0.344.475

 AS 2014 1007; BBl 2013 159

Originaltext

Vertrag
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und
der Republik Kosovo über die Überstellung
verurteilter Personen

Abgeschlossen am 14. Mai 2012

Von der Bundesversammlung genehmigt am 13. Dezember 20131

In Kraft getreten durch Notenaustausch am 11. Mai 2014

(Stand am 11. Mai 2014)

Die Schweizerische Eidgenossenschaft
und
die Republik Kosovo,

nachfolgend: die «Vertragsparteien»,

in dem Wunsch, die internationale Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegen­heiten weiterzuentwickeln;

in der Erwägung, dass diese Zusammenarbeit den Interessen der Rechtspflege dienen und die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen fördern sollte;

in dem Wunsch, diese Ziele unter Berücksichtigung der Verpflichtungen beider Staaten hinsichtlich der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte zu ver­wirklichen;

in der Erwägung, dass diese Ziele am besten erreicht werden können, indem auslän­dischen Staatsangehörigen, denen die Freiheit wegen der Begehung einer Straftat entzogen ist, die Gelegenheit gegeben wird, die gegen sie verhängte Sanktion in ihrer Heimat zu verbüssen;

in der Erwägung, dass dies am besten dadurch verwirklicht werden kann, dass sie in ihre eigenen Länder überstellt werden;

sind wie folgt übereingekommen:

1. Teil: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieses Vertrags bezeichnet der Ausdruck:

a)
«Sanktion»: jede freiheitsentziehende Strafe oder Massnahme, die von einem Gericht wegen einer Straftat für eine bestimmte Zeit oder auf unbe­stimmte Zeit verhängt worden ist;
b)
«Urteil»: eine Entscheidung eines Gerichts, durch die eine Sanktion ver­hängt wird;
c)
«Staat»: die Republik Kosovo oder die Schweizerische Eidgenossenschaft;
d)
«Urteilsstaat»: den Staat, in dem die Sanktion gegen die Person, die über­stellt werden kann oder überstellt worden ist, verhängt worden ist;
e)
«Vollstreckungsstaat»: den Staat, in den die verurteilte Person zum Vollzug der gegen sie verhängten Sanktion überstellt werden kann oder überstellt worden ist.
Art. 2 Allgemeine Grundsätze

1 Die Vertragsparteien verpflichten sich, nach diesem Vertrag bei der Überstellung verurteilter Personen weitestgehend zusammenzuarbeiten.

2 Eine im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei verurteilte Person kann nach diesem Vertrag zum Vollzug der gegen sie verhängten Sanktion in das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei überstellt werden. Zu diesem Zweck kann sie dem Urteils- oder dem Vollstreckungsstaat gegenüber den Wunsch äussern, nach diesem Vertrag überstellt zu werden.

3 Das Ersuchen um Überstellung kann entweder vom Urteils- oder vom Voll­stre­ckungsstaat gestellt werden.

Art. 3 Voraussetzungen für die Überstellung

1 Eine verurteilte Person kann nach diesem Vertrag nur unter den folgenden Voraus­setzungen überstellt werden:

a)
Sie ist Staatsangehörige des Vollstreckungsstaats.
b)
Das Urteil ist rechtskräftig.
c)
Zum Zeitpunkt des Eingangs des Ersuchens um Überstellung sind noch min­destens sechs Monate der gegen die verurteilte Person verhängten Sanktion zu vollziehen oder die Sanktion ist von unbestimmter Dauer.
d)
Die verurteilte Person oder, sofern einer der beiden Staaten es in Anbetracht des Alters oder des körperlichen oder geistigen Zustands für erforderlich erachtet, der gesetzliche Vertreter oder die gesetzliche Vertreterin stimmt der Überstellung zu.
e)
Die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, stellen nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Straftat dar oder würden eine solche darstellen, wenn sie in dessen Hoheitsgebiet began­gen worden wären.
f)
Der Urteils- und der Vollstreckungsstaat haben sich auf die Überstellung geeinigt.

2 In Ausnahmefällen können sich die Vertragsparteien auch dann auf eine Überstel­lung einigen, wenn die Dauer der an der verurteilten Person noch zu vollziehenden Sanktion kürzer ist als die in Absatz 1 Buchstabe c vorgesehene.

3 Die Zustimmung der verurteilten Person nach Absatz 1 Buchstabe d ist nicht erforderlich, wenn die in den Artikeln 23 und 24 dieses Vertrags festgelegten Vor­aussetzungen erfüllt sind.

Art. 4 Unberührtheitsklausel

Dieser Vertrag lässt die Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten der Vertragsparteien unberührt, die sich direkt oder indirekt aus dem Völkerrecht oder internationalen Übereinkommen ergeben, insbesondere aus:

dem Internationalen Pakt vom 16. Dezember 19662 über bürgerliche und politische Rechte;
der Konvention vom 4. November 19503 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten;
dem Übereinkommen vom 10. Dezember 19844 gegen Folter und andere grau­same, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.
Art. 5 Informationspflicht

1 Jede verurteilte Person, auf die dieser Vertrag Anwendung finden kann, wird durch den Urteilsstaat vom wesentlichen Inhalt dieses Vertrags unterrichtet.

2 Hat die verurteilte Person dem Urteilsstaat gegenüber den Wunsch geäussert, nach diesem Vertrag überstellt zu werden, so teilt der Urteilsstaat dies dem Vollstre­ckungsstaat nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils so bald wie möglich mit.

3 Die Mitteilung enthält:

a)
den Namen, das Geburtsdatum und den Geburtsort der verurteilten Person;
b)
gegebenenfalls die Anschrift der verurteilten Person im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats;
c)
eine Darstellung des Sachverhalts, welcher der Sanktion zugrunde liegt; und
d)
die Art und Dauer der Sanktion sowie den Beginn des Vollzugs.

4 Hat die verurteilte Person dem Vollstreckungsstaat gegenüber den Wunsch geäus­sert, überstellt zu werden, so übermittelt der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat auf dessen Ersuchen die in Absatz 3 bezeichnete Mitteilung.

5 Die verurteilte Person wird schriftlich von dem durch den Urteils- oder den Voll­streckungsstaat aufgrund der vorstehenden Absätze Veranlassten sowie von jeder Entscheidung, die einer der beiden Staaten aufgrund eines Ersuchens um Überstel­lung getroffen hat, unterrichtet.

Art. 6 Zentralbehörde

Zentralbehörde im Sinne dieses Vertrags ist für die Schweizerische Eidgenossen­schaft das Bundesamt für Justiz des Eidgenössischen Justiz- und Polizeideparte­ments und für die Republik Kosovo das Justizministerium.

Art. 7 Ersuchen und Antworten

1 Die Ersuchen um Überstellung und die Antworten bedürfen der Schriftform.

2 Die Ersuchen werden von der Zentralbehörde des ersuchenden Staates an die Zentralbehörde des ersuchten Staates gerichtet. Die Antworten werden auf demsel­ben Weg übermittelt.

3 Der ersuchte Staat unterrichtet den ersuchenden Staat umgehend von seiner Ent­scheidung, ob er dem Ersuchen um Überstellung stattgibt oder ob er es ablehnt.

Art. 8 Unterlagen

1 Auf Ersuchen stellt der Vollstreckungsstaat dem Urteilsstaat folgende Unterlagen zur Verfügung:

a)
ein Schriftstück oder eine Erklärung, woraus hervorgeht, dass die verurteilte Person Staatsangehörige des Vollstreckungsstaats ist;
b)
eine Abschrift der Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats, aus denen hervorgeht, dass die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion im Urteilsstaat verhängt worden ist, nach dem Recht des Vollstre­ckungsstaats eine Straftat darstellen oder eine solche darstellen würden, wenn sie in dessen Hoheitsgebiet begangen worden wären.

2 Wird um Überstellung ersucht, so stellt der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat folgende Unterlagen zur Verfügung, sofern nicht einer der beiden Staaten bereits bekannt gegeben hat, dass er der Überstellung nicht stattgeben wird:

a)
das Original oder eine beglaubigte Abschrift des Urteils und der ange­wende­ten Rechtsvorschriften;
b)
eine Erklärung, aus der hervorgeht, welcher Teil der Sanktion bereits voll­zogen wurde, einschliesslich einer Mitteilung über Untersuchungshaft, Strafermässigung und alle weiteren für den Vollzug der Sanktion wesent­li­chen Umstände;
c)
eine Erklärung, welche die in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d bezeichnete Zustimmung zur Überstellung enthält; und
d)
gegebenenfalls Berichte von Ärzten und Ärztinnen oder von Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen über die verurteilte Person, Mitteilungen über ihre Behandlung im Urteilsstaat und Empfehlungen für ihre weitere Behandlung im Vollstreckungsstaat.

3 Jeder der beiden Staaten kann die in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Unter­lagen oder Erklärungen anfordern, bevor er um Überstellung ersucht oder bevor er darüber entscheidet, ob er dem Ersuchen um Überstellung stattgibt oder ob er es ablehnt.

Art. 9 Zustimmung und Nachprüfung

1 Der Urteilsstaat gewährleistet, dass diejenige Person, die nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Überstellung zuzustimmen hat, ihre Zustimmung freiwillig und im vollen Wissen um die rechtlichen Folgen gibt. Das Verfahren für diese Zustimmung richtet sich nach dem Recht des Urteilsstaats.

2 Der Urteilsstaat gibt dem Vollstreckungsstaat Gelegenheit, durch einen Konsul oder eine Konsulin oder aber einen anderen Beamten oder eine andere Beamtin, der oder die im Einvernehmen mit dem Vollstreckungsstaat bezeichnet wurde, überprü­fen zu lassen, ob die Zustimmung in Übereinstimmung mit den Bedingungen nach Absatz 1 gegeben worden ist.

Art. 10 Widerruf der Zustimmung

Die Zustimmung der verurteilten Person ist unwiderruflich, sobald sich die beiden Vertragsparteien auf die Überstellung geeinigt haben.

Art. 11 Wirkungen der Überstellung für den Urteilsstaat

1 Durch die Übernahme der verurteilten Person durch die Behörden des Voll­stre­ckungsstaats wird der Vollzug der Sanktion im Urteilsstaat ausgesetzt.

2 Entzieht sich die verurteilte Person nach der Überstellung dem Vollzug, so erlangt der Urteilsstaat wieder das Recht, den Teil der Strafe zu vollziehen, den die Person im Vollstreckungsstaat noch hätte verbüssen müssen.

3 Der Urteilsstaat darf die Sanktion nicht weiter vollziehen, wenn der Vollstre­ckungsstaat den Vollzug der Sanktion für abgeschlossen erachtet.

Art. 12 Wirkungen der Überstellung für den Vollstreckungsstaat

1 Die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats:

a)
setzen in der Schweizerischen Eidgenossenschaft den Vollzug der Sanktion unter den Bedingungen nach Artikel 13 Absatz 1 unmittelbar oder aufgrund einer Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung fort; oder
b)
wandeln in der Republik Kosovo die Entscheidung, durch welche die Sank­tion verhängt wurde, unter den Bedingungen nach Artikel 13 Absatz 2 in ei­nem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren in eine Entscheidung dieses Staates um, wobei sie die in der Schweizerischen Eidgenossenschaft ver­hängte Sanktion durch eine nach dem Recht der Republik Kosovo für die­selbe Straftat vorgesehene Sanktion ersetzen.

2 Der Vollzug der Sanktion richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats; dieser ist allein zuständig, alle erforderlichen Entscheidungen zu treffen.

Art. 13 Fortsetzung des Vollzugs und Umwandlung der Sanktion

1 Im Falle einer Fortsetzung des Vollzugs nach Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a ist die Schweizerische Eidgenossenschaft an die rechtliche Art und die Dauer der Sanktion, wie sie von der Republik Kosovo festgelegt worden sind, gebunden. Ist die Art und Dauer dieser Sanktion jedoch mit dem Recht der Schweizerischen Eidgenossenschaft nicht vereinbar oder schreibt deren Recht dies vor, so kann die Schweizerische Eidgenossenschaft die Sanktion durch eine Gerichts- oder Verwal­tungsentscheidung an die nach ihrem eigenen Recht für eine Straftat derselben Art vorgesehene Strafe oder Massnahme anpassen. Diese Strafe oder Massnahme muss ihrer Art nach soweit wie möglich der Sanktion entsprechen, die durch die zu voll­streckende Entscheidung verhängt worden ist. Sie darf nach Art oder Dauer die in der Republik Kosovo verhängte Sanktion nicht verschärfen und das nach dem Recht der Schweizerischen Eidgenossenschaft vorgesehene Höchstmass nicht überschrei­ten.

2 Im Fall einer Umwandlung der Sanktion nach Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe b ist das nach dem Recht der Republik Kosovo vorgesehene Verfahren anzuwenden. Bei der Umwandlung:

a)
ist die zuständige Behörde an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, so­weit sie sich ausdrücklich oder stillschweigend aus dem in der Schwei­zeri­schen Eidgenossenschaft ergangenen Urteil ergeben;
b)
darf die zuständige Behörde eine freiheitsentziehende Sanktion nicht in eine Geldstrafe oder Geldbusse umwandeln;
c)
hat die zuständige Behörde die Gesamtzeit des an der verurteilten Person bereits vollzogenen Freiheitsentzugs anzurechnen;
d)
darf die zuständige Behörde die strafrechtliche Lage der verurteilten Person nicht erschweren und ist sie an ein Mindestmass, das nach dem Recht der Republik Kosovo für die begangene Straftat oder die begangenen Straftaten gegebenenfalls vorgesehen ist, nicht gebunden.

3 Vor der Überstellung übermittelt der Vollstreckungsstaat dem Urteilsstaat die Entscheidung mit Angabe der Strafe.

Art. 14 Folgen der Überstellung

1 Eine Person, die nach den Bestimmungen dieses Vertrags überstellt wird, kann im Vollstreckungsstaat wegen der Tat, derentwegen im Urteilsstaat die Sanktion ver­hängt worden ist, nicht erneut ins Recht gefasst oder verurteilt werden.

2 Die überstellte Person kann jedoch im Vollstreckungsstaat in Haft gehalten, ins Recht gefasst und verurteilt werden für eine Tat, die nicht zur Verhängung der Sanktion im Urteilsstaat geführt hat, sofern diese Tat nach dem Recht des Vollstre­ckungsstaates strafrechtlich verfolgt wird.

Art. 15 Amnestie, Abänderung der Sanktion oder Begnadigung

Jeder Staat kann im Einklang mit seinen Gesetzen eine Amnestie oder eine gnaden­weise Abänderung der Sanktion gewähren, falls diese Gesetze von allgemeiner Anwendbarkeit sind. Mit Zustimmung des Urteilsstaats kann der Vollstreckungs­staat im Einklang mit seinen Gesetzen eine Begnadigung gewähren.

Art. 16 Wiederaufnahme

Der Urteilsstaat allein hat das Recht, über einen gegen das Urteil gerichteten Wie­deraufnahmeantrag zu entscheiden.

Art. 17 Beendigung des Vollzugs

Der Vollstreckungsstaat beendet den Vollzug der Sanktion, sobald ihn der Urteils­staat von einer Entscheidung oder Massnahme in Kenntnis gesetzt hat, aufgrund deren ihre Vollstreckbarkeit erlischt.

Art. 18 Unterrichtung über den Vollzug

Der Vollstreckungsstaat unterrichtet den Urteilsstaat über den Vollzug der Sanktion:

a)
wenn er den Vollzug dieser Sanktion für abgeschlossen erachtet;
b)
wenn die verurteilte Person vor Abschluss des Vollzugs dieser Sanktion aus der Haft flieht; oder
c)
wenn der Urteilsstaat um einen besonderen Bericht ersucht.
Art. 19 Eskorte und Kosten

1 Der Urteilsstaat stellt die Eskorte für die Überstellung und trägt alle Kosten im Zusammenhang mit der Überstellung, ausser wenn die Zentralbehörden etwas anderes vereinbaren.

2 Der Vollstreckungsstaat übernimmt die verurteilte Person spätestens 30 Tage nach der Einigung der Vertragsparteien über die Überstellung. Falls notwendig kann diese Frist auf Ersuchen verlängert werden.

Art. 20 Durchlieferung

1 Überstellt eine der beiden Vertragsparteien eine verurteilte Person aus einem Drittstaat, so wirkt die andere Vertragspartei mit, um die Durchlieferung durch ihr Hoheitsgebiet zu erleichtern. Die Vertragspartei, die eine solche Durchlieferung vor­zunehmen beabsichtigt, teilt dies der anderen Vertragspartei vorgängig mit.

2 Jede Vertragspartei kann die Durchlieferung verweigern:

a)
wenn es sich bei der verurteilten Person um eine ihrer Staatsangehörigen han­delt; oder
b)
wenn die Tat, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach ihrem Recht keine Straftat darstellt.
Art. 21 Sprache

1 Den nach diesem Vertrag übermittelten Schriftstücken ist eine Übersetzung in die Sprache des Staates, an die sie gerichtet sind, beizulegen.

2 Die Sprache wird in jedem einzelnen Fall von der Zentralbehörde angegeben:

a)
für die Republik Kosovo: Albanisch oder Serbisch;
b)
für die Schweizerische Eidgenossenschaft: Deutsch, Französisch oder Italie­nisch.

2. Teil: Besondere Bestimmungen zur Überstellung und zur Übernahme des Strafvollzugs ohne Zustimmung der verurteilten Person


Art. 23 Personen, die aus dem Urteilsstaat geflohen sind

1 Versucht ein Staatsangehöriger oder eine Staatsangehörige einer Vertragspartei, gegen den oder die im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei als Bestandteil eines rechtskräftigen Urteils eine Sanktion verhängt wurde, sich der Vollstreckung oder weiteren Vollstreckung der Sanktion im Urteilsstaat zu entziehen, indem er oder sie vor Verbüssung der Sanktion in das Hoheitsgebiet der ersteren Vertrags­partei flieht, so kann der Urteilsstaat die andere Vertragspartei ersuchen, die Voll­streckung der Sanktion zu übernehmen.

2 Auf Ersuchen des Urteilsstaats kann der Vollstreckungsstaat gemäss seinem inner­staatlichen Recht vor Eingang der Unterlagen zum Ersuchen oder vor der Entschei­dung über das Ersuchen die verurteilte Person festnehmen oder auf andere Weise sicherstellen, dass sie in seinem Hoheitsgebiet bleibt, bis eine Entscheidung über das Ersuchen ergangen ist. Ersuchen um vorläufige Massnahmen müssen die in Arti­kel 5 Absatz 3 dieses Vertrags genannten Angaben enthalten. Die strafrechtliche Lage der verurteilten Person darf infolge eines aufgrund dieses Absatzes in Haft verbrachten Zeitraums nicht erschwert werden.

3 Die Zustimmung der verurteilten Person ist für die Übertragung der Voll­streckung der Sanktion nicht erforderlich.

Art. 24 Verurteilte Personen, die der Ausweisung oder Abschiebung unterliegen

1 Auf Ersuchen des Urteilsstaats kann der Vollstreckungsstaat vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Artikels in die Überstellung einer verurteilten Person ohne deren Zustimmung einwilligen, wenn die gegen diese Person verhängte Sanktion oder eine infolge dieser Sanktion getroffene Verwaltungsentscheidung eine Auswei­sungs- oder Abschiebungsanordnung oder eine andere Massnahme enthält, aufgrund deren es dieser Person nicht gestattet sein wird, nach der Entlassung aus der Haft im Hoheitsgebiet des Urteilsstaats zu bleiben.

2 Der Vollstreckungsstaat erteilt seine Einwilligung im Sinne des Absatzes 1 nicht ohne die Meinung der verurteilten Person zu berücksichtigen.

3 Zur Anwendung dieses Artikels stellt der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat Folgendes zur Verfügung:

a)
eine Erklärung, aus der die Meinung der verurteilten Person zu ihrer vorge­sehenen Überstellung hervorgeht; und
b)
eine Abschrift der Ausweisungs- oder Abschiebungsanordnung oder einer sonstigen Anordnung, die bewirkt, dass die verurteilte Person nach der Ent­lassung aus der Haft nicht mehr im Hoheitsgebiet des Urteilsstaats bleiben darf.

4 Eine nach diesem Artikel überstellte Person darf wegen einer anderen vor der Überstellung begangenen Handlung als derjenigen, die der zu vollstreckenden Sanktion zugrunde liegt, nur dann verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder sichernden Massnahme in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschrän­kung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden:

a)
wenn der Urteilsstaat dies genehmigt; zu diesem Zweck ist ein Ersuchen zu stellen, dem alle zweckdienlichen Unterlagen und ein gerichtliches Protokoll über alle Erklärungen der verurteilten Person beizufügen sind. Die Geneh­migung wird erteilt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen darum ersucht wird, nach dem Recht des Urteilsstaats zur Auslieferung Anlass ge­ben könnte oder die Auslieferung nur wegen des Strafmasses ausgeschlossen wäre;
b)
wenn die verurteilte Person, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist.

5 Unbeschadet des Absatzes 4 kann der Vollstreckungsstaat die nach seinem Recht erforderlichen Massnahmen einschliesslich eines Abwesenheitsverfahrens treffen, um die Verjährung zu unterbrechen.

3. Teil: Schlussbestimmungen

Art. 25 Meinungsaustausch

Beide Vertragsparteien tauschen auf Ersuchen einer Vertragspartei ihre Meinungen über die Auslegung, Anwendung oder Umsetzung des vorliegenden Vertrags im Allgemeinen oder in Bezug auf einen Einzelfall aus.

Art. 27 Inkrafttreten

Dieser Vertrag tritt 30 Tage nach Eingang der letzten diplomatischen Note in Kraft, worin die Vertragsparteien sich über die Erfüllung der in der innerstaatlichen Gesetzgebung für das Inkrafttreten dieses Vertrags vorgesehenen Bedingungen unterrichten.

Art. 28 Kündigung

1 Jede Vertragspartei kann diesen Vertrag jederzeit durch schriftliche Mitteilung an die andere Vertragspartei kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate nach Ein­gang der Notifikation wirksam.

2 Im Falle einer Kündigung bleibt dieser Vertrag anwendbar auf den Vollzug von Sanktionen gegen Personen, die gemäss den Bestimmungen dieses Vertrags vor dem Zeitpunkt, an dem die Kündigung wirksam wird, überstellt worden sind.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die von ihren Regierungen hierzu gehörig befugten Unter­zeichneten diesen Vertrag unterschrieben.

So geschehen in Pristina am 14. Mai 2012, im Doppel in deutscher, albanischer, serbischer und englischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist. Im Falle von sich widersprechenden Auslegungen ist die englische Fassung massgebend.

Für die
Schweizerische Eidgenossenschaft:

Für die
Republik Kosovo:

Krystyna Marty Lang

Hajredin Kuçi