312.2

Bundesgesetz
über den ausserprozessualen Zeugenschutz

(ZeugSG)

vom 23. Dezember 2011 (Stand am 1. Juni 2022)

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

gestützt auf die Artikel 38 Absatz 1, 54 Absatz 1, 57 Absatz 2, 122 Absatz 1
und 123 Absatz 1 der Bundesverfassung1,
nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 17. November 20102,

beschliesst:

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen

Art. 1 Gegenstand

Dieses Gesetz regelt:

a.
die Durchführung von Zeugenschutzprogrammen für Personen, welche auf­grund ihrer Mitwirkung in einem Strafverfahren gefährdet sind;
b.
die Errichtung der Zeugenschutzstelle des Bundes und deren Aufgaben.
Art. 2 Geltungsbereich

1 Dieses Gesetz gilt für Personen:

a.
die aufgrund ihrer Mitwirkung oder Mitwirkungsbereitschaft in einem Strafver­fahren des Bundes oder der Kantone einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben oder einem anderen schweren Nachteil ausgesetzt sind oder sein können; und
b.
ohne deren Mitwirkung die Strafverfolgung unverhältnismässig erschwert wäre oder unverhältnismässig erschwert gewesen wäre.

2 Es gilt auch für Personen, die einer Person gemäss Absatz 1 in einem Verhältnis nach Artikel 168 Absätze 1–3 der Strafprozessordnung3 (StPO) nahestehen und deswegen einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben oder einem anderen schwe­ren Nachteil ausgesetzt sind oder sein können.

3 Für Personen, für die ein Zeugenschutzprogramm eines ausländischen Staates oder eines internationalen Strafgerichts durchgeführt wird und die aus Sicherheitsgründen in die Schweiz verbracht werden, gilt das 2. Kapitel 4. und 5. Abschnitt dieses Gesetzes, soweit ein die Schweiz bindender völkerrechtlicher Vertrag keine abwei­chenden Bestimmungen enthält.

2. Kapitel: Zeugenschutzprogramm

1. Abschnitt: Begriff, Zweck und Inhalt

Art. 3 Begriff

Ein Zeugenschutzprogramm ist eine Gesamtheit von ausserprozessualen Zeugen­schutzmassnahmen, die individuell zusammengestellt werden und mit denen eine Person vor jeder gefährlichen Auswirkung ihrer Mitwirkung in einem Strafverfah­ren, einschliesslich der Einschüchterung, geschützt werden soll.

Art. 4 Zweck

Zeugenschutzprogramme nach diesem Gesetz haben zum Zweck:

a.
eine gefährdete Person und soweit erforderlich die ihr nahestehenden Perso­nen für die Dauer ihrer Gefährdung zu schützen;
b.
die Strafverfolgung dadurch zu unterstützen, dass die Aussagebereitschaft und die Aussagefähigkeit einer Person sichergestellt sind;
c.
die zu schützende Person bei der Wahrung ihrer persönlichen und vermögens­rechtlichen Interessen während der Dauer ihrer Gefährdung zu beraten und zu unterstützen.
Art. 5 Inhalt

Ein Zeugenschutzprogramm kann namentlich die folgenden ausserprozessualen Zeugenschutzmassnahmen umfassen:

a.
Unterbringung an einem sicheren Ort;
b.
Wechsel des Arbeits- und des Wohnortes;
c.
Bereitstellung von Hilfsmitteln;
d.
Sperre der Bekanntgabe von Daten über die zu schützende Person;
e.
Aufbau einer neuen Identität der zu schützenden Person für den erforder­li­chen Zeitraum;
f.
finanzielle Unterstützung.

2. Abschnitt: Ausarbeitung eines Zeugenschutzprogramms

Art. 6 Antrag

1 Die zuständige Verfahrensleitung kann bei der Zeugenschutzstelle Antrag auf Durchführung eines Zeugenschutzprogramms stellen, wenn die zu schützende Person ihre Bereitschaft zur Mitwirkung im Strafverfahren geäussert hat.

2 Soll ein Antrag nach Beendigung des Strafverfahrens gestellt werden, so stellt ihn die für den verfahrensabschliessenden Entscheid zuständige Behörde.

3 Die antragstellende Behörde begründet den Antrag und äussert sich insbesondere zum Interesse der Öffentlichkeit an der Strafverfolgung, zur Bedeutung der Mitwir­kung für das Strafverfahren und zur Gefährdungslage.

4 Der Antrag und der damit zusammenhängende Schriftverkehr sind nicht Bestand­teil der Akten des Strafverfahrens.

5 Der Bundesrat regelt die Einzelheiten der Antragsstellung.

Art. 7 Prüfung des Antrags

1 Die Zeugenschutzstelle führt ein umfassendes Prüfverfahren durch. Sie prüft insbesondere:

a.
ob die Gefährdung der zu schützenden Person erheblich ist;
b.
ob die zu schützende Person für ein Zeugenschutzprogramm geeignet ist;
c.
ob bei der zu schützenden Person Vorstrafen oder ob andere Umstände vorlie­gen, welche eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder von ent­gegenstehenden Interessen Dritter darstellen könnten, wenn die Person in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen würde;
d.
ob Massnahmen der allgemeinen Gefahrenabwehr durch die Kantone oder prozessuale Zeugenschutzmassnahmen nach den Artikeln 149–151 StPO4 nicht ausreichend wären;
e.
ob ein erhebliches öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.

2 Sie informiert die zu schützende Person über:

a.
Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen eines Zeugenschutzpro­gramms;
b.
die Auswirkungen auf die persönliche Lebenssituation.

3 Sie kann im Rahmen des Prüfverfahrens die notwendigen Sofortmassnahmen zugunsten der zu schützenden Person ergreifen.

Art. 8 Entscheid

1 Die Direktorin oder der Direktor des Bundesamtes für Polizei (fedpol) entscheidet über die Durchführung eines Zeugenschutzprogramms auf Antrag der Zeugen­schutzstelle.

2 Sie oder er berücksichtigt bei der Interessenabwägung insbesondere die Kriterien nach Artikel 7 Absatz 15.

3 Der Entscheid wird der zu schützenden Person und der antragstellenden Behörde schriftlich und begründet mitgeteilt.

4 Die zu schützende Person und die antragstellende Behörde sind berechtigt, gegen einen Entscheid Beschwerde zu führen.

5 Der Entscheid ist nicht Bestandteil der Akten des Strafverfahrens.

5 Berichtigt von der Redaktionskommission der BVers (Art. 58 Abs. 1 ParlG – SR 171.10).

Art. 9 Zustimmung und Beginn des Zeugenschutzprogramms

1 Die Zeugenschutzstelle informiert die zu schützende Person über den Ablauf des Zeugenschutzprogramms, über ihre Rechte und Pflichten sowie über die Folgen bei deren Verletzung.

2 Das Zeugenschutzprogramm beginnt erst mit der schriftlichen Zustimmung der zu schützenden Person oder ihrer gesetzlichen Vertretung zu laufen.

Art. 10 Änderungen im Zeugenschutzprogramm

1 Die Direktorin oder der Direktor von fedpol entscheidet über wesentliche Ände­rungen im Zeugenschutzprogramm, welche grundlegende Auswirkungen auf die persönliche Lebenssituation der zu schützenden Person haben.

2 Die zu schützende Person kann gegen den Entscheid Beschwerde führen. Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach Artikel 8 Absätze 3 und 4.

3. Abschnitt: Beendigung des Zeugenschutzprogramms und Fortführung über das Ende eines Strafverfahrens hinaus


Art. 11 Beendigung

1 Die Direktorin oder der Direktor von fedpol kann das Zeu­genschutzprogramm auf Antrag der Zeugenschutzstelle beenden, wenn die zu schützende Person:

a.
nicht mehr gefährdet ist; oder
b.
die vereinbarten Pflichten verletzt.

2 Bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Strafverfahrens kann das Zeugenschutz­programm nur nach Rücksprache mit der zuständigen Verfahrensleitung beendet werden. Ist das Verfahren beim Gericht hängig, so ist zusätzlich mit der Staats­anwaltschaft Rücksprache zu nehmen.

3 Die Direktorin oder der Direktor von fedpol muss das Zeugenschutzprogramm in jedem Fall beenden, wenn die zu schützende Person dies ausdrücklich wünscht.

4 Der Bundesrat regelt die Beendigung des Zeugenschutzprogramms.

Art. 12 Fortführung über das Ende des Strafverfahrens hinaus

Das Zeugenschutzprogramm wird über den Abschluss des Strafverfahrens durch rechtskräftiges Urteil oder Einstellungsverfügung hinaus fortgeführt, wenn die Gefährdung fortbesteht und die Zustimmung der zu schützenden Person zur Mitwir­kung im Zeugenschutzprogramm weiterhin vorliegt.

4. Abschnitt: Rechte und Pflichten der zu schützenden Person

Art. 13 Ansprüche Dritter gegenüber der zu schützenden Person

1 Die zu schützende Person hat der Zeugenschutzstelle ihr bekannte Ansprüche Dritter gegen sie offenzulegen.

2 Die Zeugenschutzstelle stellt sicher, dass:

a.
während der Durchführung des Zeugenschutzprogramms die Erreichbarkeit der zu schützenden Person im Rechtsverkehr gewährleistet ist; und
b.
Dritte ihre Ansprüche gegenüber der zu schützenden Person weiterhin gel­tend machen können.

3 Sie setzt Dritte über die Durchführung eines Zeugenschutzprogramms in Kenntnis, falls es zur Sicherung von deren Ansprüchen gegenüber der zu schützenden Person unerlässlich ist. Sie bestätigt ihnen gegenüber Tatsachen, die zur Entscheidung über den Anspruch von Bedeutung sind.

Art. 14 Ansprüche der zu schützenden Person gegenüber Dritten

1 Ansprüche der zu schützenden Person gegenüber Dritten werden durch Massnah­men nach diesem Gesetz nicht berührt.

2 Die Zeugenschutzstelle setzt Dritte über die Durchführung eines Zeugenschutzpro­gramms in Kenntnis, soweit dies zur Sicherung von Ansprüchen der zu schützenden Person gegenüber diesen Dritten unerlässlich ist. Sie bestätigt ihnen gegenüber Tatsachen, die zur Entscheidung über den Anspruch von Bedeutung sind.

Art. 15 Finanzielle Leistungen der Zeugenschutzstelle

1 Die zu schützende Person erhält von der Zeugenschutzstelle im Rahmen des Zeu­genschutzprogramms finanzielle Leistungen so lange und in dem Umfang, als dies zum Zwecke des Schutzes und für die Kosten der Lebenshaltung erforderlich ist.

2 Für die Kosten der Lebenshaltung wird ein den wirtschaftlichen Verhältnissen angemessener Beitrag geleistet. Dabei werden das bisherige rechtmässige Einkom­men und Vermögen, die familiären Verhältnisse, die Unterhalts- und Unterstüt­zungspflichten und die Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt. Als untere Grenze gelten die Ansätze der Sozialhilfe des Aufenthaltsortes.

3 Die Zeugenschutzstelle kann die Leistungen zurückfordern, wenn sie aufgrund wissentlich falscher Angaben gewährt worden sind.

Art. 16 Mitwirkung in Verfahren
1 Eine zu schützende Person ist in Gerichts- und Verwaltungsverfahren von Bund, Kantonen oder Gemeinden, in welchen ihre neue Identität oder der Wohn- oder Aufenthaltsort nicht bekannt ist, berechtigt, Angaben zu verweigern, die Rück­schlüsse auf die neue Identität sowie den Wohn- oder Aufenthaltsort erlauben.

2 Anstelle des Wohn- oder Aufenthaltsorts ist die Zeugenschutzstelle zu benennen.

3 In Strafverfahren richtet sich die Verweigerung von Aussagen nach den Bestim­mungen der StPO6, in Militärstrafverfahren nach den Bestimmungen des Militärstraf­prozesses vom 23. März 19797.

5. Abschnitt: Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen und Privaten

Art. 17 Sperre der Bekanntgabe von Daten

1 Die Zeugenschutzstelle kann von öffentlichen Stellen und von Privaten verlangen, dass diese bestimmte Daten der zu schützenden Person nicht bekanntgeben, soweit die bestehenden technischen Möglichkeiten dies erlauben.

2 Derart angegangene öffentliche Stellen und Private haben bei ihrer Datenbearbei­tung sicherzustellen, dass der Zeugenschutz nicht beeinträchtigt wird.

Art. 18 Mitteilungs- und Aushändigungspflicht

1 Von der Zeugenschutzstelle angegangene öffentliche Stellen und Private teilen dieser festgestellte Ersuchen um Auskunft über die zu schützende Person unverzüg­lich mit.

2 Bestehen bei automatisierten Informationssystemen Abfrageprotokolle, so sind der Zeugenschutzstelle auf deren Verlangen Auszüge auszuhändigen, die Abfragen zu der zu schützenden Person dokumentieren.

3 Die Zeugenschutzstelle kann die Mitteilungs- und die Aushändigungspflicht aus­dehnen auf Auskunftsersuchen und Abfragen über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zeugenschutzstelle.

Art. 19 Aufbau einer neuen Identität für den erforderlichen Zeitraum

1 Die Zeugenschutzstelle kann zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer vorü­bergehenden neuen Identität für eine zu schützende Person von öffentlichen Stellen und von Privaten verlangen:

a.
Urkunden oder sonstige Dokumente mit den von der Zeugenschutzstelle mit­geteilten Daten herzustellen oder zu verändern; und
b.
diese Daten in ihrem Informationssystem zu bearbeiten.

2 Die Zeugenschutzstelle berücksichtigt öffentliche Interessen oder schutzwürdigen Interessen Dritter.

3 Wird die neue Identität aufgehoben, so sorgt die Zeugenschutzstelle in Zusammen­arbeit mit öffentlichen Stellen und Privaten dafür, dass die neuen Einträge mit den Einträgen der ursprünglichen Identität zusammengeführt und anschliessend gelöscht werden.

4 Der Aufbau einer vorübergehenden neuen Identität ist für den erforderlichen Zeitraum auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zeugenschutzstelle zulässig.

Art. 20 Anhörung bei Aufenthaltsregelungen für Ausländerinnen und Ausländer

Die zuständige Behörde hört die Zeugenschutzstelle an, bevor sie gegenüber einer zu schützenden Person:

a.
eine Bewilligung nach den Artikeln 32–34 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dezember 20058 (AIG)9 verweigert;
b.
eine bereits erteilte Bewilligung in Anwendung von Artikel 62 oder 63 AIG nicht verlängert oder widerruft;
c.
Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen nach den Artikeln 64–68 AIG ver­fügt.

8 SR 142.20

9 Der Titel wurde in Anwendung von Art. 12 Abs. 2 des Publikationsgesetzes vom 18. Juni 2004 (SR 170.512) auf den 1. Jan. 2019 angepasst. Diese Anpassung wurde im ganzen Text vorgenommen.

Art. 21 Abstimmung bei freiheitsentziehenden Massnahmen

Die Zeugenschutzstelle trifft Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Art und den Ort des Vollzugs einer die zu schützende Person betreffenden Untersuchungshaft, Sicherheitshaft, Freiheitsstrafe oder einer sonstigen freiheitsentziehenden Mass­nahme haben, nach Rücksprache mit den zuständigen Strafvollzugsbehörden.

3. Kapitel: Zeugenschutzstelle

1. Abschnitt: Organisation und Aufgaben

Art. 22 Organisation

1 Der Bund richtet zum Zweck des Zeugenschutzes nach diesem Gesetz eine Zeu­genschutzstelle ein.

2 Die Zeugenschutzstelle ist fedpol unterstellt. Sie ist personell und organisatorisch von den Einheiten zu trennen, die Ermittlungen führen.

Art. 23 Aufgaben und Ausbildung

1 Die Zeugenschutzstelle erfüllt die folgenden Aufgaben:

a.
Sie prüft Anträge auf Ausarbeitung eines Zeugenschutzprogramms für eine zu schützende Person und stellt der Direktorin oder dem Direktor von fedpol Antrag.
b.
Sie führt die im Einzelfall erforderlichen und angemessenen Massnahmen zur Gewährleistung eines effektiven Schutzes durch.
c.
Sie berät und betreut die zu schützende Person und unterstützt sie bei der Abwicklung persönlicher Angelegenheiten.
d.
Sie koordiniert die ausserprozessualen Zeugenschutzmassnahmen nach die­sem Gesetz mit den nötigen prozessualen Zeugenschutzmassnahmen gemäss der StPO10.
e.
Sie berät und unterstützt die inländischen Polizeibehörden bei Schutzmass­nahmen zugunsten von Personen im Vorfeld und ausserhalb eines Zeugen­schutzprogramms gemäss diesem Gesetz.
f.
Sie prüft das Ersuchen eines ausländischen Staates oder eines internationa­len Strafgerichts zur Durchführung des Schutzes einer Person in der Schweiz.
g.
Sie koordiniert die Zusammenarbeit mit den zuständigen Dienststellen im Ausland.
h.
Sie koordiniert die Zusammenarbeit mit beteiligten Dritten, insbesondere mit Organisationen der spezialisierten Opferbetreuung.

2 Der Bundesrat regelt die Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zeugenschutzstelle.

Art. 24 Aktenführung und Geheimhaltung

1 Die Zeugenschutzstelle führt die Akten so, dass diese jederzeit eine vollständige und genaue Übersicht über die im Zusammenhang mit dem Zeugenschutz getroffe­nen Entscheidungen und Massnahmen ermöglichen.

2 Die Akten unterliegen der Geheimhaltung. Sie sind nicht Bestandteil der Akten des Strafverfahrens.

3 Das Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 200411 ist nicht anwendbar auf Akten, welche sich auf die Durchführung von Zeugenschutzprogrammen beziehen.

2. Abschnitt: Datenbearbeitung

Art. 25 Informationssystem

1 Die Zeugenschutzstelle betreibt zur Erfüllung ihrer Aufgaben ein Informations­system.

2 Das System enthält diejenigen Personendaten, welche die Zeugenschutzstelle zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz benötigt.

3 Es ist nicht mit anderen Systemen verbunden.

4 Die Datenbearbeitung erfolgt ausschliesslich durch die für den Zeugenschutz zuständige Organisationseinheit von fedpol.

5 Der Bundesrat legt für das System fest:

a.
die Verantwortlichkeit bei der Datenbearbeitung;
b.
den Datenkatalog;
c.
die Aufbewahrungsdauer der Daten und das Verfahren zur Datenlöschung;
d.
die Weitergabe von Daten im Einzelfall an Dritte, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist;
e.
die Bestimmungen zur Gewährleistung der Datensicherheit;
f.
die Protokollierung der Abfragen.
Art. 26 Im Informationssystem gespeicherte Daten

1 Das Informationssystem enthält Daten, welche die Zeugenschutzstelle zur Prüfung der Eignung einer Person für ein Zeugenschutzprogramm sowie zur Übersicht über die persönlichen und die vermögensrechtlichen Verhältnisse der zu schützenden Person benötigt, insbesondere über:

a.
ihre engen persönlichen Beziehungen und ihre familiären Verhältnisse;
b.
ihre finanzielle Lage;
c.
ihre Gesundheit;
d.
ihre Vorstrafen und weitere Ereignisse und Aktivitäten, die den Entscheid über die Aufnahme in ein Programm oder die Gestaltung der Auflagen und Bedingungen beeinflussen können.

2 Es enthält überdies Daten nach Absatz 1 über die mutmassliche gefährdende Person und über deren Umfeld, welche die Zeugenschutzstelle zur Abklärung der Gefährdungslage benötigt.

Art. 27 Datenbeschaffung

1 Die Zeugenschutzstelle kann die nach Artikel 26 benötigten Daten wie folgt be­schaffen:

a.
Sie kann über ein Abrufverfahren direkt auf das Strafregister, das zentrale Migrationssystem, die polizeilichen Informationssysteme des Bundes und über eine Kurzabfrage auf das informatisierte Staatsschutz-Informations­system zugreifen.
b.
Sie kann Auszüge aus den Registern der Betreibungs- und Konkursbehör­den, der Zivilstandsämter, der Steuerämter und der Einwohnerkontrollen verlangen.
c.
Sie kann die zuständigen kantonalen Polizeikorps anweisen, Daten über die zu schützende Person oder deren Gefährder zu beschaffen oder mitzuteilen, welche für die Eignungsprüfung oder die Abklärung der Gefährdungslage notwendig sind.
d.
Sie kann Auskünfte bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden über lau­fende Strafverfahren einholen.
e.
Sie kann Auskünfte bei weiteren öffentlichen Stellen und bei Privaten einho­len, wenn die betroffene Person zugestimmt hat.
f.
Sie kann die betroffenen Personen persönlich befragen.

2 Die Beschaffung und die Mitteilung von Daten nach Absatz 1 zugunsten der Zeu­genschutzstelle werden nicht in Rechnung gestellt.

4. Kapitel: Zusammenarbeit mit dem Ausland

Art. 28 Übergabe und Übernahme von zu schützenden Personen

1 fedpol kann eine zu schützende Person ans Ausland übergeben oder eine zu schüt­zende Person vom Ausland übernehmen, wenn:

a.
es zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen der zu schützenden Person unerlässlich ist;
b.
die aufnehmende Zeugenschutzstelle die erforderlichen Schutzmassnahmen gewährleisten kann;
c.
die Zustimmung der zu schützenden Person vorliegt;
d.
dadurch keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere oder äus­sere Sicherheit der Schweiz entsteht;
e.
die Schweiz mit dem entsprechenden Staat diplomatische Beziehungen pflegt;
f.
die Rücknahme der zu schützenden Person durch die übergebende Zeugen­schutzstelle jederzeit möglich ist; und
g.
die Aufteilung der Kosten nach den Grundsätzen von Artikel 29 erfolgt.

2 Für die Übernahme einer Person holt fedpol vorgängig die Zustimmung der für die Aufenthaltsregelung zuständigen Behörde ein.

Art. 29 Kostenteilung

1 Die Kosten bei einer Übergabe oder Übernahme nach Artikel 28 sind nach den folgenden Grundsätzen aufzuteilen:

a.
Die Lebenshaltungskosten der zu schützenden Person sowie die laufenden Kosten für besondere Zeugenschutzmassnahmen werden von der ersuchen­den Zeugenschutzstelle getragen.
b.
Die Personal- und Sachkosten sowie die Kosten für nicht mit der ersuchen­den Zeugenschutzstelle abgestimmte Massnahmen werden von der ersuchten Zeugenschutzstelle getragen.

2 Ausnahmsweise kann im Einzelfall auch der Personalaufwand von der ersuchen­den Zeugenschutzstelle getragen werden, sofern die andere Seite Gegenrecht hält.

3 Vorbehalten bleiben Kostenvereinbarungen mit einer zuständigen Stelle des Aus­lands oder eines internationalen Strafgerichts gestützt auf einen Staatsvertrag.

5. Kapitel: Geheimhaltung

Art. 30 Schweigepflicht

1 Wer aufgrund seiner Mitwirkung im Zeugenschutzprogramm Kenntnisse über eine zu schützende Person oder über Zeugenschutzmassnahmen erlangt, darf diese Kenntnisse nicht ohne Zustimmung der Zeugenschutzstelle offenbaren.

2 Die Zeugenschutzstelle informiert die mitwirkenden Personen über ihre Schweige­pflicht.

3 Die zu schützende Person darf Kenntnisse über die sie betreffenden Zeugen­schutzmassnahmen oder über die sie betreuenden Personen nicht ohne Zustimmung der Zeugenschutzstelle offenbaren.

Art. 31 Strafdrohung für die Verletzung der Schweigepflicht

1 Wer die Schweigepflicht nach Artikel 30 dieses Gesetzes verletzt, wird mit einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bestraft, sofern nicht ein mit einer höheren Strafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen des Strafgesetzbuches12 vorliegt.

2 Das unbefugte Offenbaren von Personendaten oder von Kenntnissen über Zeugen­schutzmassnahmen ist auch nach Beendigung der Tätigkeit, bei welcher die Daten anvertraut wurden, strafbar.

6. Kapitel: Aufsicht

Art. 32 Berichterstattung

1 Die Zeugenschutzstelle erstattet der Vorsteherin oder dem Vorsteher des Eidge­nössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) jährlich Bericht über ihre Tätig­keit.

2 Die Berichterstattung umfasst namentlich Angaben über:

a.
die Zahl der abgeschlossenen und der hängigen Zeugenschutzfälle;
b.
die Zahl der errichteten vorübergehenden neuen Identitäten;
c.
die Zahl der abgelehnten Ersuchen um Aufnahme in ein Zeugenschutzpro­gramm;
d.
den Einsatz von Personal sowie von Finanz- und Sachmitteln;
e.
die Zahl der Beschwerden gegen Verfügungen von fedpol und die Ergeb­nisse dieser Beschwerden.
Art. 33 Einholung von Auskünften und Inspektion

1 Personen, die im Rahmen der Oberaufsicht der eidgenössischen Räte nach dem Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 200213 oder der Aufsicht des Bundesrates oder des EJPD nach dem Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 199714 mit der Einholung von Auskünften oder mit einer Inspektion betraut sind, dürfen die erlangten Informationen nur in allgemeiner und anonymisierter Form als Grundlage für ihre Berichterstattung und ihre Empfehlungen verwenden.

2 Die Zeugenschutzstelle trifft geeignete Massnahmen, damit der Zweck der Ober­aufsicht erfüllt werden kann, ohne dass Informationen offengelegt werden müssen, die Aufschluss geben über den gegenwärtigen Aufenthaltsort einer zu schützenden Person oder über die von ihr benutzte Identität.

7. Kapitel: Kosten

Art. 34 Durchführung von Zeugenschutzprogrammen

1 Die Lebenshaltungskosten der zu schützenden Person sowie die laufenden Kosten für die Zeugenschutzmassnahmen im Rahmen von Zeugenschutzprogrammen nach diesem Gesetz trägt der antragstellende Bund oder Kanton.

2 …15

3 Der Bundesrat vereinbart mit den Kantonen die Aufteilung der Betriebskosten.16

15 Aufgehoben durch Ziff. I 7 des BG vom 25. Sept. 2020 über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, mit Wirkung seit 1. Juni 2022 (AS 2021 565; 2022 300; BBl 2019 4751).

16 Fassung gemäss Ziff. I 7 des BG vom 25. Sept. 2020 über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, in Kraft seit 1. Juni 2022 (AS 2021 565; 2022 300; BBl 2019 4751).

8. Kapitel: Änderung bisherigen Rechts

Art. 36

Die Änderung bisherigen Rechts ist im Anhang geregelt.

Datum des Inkrafttreten: 1. Januar 201317

17 BRB vom 7. Nov. 2012 (AS 2012 6713)

Anhang

(Art. 36)

Änderung bisherigen Rechts

Die nachstehenden Bundesgesetze werden wie folgt geändert:

18

18 Die Änderungen können unter AS 2012 6715 konsultiert werden.