0.344.632
AS 2010 5035
Übersetzung1
Übereinkommen
über die Überstellung verurteilter Personen zwischen
der Schweiz und der Republik Paraguay
Abgeschlossen am 30. Juni 2009
In Kraft getreten durch Notenaustausch am 15. November 2010
(Stand am 15. November 2010)
Die Schweiz
und
die Republik Paraguay,
nachstehend als «die Parteien» bezeichnet,
in dem Wunsch, die internationale Zusammenarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten weiter zu entwickeln;
in der Erwägung, dass diese Zusammenarbeit den Interessen der Rechtspflege dienen und die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen fördern soll;
in dem Wunsch, das oben genannte Ziel unter Berücksichtigung des Engagements der beiden Staaten im Bereich der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte zu verwirklichen;
in der Erwägung, dass es diese Ziele erfordern, Ausländern, denen wegen der Begehung einer Straftat ihre Freiheit entzogen ist, Gelegenheit zu geben, die gegen sie verhängte Sanktion in ihrer Heimat zu verbüssen;
in der Erwägung, dass dieses Ziel am besten dadurch erreicht werden kann, dass sie in ihr eigenes Land überstellt werden,
sind wie folgt übereingekommen:
Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck
- a)
- «Sanktion» jede freiheitsentziehende Strafe oder Massnahme, die von einem Richter oder einem Gericht für eine bestimmte Zeit oder, im Fall des schweizerischen Rechts, für unbestimmte Zeit kraft eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteilsspruchs verhängt worden ist;
- b)
- «Urteil» eine Entscheidung eines Gerichts, durch die eine Sanktion verhängt wird;
- c)
- «Urteilsstaat» den Staat, in dem die Sanktion gegen die Person, die überstellt werden kann oder überstellt worden ist, verhängt worden ist;
- d)
- «Vollstreckungsstaat» den Staat, in den die verurteilte Person zum Vollzug der gegen sie verhängten Sanktion überstellt werden kann oder überstellt worden ist.
1. Die Vertragsparteien verpflichten sich, nach diesem Übereinkommen im Hinblick auf die Überstellung verurteilter Personen weitestgehend zusammen zu arbeiten.
2. Eine im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei verurteilte Person kann nach diesem Übereinkommen zum Vollzug der gegen sie verhängten Sanktion in das Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei überstellt werden. Zu diesem Zweck kann sie dem Urteils- oder Vollstreckungsstaat gegenüber den Wunsch äussern, nach diesem Übereinkommen überstellt zu werden.
3. Das Ersuchen um Überstellung kann entweder vom Urteils- oder vom Vollstreckungsstaat gestellt werden.
1. Eine verurteilte Person kann nach diesem Übereinkommen nur unter den folgenden Voraussetzungen überstellt werden:
- a)
- dass sie Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaats ist;
- b)
- dass das Urteils rechtskräftig ist und dass im Urteilsstaat kein sonstiges Strafverfahren hängig ist;
- c)
- dass zum Zeitpunkt des Eingangs des Ersuchens um Überstellung noch mindestens sechs Monate der gegen die verurteilte Person verhängten Sanktion zu vollziehen sind oder dass die Sanktion von unbestimmter Dauer ist;
- d)
- dass die verurteilte Person oder, sofern dies in Anbetracht ihres jungen Alters oder ihres körperlichen oder geistigen Zustands erforderlich ist, ihr gesetzlicher Vertreter ihrer Überweisung zustimmt;
- e)
- dass die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Straftat darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen würden, darstellen würden;
- f)
- dass sich der Urteils- und der Vollstreckungsstaat auf die Überstellung geeinigt haben.
2. In Ausnahmefällen können sich die Vertragsparteien auch dann auf eine Überstellung einigen, wenn die Dauer der an der verurteilten Person noch zu vollziehenden Sanktion kürzer ist als die in Absatz 1 Buchstabe c vorgesehene.
Die Parteien können dem Ersuchen um Überstellung aus humanitären Gründen Dringlichkeit verleihen, wenn die verurteilte Person an einer schweren Krankheit leidet oder sich im Endstadium einer schweren Krankheit befindet, was durch ein Arztzeugnis ordnungsgemäss bescheinigt ist.
1. Die Staaten prüfen die Ersuchen und teilen sich gegenseitig ihre Entscheidungen mit.
2. Die Staaten können die Überstellung ohne Angabe des Entscheidungsgrunds verweigern.
1. Jede verurteilte Person, auf die dieses Übereinkommen Anwendung finden kann, wird durch den Urteilsstaat vom wesentlichen Inhalt dieses Übereinkommens unterrichtet.
2. Hat die verurteilte Person dem Urteilsstaat gegenüber den Wunsch geäussert, nach diesem Übereinkommen überstellt zu werden, so teilt der Urteilsstaat dies dem Vollstreckungsstaat so bald wie möglich nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils mit.
3. Die Mitteilung enthält:
- a)
- Namen, Geburtstag und Geburtsort der verurteilten Person;
- b)
- gegebenenfalls ihre Anschrift im Vollstreckungsstaat;
- c)
- eine Darstellung des Sachverhalts, welcher der Sanktion zugrunde liegt;
- d)
- Art und Dauer der Sanktion sowie Beginn ihres Vollzuges;
- e)
- die geltenden strafrechtlichen Bestimmungen.
4. Hat die verurteilte Person dem Vollstreckungsstaat gegenüber ihren Wunsch geäussert, nach diesem Übereinkommen überstellt zu werden, so übermittelt der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat auf dessen Ersuchen die in Absatz 3 bezeichnete Mitteilung.
5. Die verurteilte Person wird schriftlich von dem durch den Urteils- oder den Vollstreckungsstaat aufgrund der vorstehenden Absätze Veranlassten sowie von jeder Entscheidung, die einer der beiden Staaten aufgrund eines Ersuchens um Überstellung getroffen hat, unterrichtet.
Die Parteien bezeichnen als Zentralbehörden, die mit der Wahrnehmung der Aufgaben nach diesem Übereinkommen beauftragt werden, für die Schweiz das Bundesamt für Justiz des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements und für die Republik Paraguay das Justiz- und Arbeitsministerium.
1. Die Ersuchen um Überstellung und die Antworten bedürfen der Schriftform.
2. Die Ersuchen werden von den Zentralbehörden mit entsprechender Mitteilung an das Aussenministerium eingereicht. Die Antworten werden auf demselben Weg übermittelt.
3. Der ersuchte Staat unterrichtet den ersuchenden Staat umgehend von seiner Entscheidung, ob er dem Ersuchen um Überstellung stattgibt oder es ablehnt.
1. Auf Ersuchen des Urteilsstaats stellt ihm der Vollstreckungsstaat folgende Unterlagen zur Verfügung:
- a)
- ein Schriftstück oder eine Erklärung, woraus hervorgeht, dass die verurteilte Person Staatsangehörige des Vollstreckungsstaats ist;
- b)
- eine Abschrift der Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats, aus denen hervorgeht, dass die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion im Urteilsstaat verhängt worden ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaat strafbare Handlungen darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen würden, darstellen würden.
2. Wird um Überstellung ersucht, so stellt der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat folgende Unterlagen zur Verfügung, sofern nicht einer der beiden Staaten bereits bekannt gegeben hat, dass er dem Ersuchen nicht stattgeben wird:
- a)
- eine beglaubigte Abschrift des Urteils und der angewendeten Rechtsvorschriften;
- b)
- eine Erklärung, aus der hervorgeht, welcher Teil der Sanktion bereits vollzogen wurde, einschliesslich einer Mitteilung über Untersuchungshaft, Strafermässigung und alle weiteren für den Vollzug der Sanktion wesentlichen Umstände;
- c)
- eine Erklärung, welche die in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d bezeichnete Zustimmung zur Überstellung enthält;
- d)
- gegebenenfalls Berichte von Ärzten oder Sozialarbeitern über die verurteilte Person, Mitteilungen über ihre Behandlung im Urteilsstaat und Empfehlungen für ihre weitere Behandlung im Vollstreckungsstaat.
3. Jeder der beiden Staaten kann um die Übermittlung der in Absatz 1 oder 2 bezeichneten Unterlagen oder Erklärungen ersuchen, bevor er um Überstellung ersucht oder eine Entscheidung darüber trifft, ob er dem Ersuchen um Überstellung stattgibt oder es ablehnt.
1. Der Urteilsstaat gewährleistet, dass diejenige Person, die nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d der Überstellung zuzustimmen hat, ihre Zustimmung freiwillig und im vollen Bewusstsein der rechtlichen Folgen gibt. Das Verfahren für diese Zustimmung richtet sich nach dem Recht des Urteilsstaats.
2. Der Urteilsstaat gibt dem Vollstreckungsstaat Gelegenheit, sich durch einen Konsul oder einen anderen im Einvernehmen mit dem Vollstreckungsstaat bezeichneten Beamten zu vergewissern, dass die Zustimmung entsprechend den im vorstehenden Absatz dargelegten Bedingungen gegeben worden ist.
1. Durch die Übernahme der verurteilten Person durch die Behörden des Vollstreckungsstaats wird der Vollzug der Sanktion im Urteilsstaat ausgesetzt.
2. Wenn sich die verurteilte Person nach der Überstellung dem Vollzug entzieht, fällt dem Urteilsstaat wieder das Recht zu, die verbleibende Strafe, die sie im Vollstreckungsstaat hätte verbüssen sollen, zu vollziehen.
3. Der Urteilsstaat darf die Sanktion nicht weiter vollziehen, wenn der Vollstreckungsstaat den Vollzug der Sanktion für abgeschlossen erachtet.
1. Die vom Urteilsstaat verhängte Sanktion ist im Vollstreckungsstaat direkt anwendbar.
2. Der Vollstreckungsstaat ist durch die tatsächlichen Feststellungen sowie durch die rechtliche Art und die Dauer, wie sie aus der Sanktion hervorgehen, gebunden.
3. Ist diese Sanktion jedoch nach Art oder Dauer mit dem Recht des Vollstreckungsstaats nicht vereinbar, so kann dieser Staat die Sanktion an die nach seinem eigenen Recht für strafbare Handlungen derselben Art vorgesehene Strafe oder Massnahme anpassen. Diese Strafe oder Massnahme muss ihrer Art nach soweit wie möglich der Sanktion entsprechen, die durch die zu vollstreckende Entscheidung verhängt worden ist. Sie darf nach Art und Dauer die im Urteilsstaat verhängte Sanktion nicht verschärfen und das nach dem Recht des Vollstreckungsstaats vorgesehene Höchstmass nicht überschreiten.
4. Der Vollzug der Sanktion im Vollstreckungsstaat richtet sich nach dem Recht dieses Staates. Der Vollstreckungsstaat allein ist zuständig, die Entscheidungen zu den Einzelheiten des Vollzugs der Sanktion zu treffen, darunter zur Dauer des Freiheitsentzugs der verurteilten Person und zu den Voraussetzungen für die Gewährung bzw. Aufhebung der bedingten Freilassung.
1. Wird die verurteilte Person zum Vollzug einer freiheitsentziehenden Strafe oder Massnahme nach diesem Übereinkommen überstellt, so darf sie im Vollstreckungsstaat nicht wegen derselben Handlungen, derentwegen die freiheitsentziehende Strafe oder Massnahme vom Urteilsstaat verhängt worden ist, verfolgt oder verurteilt werden.
2. Die verurteilte Person kann indessen im Vollstreckungsstaat wegen anderer Handlungen als denjenigen, die zur Sanktion im Urteilsstaat geführt haben, festgenommen, abgeurteilt und verurteilt werden, sofern diese Handlungen gemäss dem Recht des Vollstreckungsstaates mit Strafe bedroht sind.
Die Übergabe der verurteilten Person durch die Behörden des Urteilsstaats an diejenigen des Vollstreckungsstaates findet am von den Parteien bezeichneten Ort statt.
Jede Vertragspartei kann im Einklang mit ihrer Verfassung oder anderen Gesetzen eine Begnadigung, eine Amnestie oder eine gnadenweise Abänderung der Sanktion gewähren.
Der Urteilsstaat allein hat das Recht, über einen gegen das Urteil gerichteten Wiederaufnahmeantrag zu entscheiden.
Der Vollstreckungsstaat beendet den Vollzug der Sanktion, sobald ihn der Urteilsstaat von einer Entscheidung oder Massnahme in Kenntnis gesetzt hat, aufgrund deren ihre Vollstreckbarkeit erlischt.
Der Vollstreckungsstaat unterrichtet den Urteilsstaat über den Vollzug der Sanktion:
- a)
- wenn er den Vollzug dieser Sanktion für abgeschlossen erachtet;
- b)
- wenn die verurteilte Person vor Abschluss des Vollzugs dieser Sanktion aus der Haft flieht; oder
- c)
- wenn der Urteilsstaat um einen besonderen Bericht ersucht.
1. Schliesst eine der Vertragsparteien mit einem dritten Staat Vereinbarungen über die Überstellung von verurteilten Personen ab, so hat die andere Partei die Durchlieferung von verurteilten Personen durch ihr Hoheitsgebiet nach diesen Vereinbarungen zu erleichtern.
2. Die Vertragspartei kann die Durchlieferung indessen verweigern, wenn es sich bei der verurteilten Person um einen ihrer Staatsangehörigen handelt oder wenn die Straftat, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach ihrem Recht keine Straftat darstellt.
3. Die Partei, welche die Überstellung beabsichtigt, muss die andere Partei zuvor darüber benachrichtigen.
Das Ersuchen um Überstellung und die diesbezüglichen Unterlagen, die von einer Partei nach diesem Übereinkommen übermittelt werden, sind vom Formerfordernis der Beglaubigung sowie von jeglichen weiteren Formerfordernissen befreit und werden in der Sprache des übermittelnden Staats unterbreitet, mit einer Übersetzung in die Sprache des Empfängerstaates.
1. Der Vollstreckungsstaat gewährleistet das Geleit für die Überstellung.
2. Die Kosten für die Überstellung, einschliesslich derjenigen für das Geleit, werden vom Vollstreckungsstaat getragen, sofern sich die beiden Staaten nicht anderweitig einigen.
3. Die Kosten, die ausschliesslich im Hoheitsgebiet des Urteilsstaats entstehen, werden von diesem Staat getragen.
4. Der Vollstreckungsstaat kann indessen die Kosten der Überstellung bei der verurteilten Person ganz oder teilweise einfordern.
Dieses Übereinkommen gilt auch für den Vollzug von Sanktionen, die vor seinem Inkrafttreten verhängt worden sind.
Dieses Übereinkommen berührt nicht die Rechte und Pflichten der Parteien aus Auslieferungsverträgen und aus anderen Verträgen über die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen, welche die Überstellung verhafteter Personen zum Zweck der Gegenüberstellung oder der Zeugenaussage vorsehen.
1. Dieses Übereinkommen tritt am sechzigsten (60.) Tag nach dem Zeitpunkt der letzten Notifikation in Kraft, durch welche die Parteien sich in Schriftform und auf diplomatischem Weg über die Erfüllung der für das Inkrafttreten erforderlichen innerstaatlichen gesetzlichen Formerfordernisse unterrichten.
2. Dieses Übereinkommen wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.
Jede Vertragspartei kann dieses Übereinkommen der anderen Partei jederzeit durch schriftliche Notifikation auf diplomatischem Weg kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation wirksam.
Zu Urkund dessen haben die von ihren jeweiligen Regierungen hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Übereinkommen unterschrieben.
Geschehen zu Asunción am 30. Juni 2009 in doppelter Urschrift in französischer und spanischer Sprache, wobei der Wortlaut der beiden Sprachen gleichermassen verbindlich ist.
Für die Schweizerische Eidgenossenschaft: | Für die Republik Paraguay: |
Emanuel Jenni | Jorge Lara Castro |