliche Politik und einen innerstaatlichen Aktionsplan zur wirksamen und dauerhaften Beseitigung von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu entwickeln, unter Einbeziehung systematischer Massnahmen der zuständigen Stellen und gegebenenfalls in Koordinierung mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden sowie mit anderen in Betracht kommenden Gruppen.

3.  Die in dem Übereinkommen enthaltene Definition der Zwangs- oder Pflichtarbeit wird bekräftigt, und daher haben die in diesem Protokoll genannten Massnahmen ein gezieltes Vorgehen gegen den Menschenhandel für die Zwecke von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu umfassen.

Art. 2

Die zur Verhütung von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu treffenden Massnahmen haben zu umfassen:

a)
die Aufklärung und Unterrichtung der Menschen, insbesondere derjenigen, die als besonders anfällig gelten, um zu verhindern, dass sie zu Opfern von Zwangs- oder Pflichtarbeit werden;
b)
die Aufklärung und Unterrichtung der Arbeitgeber, um zu verhindern, dass sie in Zwangs- oder Pflichtarbeitspraktiken verwickelt werden;
c)
Bemühungen, um sicherzustellen, dass:
i)
der Geltungsbereich und die Durchsetzung der für die Verhütung von Zwangs- oder Pflichtarbeit relevanten Gesetzgebung, gegebenenfalls einschliesslich des Arbeitsrechts, alle Arbeitnehmer und alle Wirtschaftssektoren mit einschliessen, und
ii)
die Arbeitsaufsichtsdienste und die sonstigen Dienste, die für die Durchführung dieser Gesetzgebung verantwortlich sind, gestärkt werden;
d)
den Schutz von Personen, insbesondere Wanderarbeitnehmern, vor möglichen miss­bräuchlichen und betrügerischen Praktiken während des Anwerbungs- und Vermittlungsverfahrens;
e)
die Unterstützung der Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht sowohl des öffentlichen als auch des privaten Sektors, um den Risiken von Zwangs- oder Pflichtarbeit vorzubeugen und darauf zu reagieren;
f)
die Bekämpfung der zugrunde liegenden Ursachen und Faktoren, die die Risiken von Zwangs- oder Pflichtarbeit erhöhen.
Art. 3

Jedes Mitglied hat wirksame Massnahmen zu ergreifen zur Ermittlung, zur Befreiung, zum Schutz, zur Erholung und zur Rehabilitation aller Opfer von Zwangs- oder Pflichtarbeit sowie zur Bereitstellung anderer Formen von Hilfe und Unterstützung.

Art. 4

1.  Jedes Mitglied hat sicherzustellen, dass alle Opfer von Zwangs- oder Pflichtarbeit, ungeachtet ihrer Anwesenheit oder ihres Rechtsstatus im Hoheitsgebiet, Zugang zu geeig­neten und wirksamen Rechtsbehelfen und Abhilfemassnahmen, wie zum Beispiel Entschädigung, haben.

2.  Jedes Mitglied hat im Einklang mit den Grundsätzen seiner Rechtsordnung die Massnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die zuständigen Stellen die Befugnis haben, die Opfer von Zwangs- oder Pflichtarbeit wegen ihrer Beteiligung an unrecht­mässigen Tätigkeiten, zu denen sie als unmittelbare Folge der ihnen auferlegten Zwangs- oder Pflichtarbeit gezwungen worden sind, nicht strafrechtlich zu verfolgen oder von einer Bestrafung abzusehen.

Art. 5

Die Mitglieder haben zusammenzuarbeiten, um die Verhütung und Besei­tigung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit sicherzustellen.

Art. 6

Die Massnahmen zur Anwendung der Bestimmungen dieses Protokolls und des Über­einkommens sind durch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder durch die zuständige Stelle nach Absprache mit den in Betracht kommenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden festzulegen.

Art. 7

Die Übergangsbestimmungen von Artikel 1 Absätze 2 und 3 und der Artikel 3 bis 24 des Übereinkommens sind zu streichen.

Art. 8

1.  Ein Mitglied kann dieses Protokoll gleichzeitig mit der Ratifikation des Übereinkommens oder jederzeit danach durch Mitteilung seiner förmlichen Ratifikation dieses Protokolls an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes zur Eintragung ratifizieren.

2.  Dieses Protokoll tritt zwölf Monate, nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind, in Kraft. In der Folge tritt dieses Protokoll für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft, und das Übereinkommen bindet das betreffende Mitglied unter Einbeziehung der Artikel 1 bis 7 dieses Protokolls.

Art. 9

1.  Ein Mitglied, das dieses Protokoll ratifiziert hat, kann es, wann immer das Über­einkommen gemäss dessen Artikel 30 gekündigt werden kann, durch förmliche Mitteilung an den Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes kündigen; die Kündigung wird von diesem eingetragen.

2.  Die Kündigung des Übereinkommens gemäss dessen Artikel 30 oder 32 hat ohne weiteres die Wirkung einer Kündigung dieses Protokolls.

3.  Jede Kündigung dieses Protokolls gemäss den Absätzen 1 oder 2 dieses Artikels wird erst ein Jahr nach der Eintragung wirksam.

Art. 10

1.  Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes gibt allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation Kenntnis von der Eintragung aller Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen, die ihm von den Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

2.  Der Generaldirektor wird die Mitglieder der Organisation, wenn die Eintragung der zweiten Ratifikation erfolgt ist, auf den Zeitpunkt aufmerksam machen, zu dem dieses Protokoll in Kraft tritt.

Art. 11

Der Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes übermittelt dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zur Eintragung nach Artikel 102 der Charta der Vereinten Nationen23 vollständige Auskünfte über alle von ihm eingetragenen Ratifikationen, Erklärungen und Kündigungen.

Art. 12

Der französische und der englische Wortlaut dieses Protokolls sind in gleicher Weise verbindlich.

(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 23. April 202024

24 AS 2018 981, 2019 1293 2945, 2020 1483. Eine aktualisierte Fassung des Geltungs­bereiches findet sich auf der Internetseite des EDA (www.eda.admin.ch/vertraege).

Vertragsstaaten

Ratifikation

Inkrafttreten

Argentinien

  9. November

2016

  9. November

2017

Belgien

10. September

2019

10. September

2020

Bosnien und Herzegowina

  9. August

2018

  9. August

2019

Côte d’Ivoire

  1. November

2019

  1. November

2020

Dänemark

14. Juni

2017

17. Juni

2018

Deutschland

19. Juni

2019

19. Juni

2020

Dschibuti

  9. März

2018

  9. März

2019

Estland

24. November

2016

24. November

2017

Finnland

27. Januar

2017

27. Januar

2018

Frankreich

  7. Juni

2016

  7. Juni

2017

Irland

  4. Februar

2019

  4. Februar

2020

Island

14. Juni

2017

14. Juni

2018

Israel

11. Oktober

2018

11. Oktober

2019

Jamaika

13. Juni

2017

13. Juni

2018

Kanada

17. Juni

2019

17. Juni

2020

Lesotho

22. August

2019

22. August

2020

Lettland

  7. Dezember

2017

  7. Dezember

2018

Litauen

  5. März

2020

  5. März

2021

Madagaskar

11. Juni

2019

11. Juni

2020

Malawi

  7. November

2019

  7. November

2020

Mali

12. April

2016

12. April

2017

Malta

14. Februar

2019

14. Februar

2020

Mauretanien

  9. Februar

2016

  9. Februar

2017

Mosambik

14. Juni

2018

14. Juni

2019

Namibia

  6. November

2017

  6. November

2018

Neuseeland

13. Dezember

2019

13. Dezember

2020

Niederlande

  8. August

2017

  8. August

2018

Niger

14. Mai

2015

14. Mai

2016

Norwegen

  9. November

2015

  9. November

2016

Österreich

12. September

2019

12. September

2020

Panama

  7. September

2016

  7. September

2017

Polen

10. März

2017

10. März

2018

Russland

17. Januar

2019

17. Januar

2020

Schweden

14. Juni

2017

14. Juni

2018

Schweiz

28. September

2017

28. September

2018

Simbabwe

22. Mai

2019

22. Mai

2020

Spanien

20. September

2017

20. September

2018

Sri Lanka

10. April

2019

10. April

2020

Suriname

  3. Juni

2019

  3. Juni

2020

Thailand

  4. Juni

2018

  4. Juni

2019

Tschechische Republik

  9. Juni

2016

  9. Juni

2017

Usbekistan

16. September

2019

16. September

2020

Vereinigtes Königreich

22. Januar

2016

22. Januar

2017

Zypern

  1. Februar

2017

  1. Februar

2018