810.308

Organisationsverordnung
zum Humanforschungsgesetz

(Organisationsverordnung HFG, OV-HFG)

vom 20. September 2013 (Stand am 1. November 2024)

Der Schweizerische Bundesrat,

gestützt auf die Artikel 49 Absätze 1 und 2, 53 Absatz 3, 59 Absatz 6, 60 Absatz 2 und 65 des Humanforschungsgesetzes vom 30. September 20111 (HFG),

verordnet:

1. Kapitel: Ethikkommission für die Forschung

Art. 1 Zusammensetzung

1 Die Ethikkommission für die Forschung (Ethikkommission) setzt sich mindestens zusammen aus:

a.
Personen, die über ausgewiesene Fachkenntnisse in folgenden Bereichen verfügen:
1.
Medizin,
2.
Psychologie,
3.
Pflege,
4.
Pharmazie oder Pharmazeutische Medizin,
5.
Biologie,
6.
Biostatistik,
7.
Ethik,
8.
Recht, einschliesslich Datenschutz,
9.
Informationstechnologie im Gesundheitsbereich; und
b.
einer oder mehrerer Personen, welche die Patientinnen und Patienten vertritt.2

2 Sie ist nach Geschlecht und Berufsgruppen ausgewogen zusammenzusetzen.

3 In der Ethikkommission müssen Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten im jeweiligen Zuständigkeitsbereich vorhanden sein.

4 Fehlen die notwendigen Fachkenntnisse für die Beurteilung eines Forschungsprojekts, so muss die Ethikkommission externe Fachpersonen beiziehen.

2 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

Art. 2 Anforderungen an die Mitglieder

1 Die Mitglieder der Ethikkommission müssen zu Beginn ihrer Tätigkeit eine Ausbildung betreffend die Aufgaben der Ethikkommission und die Grundlagen der Beurteilung von Forschungsprojekten besuchen und sich diesbezüglich regelmässig weiterbilden.

2 Die Mitglieder nach Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a Ziffern 1–3 müssen über Erfahrung in der Durchführung von Forschungsprojekten verfügen.3

3 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

Art. 3 Wissenschaftliches Sekretariat

1 Personen, die im wissenschaftlichen Sekretariat tätig sind, müssen verfügen über:

a.4
ein abgeschlossenes Hochschulstudium;
b.
eine hinreichende Ausbildung in der Guten Klinischen Praxis;
c.
Kenntnisse über die wissenschaftliche Methodik von Forschungsprojekten am Menschen; und
d.
Kenntnisse der gesetzlichen Voraussetzungen der Forschung am Menschen.

2 Die personellen Ressourcen des wissenschaftlichen Sekretariats sind so zu bemessen, dass:

a.
dessen Verfügbarkeit für die Kommission und die Gesuchsteller sichergestellt; und
b.
die Einhaltung der Verfahrensfristen gewährleistet ist.

4 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

Art. 4 Ausstand

1 Die Mitglieder der Ethikkommission treten in den Ausstand, wenn:

a.
sie selber am Forschungsprojekt mitwirken oder aus anderen Gründen ein persönliches Interesse haben;
b.
Personen am Forschungsprojekt mitwirken, denen gegenüber sie weisungsbefugt, weisungsunterworfen oder mit denen sie persönlich verbunden sind; oder
c.
sie aus anderen Gründen in der Sache befangen sind.

2 Befangene Mitglieder dürfen nicht an der Beratung und an der Entscheidfindung über den betreffenden Gegenstand teilnehmen.

Art. 5 Ordentliches Verfahren

1 Die Ethikkommission entscheidet im ordentlichen Verfahren in einer Besetzung von mindestens sieben Mitgliedern. Sie ist so zusammenzusetzen, dass eine kompetente und interdisziplinäre Beurteilung des Gesuchs gewährleistet ist.

2 Der Entscheid erfolgt nach mündlicher Beratung. In begründeten Ausnahmefällen ist die Durchführung eines schriftlichen Verfahrens zulässig; ein Mitglied kann jederzeit eine mündliche Beratung verlangen.

3 Die Ethikkommission entscheidet mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Bei Stimmengleichheit trifft die Präsidentin oder der Präsident beziehungsweise die Vizepräsidentin oder der Vizepräsident den Stichentscheid.

4 Vorbehalten bleiben die Artikel 6 und 7.

Art. 6 Vereinfachtes Verfahren

1 Die Ethikkommission entscheidet in einer Besetzung von drei Mitgliedern über:

a.5
klinische Versuche der Kategorie A nach den Artikeln 19 Absatz 1, 20 Absatz 1, 49 Absatz 1 und 61 Absatz 1 der Verordnung vom 20. September 20136 über klinische Versuche (KlinV), wenn der Versuch nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden ist;
abis.7
klinische Versuche der Unterkategorie A1 nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a und Artikel 6a Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung vom 1. Juli 20208 über klinische Versuche mit Medizinprodukten, wenn der Versuch nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden ist;
b.
Forschungsprojekte mit Personen der Kategorie A nach Artikel 7 Absatz 1 der Humanforschungsverordnung vom 20. September 20139;
bbis.10
Forschungsprojekte mit bereits vorhandenem biologischem Material und bereits vorhandenen gesundheitsbezogenen Personendaten nach den Artikeln 32 und 33 HFG, welche mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden sind;
c.
die Weiterverwendung von biologischem Material und gesundheitsbezogenen Personendaten für die Forschung bei fehlender Einwilligung oder Information nach Artikel 34 HFG, die nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden ist;
d.
Forschungsprojekte an verstorbenen Personen, mit Ausnahme der Forschungsprojekte an künstlich beatmeten verstorbenen Personen nach Artikel 37 Absatz 2 HFG;
e.11
wesentliche Änderungen an einem bewilligten Forschungsprojekt, welche mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden sind.

2 Die Dreierbesetzung ist so zu wählen, dass eine kompetente und interdisziplinäre Beurteilung des Gesuchs gewährleistet ist.12

3 Ein schriftliches Verfahren ist zulässig, wenn kein Mitglied eine mündliche Beratung verlangt.

4 Das ordentliche Verfahren wird durchgeführt, wenn:

a.
sich keine Einstimmigkeit ergibt; oder
b.
ein Mitglied der Dreierbesetzung dies verlangt.

5 Fassung gemäss Anhang Ziff. 3 der V vom 19. Mai 2021, in Kraft seit 26. Mai 2021 (AS 2021 281).

6 SR 810.305

7 Eingefügt durch Anhang 2 Ziff. 3 der V vom 1. Juli 2020 über klinische Versuche mit Medizinprodukten (AS 2020 3033). Fassung gemäss Anhang 2 Ziff. 3 der V vom 4. Mai 2022, in Kraft seit 26. Mai 2022 (AS 2022 294).

8 SR 810.306

9 SR 810.301

10 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

11 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

12 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

Art. 7 Präsidialentscheid

1 Die Präsidentin oder der Präsident beziehungsweise die Vizepräsidentin oder der Vizepräsident der Ethikkommission entscheidet:

a.13
über Forschungsprojekte mit bereits vorhandenem biologischem Material und bereits vorhandenen gesundheitsbezogenen Personendaten nach den Artikeln 32 und 33 HFG, welche nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden sind;
b.14
über wesentliche Änderungen an einem bewilligten Forschungsprojekt, welche nicht mit besonderen Fragen in ethischer, wissenschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht verbunden sind;
c.
ob die Anforderungen an die lokalen Gegebenheiten bei multizentrischen Forschungsprojekten erfüllt sind;
d.
über Nichteintreten auf unvollständige Gesuche;
e.
über Abschreiben von Gesuchen infolge Gegenstandslosigkeit oder Rückzug;
f.
über die Erfüllung von Auflagen;
g.
die Anordnung behördlicher Massnahmen nach Artikel 48 HFG.

2 Sie oder er kann jederzeit die Durchführung des vereinfachten oder ordentlichen Verfahrens anordnen.

13 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

14 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

Art. 8 Aufbewahrungspflicht und Einsichtsrecht

1 Die Ethikkommission muss die ihr vorgelegten Gesuchsunterlagen, die Sitzungsprotokolle und die Korrespondenz während zehn Jahren nach Abschluss oder nach Abbruch eines Forschungsprojekts aufbewahren.

2 Die kantonale Aufsichtsbehörde kann diese Dokumente einsehen.

Art. 9 Meldepflicht

Die kantonale Aufsichtsbehörde meldet der Koordinationsstelle nach Artikel 10 die zuständige Ethikkommission.

2. Kapitel:15 Koordination und Information

15 Fassung gemäss Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

Art. 10 Aufgaben des Bundesamtes für Gesundheit und der Koordinationsstelle

1 Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat insbesondere folgende Aufgaben:

a.
es führt eine Koordinationsstelle zur Koordination zwischen den Ethikkommissionen sowie weiteren Prüfbehörden nach Artikel 55 Absatz 1 HFG;
b.
es beaufsichtigt die nach Artikel 10a an Dritte ausgelagerten Koordinationsaufgaben;
c.
es erlässt Richtlinien über den Inhalt der Berichterstattung der Ethikkommissionen nach Artikel 55 Absatz 2 HFG;
d.
es informiert die Öffentlichkeit, namentlich erstellt es eine Zusammenfassung der Jahresberichte der Ethikkommissionen und eine statistische Übersicht über die bewilligten Forschungsprojekte.

2 Die Koordinationsstelle stellt insbesondere einen regelmässigen Austausch zwischen den beteiligten Prüfbehörden sicher.

3 Sie kann in Zusammenarbeit mit den Ethikkommissionen und allenfalls weiteren betroffenen Prüfbehörden Empfehlungen zum Bewilligungs- und zum Meldeverfahren und zu einzelnen Aspekten der Entscheidpraxis bereitstellen.

Art. 10a Übertragung von Koordinationsaufgaben auf die Schweizerische Vereinigung der Forschungsethikkommissionen

1 Die Koordination zwischen den Ethikkommissionen wird der Schweizerischen Vereinigung der Forschungsethikkommissionen (Swissethics) übertragen. Für den nachweisbaren Aufwand in diesem Zusammenhang erhält Swissethics eine Abgeltung des Bundes.

2 Einzelheiten betreffend die Aufgabenübertragung und die Abgeltung werden in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen dem BAG und Swissethics geregelt.

3. Kapitel: Datenschutz

Art. 11 Bekanntgabe von Personendaten

1 Bevor die Vollzugsbehörde Personendaten an die zuständigen Stellen nach Artikel 59 Absätze 1 und 2 HFG bekannt gibt, lädt sie die betroffene Person zur Stellungnahme ein und informiert sie gleichzeitig über:

a.
den Zweck der Datenbekanntgabe;
b.
den Umfang der Daten, die bekannt gegeben werden sollen; und
c.
den Datenempfänger.

2 Die Pflichten gemäss Absatz 1 entfallen, wenn:

a.16
die betroffene Person bereits über die entsprechenden Informationen verfügt;
b.17
...
c.
die unmittelbare Gefahr besteht, dass Rechtsansprüche oder wichtige Interessen Dritter beeinträchtigt oder die Erfüllung gesetzlicher Aufgaben vereitelt werden; oder
d.
die betroffene Person unauffindbar ist.

3 Sollen Daten in Anwendung von Artikel 59 Absatz 3 HFG veröffentlicht werden, so müssen alle Angaben, die in ihrer Kombination die Wiederherstellung des Bezugs zur betroffenen Person ohne unverhältnismässigen Aufwand erlauben, unkenntlich gemacht oder gelöscht werden. Hierzu gehören insbesondere der Name, die Adresse, das Geburtsdatum und eindeutig kennzeichnende Identifikationsnummern.

16 Fassung gemäss Anhang 2 Ziff. II 96 der Datenschutzverordnung vom 31. Aug. 2022, in Kraft seit 1. Sept. 2023 (AS 2022 568).

17 Aufgehoben durch Anhang 2 Ziff. II 96 der Datenschutzverordnung vom 31. Aug. 2022, mit Wirkung seit 1. Sept. 2023 (AS 2022 568).

Art. 11a18 Datenübermittlung durch die Kantone

Die Kantone übermitteln dem BAG die Daten aus dem Informationssystem der Kantone, welche es benötigt für:

a.
die Information der Öffentlichkeit;
b.
die Evaluation der Humanforschungsgesetzgebung;
c.
das Betreiben des Portals nach Artikel 67 KlinV19.

18 Eingefügt durch Ziff. I der V vom 7. Juni 2024, in Kraft seit 1. Nov. 2024 (AS 2024 324).

19 SR 810.305

Art. 1220 Austausch von Daten mit ausländischen Behörden und Institutionen

1 Zum Austausch vertraulicher Daten mit ausländischen Behörden und Institutionen sowie internationalen Organen sind befugt:

a.
die zuständige Ethikkommission;
b.
die kantonale Aufsichtsbehörde;
c.
das Schweizerische Heilmittelinstitut; und
d.
das BAG.

2 Personendaten dürfen ins Ausland bekanntgegeben werden, wenn der Bundesrat festgestellt hat, dass die Gesetzgebung des betreffenden Staates oder das internationale Organ einen angemessenen Schutz nach Artikel 16 Absatz 1 des Datenschutzgesetzes vom 25. September 202021 (DSG) gewährleistet. Liegt keine Beurteilung des Bundesrates vor, so dürfen Personendaten ins Ausland bekanntgegeben werden, wenn hinreichende Garantien, insbesondere durch Vertrag, einen geeigneten Schutz im Ausland gewährleisten.

3 Abweichend von Artikel 16 Absätze 1 und 2 DSG dürfen in den folgenden Fällen Personendaten ins Ausland bekanntgegeben werden:

a.
Die Bekanntgabe ist notwendig, um das Leben oder die körperliche Unversehrtheit der betroffenen Person oder eines Dritten zu schützen, und es ist nicht möglich, innerhalb einer angemessenen Frist die Einwilligung der betroffenen Person einzuholen.
b.
Die Bekanntgabe ist zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit unerlässlich.
c.
Die betroffene Person hat ausdrücklich in die Bekanntgabe eingewilligt.

4 Werden die Personendaten ins Ausland bekanntgegeben, so teilt die Vollzugsbehörde der betroffenen Person den Staat oder das internationale Organ und gegebenenfalls die Garantien nach Artikel 16 Absatz 2 DSG oder die Anwendung einer Ausnahme nach Artikel 17 DSG mit.

20 Fassung gemäss Anhang 2 Ziff. II 96 der Datenschutzverordnung vom 31. Aug. 2022, in Kraft seit 1. Sept. 2023 (AS 2022 568).

21 SR 235.1

4. Kapitel: Inkrafttreten

Art. 13

Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2014 in Kraft.