1. Befindet sich eine Person im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates und soll sie als Zeuge oder Sachverständiger von den Justizbehörden des ersuchenden Staates einvernommen werden, so kann Letzterer, sofern das persönliche Erscheinen der einzuvernehmenden Person in seinem Hoheitsgebiet nicht zweckmässig oder nicht möglich ist, darum ersuchen, dass die Einvernahme nach Massgabe der Absätze 2–7 per Videokonferenz erfolgt.
2. Der ersuchte Staat bewilligt die Einvernahme per Videokonferenz, wenn der Rückgriff auf Videokonferenzen seinen Grundprinzipien nicht zuwiderläuft und er über die technischen Vorrichtungen für eine derartige Einvernahme verfügt. Verfügt der ersuchte Staat nicht über die technischen Vorrichtungen für eine Videokonferenz, so können ihm diese vom ersuchenden Staat in gegenseitigem Einvernehmen zur Verfügung gestellt werden.
3. Ein Ersuchen um Einvernahme per Videokonferenz muss zusätzlich zu den in Artikel 27 aufgeführten Informationen die folgenden Angaben enthalten: den Grund, warum es nicht zweckmässig oder nicht möglich ist, dass der Zeuge oder der Sachverständige persönlich bei der Einvernahme anwesend ist, den Namen der Justizbehörde und der Personen, welche die Einvernahme durchführen werden.
4. Die Justizbehörde des ersuchten Staates lädt die betroffene Person in der in seinem innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Form vor.
5. Für die Einvernahme per Videokonferenz gelten folgende Regeln:
- a)
- Bei der Einvernahme ist ein Vertreter der Justizbehörde des ersuchten Staates, bei Bedarf unterstützt durch einen Dolmetscher, anwesend. Dieser Vertreter ist auch für die Identifizierung der einzuvernehmenden Person und für die Einhaltung der Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staates verantwortlich. Werden nach Ansicht der Justizbehörde des ersuchten Staates bei der Einvernahme die Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staates verletzt, so trifft sie unverzüglich die Massnahmen, die erforderlich sind, damit die Einvernahme nach diesen Prinzipien fortgeführt werden kann.
- b)
- Die zuständigen Behörden des ersuchenden Staates und des ersuchten Staates können gegebenenfalls Massnahmen zum Schutz der einzuvernehmenden Person vereinbaren.
- c)
- Die Einvernahme wird unmittelbar von oder unter Leitung der Justizbehörde des ersuchenden Staates nach dessen innerstaatlichen Rechtsvorschriften durchgeführt.
- d)
- Auf Verlangen des ersuchenden Staates oder der einzuvernehmenden Person trägt der ersuchte Staat dafür Sorge, dass diese Person bei Bedarf von einem Dolmetscher unterstützt wird.
- e)
- Die einzuvernehmende Person kann sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen, das ihr von der Rechtsordnung des ersuchten Staates oder des ersuchenden Staates eingeräumt wird.
6. Unbeschadet allfälliger zum Schutz von Personen vereinbarter Massnahmen erstellt die Justizbehörde des ersuchten Staates nach der Einvernahme ein Protokoll unter Angabe des Datums und des Ortes der Einvernahme, der Identität der einvernommenen Person, der Identität und der Funktion der übrigen Personen, die an der Einvernahme teilgenommen haben, aller allfälligen Vereidigungen und der technischen Bedingungen, unter denen die Einvernahme stattgefunden hat. Dieses Dokument wird von der Zentralbehörde des ersuchten Staates der Zentralbehörde des ersuchenden Staates übermittelt.
7. Jeder Vertragsstaat ergreift die erforderlichen Massnahmen, um sicherzustellen, dass in Fällen, in denen Zeugen oder Sachverständige nach diesem Artikel in seinem Hoheitsgebiet einvernommen werden und trotz Aussagepflicht die Aussage verweigern oder falsch aussagen, sein innerstaatliches Recht genauso gilt, als ob die Einvernahme im Rahmen eines innerstaatlichen Verfahrens erfolgen würde.
8. Die Vertragsstaaten können nach freiem Ermessen in Fällen, in denen dies angebracht erscheint, und mit Zustimmung ihrer zuständigen Justizbehörden die Bestimmungen dieses Artikels auch auf Einvernahmen per Videokonferenz anwenden, an denen eine strafrechtlich verfolgte oder eine verdächtige Person teilnimmt. In diesem Fall ist die Entscheidung, ob und in welcher Form eine Videokonferenz durchgeführt werden soll, Gegenstand einer Vereinbarung zwischen den betroffenen Vertragsstaaten, die diese Entscheidung im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und den einschlägigen internationalen Übereinkünften, einschliesslich des Internationalen Paktes vom 16. Dezember 19663 über bürgerliche und politische Rechte, treffen. Einvernahmen, an denen eine strafrechtlich verfolgte oder eine verdächtige Person teilnimmt, dürfen nur mit deren Einwilligung durchgeführt werden.