0.733.134.9

 AS 2009 3125

Briefwechsel vom 27. Januar/26. Februar 2009

zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung
der Französischen Republik über die gegenseitige
Versorgungssicherheit mit Erdgas

In Kraft getreten am 1. März 2009

(Stand am 1. März 2009)

Übersetzung1

Der Vorsteher des Eidgenössischen
Departements für Umwelt, Verkehr,
Energie und Kommunikation UVEK

Bern, 26. Februar 2009

Bundeshaus Nord

3003 Bern

An Herrn Jean-Louis Borloo

Staatsminister, Minister für Ökologie, Energie, nachhaltige Entwicklung und Raumplanung (MEEDDAT)

Französische Regierung

Herr Staatsminister

Hiermit bestätige ich den Empfang Ihres Schreibens folgenden Inhalts vom 27. Januar 2009:

«Herr Bundesrat,
Aufgrund der Gespräche, die die Vertreter unserer beiden Staaten zum Thema gegenseitige Erdgasversorgungssicherheit geführt haben, beehre ich mich, Ihnen namens meiner Regierung folgende Regelung für unsere zwi­schenstaatlichen Beziehungen in diesem Bereich vorzuschlagen:
Zunächst möchte ich betonen, dass Frankreich der Zusammenarbeit und der Solidarität zwischen unseren beiden Ländern in der Erdgasversorgung einen hohen Stellenwert beimisst. Diese Solidarität kommt in den zahlreichen Beziehungen zum Ausdruck, die die Erdgasversorger Frankreichs (Gaz de France) und der Schweiz (Gaznat und Gasverbund Mittelland) im Laufe der Jahre aufgebaut haben. Sowohl die französischen als auch die schweizeri­schen Gasversorger konnten sich bei der Planung und dem Aufbau ihrer Netze auf diese enge Zusammenarbeit stützen, die durch mehrere langfris­tige Bezugsverträge konkretisiert wurde. So haben beispielsweise die West­schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher Zugang zu den unterirdischen französischen Speicheranlagen. Bei Versorgungsengpässen sehen die Bezugsverträge Einschränkungen und Unterbrüche für die schweizerische Partei vor, die mit jenen vergleichbar sind, die für die öffentlichen Erdgas­versorger in Ostfrankreich gelten. Umgekehrt werden mehrere französische Gemeinden ausschliesslich über das Schweizer Versorgungsnetz versorgt; Frankreich liegt demnach ebenso viel an der Versorgungssicherheit wie der Schweiz.
Die Entwicklung des rechtlichen Rahmens in Frankreich im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 2003-55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt bedingte die Schaffung eines transparenten und dis­kriminierungsfreien Zugangs Dritter zu den unterirdischen Erdgasspeichern. Diese Anpassung erfolgte im Gesetz vom 3. Januar 2003 und dessen Durch­führungsdekret 2006-1034 vom 21. August 2006 über den Zugang Dritter zu den Erdgasspeichern. Diese Regelung fällt in einen Bereich, in dem die europäischen Behörden besonders stark auf ein gutes Funktionieren des Marktes und auf Nichtdiskriminierung achten, aber auch die Versorgungs­si­cherheit und die internationale Solidarität als oberste Gebote anerkennen.
Vor diesem Hintergrund bekräftigen die Regierungen der Schweiz und Frank­reichs ihren Willen, die Solidarität und die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten im Bereich der Gasversorgung fortzusetzen und dabei die gesetzliche Regelung Frankreichs, die sich aus den Anforderungen der EU ableitet, zu berücksichtigen. Das Dekret vom 21. August 2006 bezieht sich auf Abkommen zwischen Frankreich und den Mitgliedstaaten der Europäi­schen Freihandelsassoziation. In diesem Zusammenhang ist auch dieses Schreiben zu sehen; es bekräftigt den Grundsatz, wonach die französischen Behörden bei einem Versorgungsengpass dafür sorgen würden, dass die schweizerischen und französischen Verbraucherinnen und Verbraucher bei einem unterbrochenen oder eingeschränkten Zugang zu den Gasspeichern gleich behandelt werden. Bei allfälligen Engpässen würde aufgrund einer Ad-hoc-Situationsanalyse nach Artikel 18 des Gesetzes vom 3. Januar 2003, der sichernde Massnahmen vorsieht, ermittelt, welche Bestimmungen zur Anwendung kommen sollen. Im Sinne des oben genannten Grundsatzes würden allfällige Unterbrechungen oder Einschränkungen des Zugangs zu den Speicherbeständen, welche die Schweizer Vertragspartei träfen, unab­hängig von ihrer Ursache ebenso für die französischen Verbraucherinnen und Verbraucher gelten.
Obwohl die oben erwähnten Lieferanten der Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher in Frankreich zurzeit selber kein Erdgas vermarkten, beein­flussen sie den französischen Markt sowohl im Bereich des Transports wie der Speicherung de facto dennoch. Nach den Bestimmungen des Dekrets 2006-1034 vom 21. August 2006 kann der Zugang zu einem bestimmten Volumen an Speicherkapazitäten zur Deckung des Bedarfs der betroffenen Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleistet werden, da ver­einbart wurde, dass die Erdgasversorger dieses Volumen tatsächlich reser­vieren. Es ist demnach unerlässlich, im Rahmen des vor­liegenden Abkom­mens transparente Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die französischen und schweizerischen Behörden sowie die Erdgasversorger einen Gesamt­überblick über die vorbestellten Speicherkapazitäten haben.
Der Bedarf, der sich aus dem vorgenannten Dekret ableitet, und die Einzelhei­ten der Zuteilung dieser Kapazitäten werden im Anhang zu diesem Schreiben, das im gegenseitigen Einvernehmen vom Bundesamt für Energie und der Direction générale de l’énergie et du climat verfasst wurde, ein­ge­hender dargelegt. Im Anhang wird der Bedarf der Schweiz auf einen Höchstwert festgelegt, der der gegenwärtigen vertraglichen Abmachung ent­spricht und der nicht überschritten werden darf.
Was die Geltungsdauer der vorangehenden Bestimmungen anbelangt und unabhängig der Entwicklung der Geschäftsbeziehungen zwischen den invol­vierten Unternehmen kann ich Ihnen aus verständlichen Gründen keine grössere zeitliche Zusicherung bezüglich des Zugangs zu den französischen Erdgasspeichern einräumen, als diejenige, die die französische Regierung ih­ren eigenen Verbraucherinnen und Verbrauchern geben kann.
Ich biete Ihnen deshalb an, diese Bestimmungen mit einer Geltungsdauer bis zum 30. September 2016 (Ende des Gasjahres) abzuschliessen, mit Aus­nahme derjenigen über den Grundsatz der Gleichbehandlung von schweize­rischen und französischen Kundinnen und Kunden, die bis zum 30. Septem­ber 2030 Gültigkeit haben. Ich schlage Ihnen vor, dass die Bestimmungen ab dem 30. September 2016 beziehungsweise 2030 stillschweigend um sieben Jahre verlängert werden können, es sei denn, eine der beiden Vertragspar­teien löst das Abkommen vorher unter Einhaltung der schriftlichen Kündi­gungsfrist von zwölf Monaten auf.
Ferner schlage ich Ihnen vor, dass die Vertreter der mit dem Energiedossier betrauten französischen und schweizerischen Minister im Bedarfsfall auf Ersuchen der einen oder anderen Vertragspartei die Bestimmungen im Anhang zu diesem Schreiben überprüfen und sie bei dieser Gelegenheit im gegenseitigen Einverständnis ändern, falls sich dies als notwendig erweist.
Ich bitte Sie, mir mitzuteilen, ob Ihre Regierung mit den obigen Bestimmun­gen einverstanden ist. Ist dies der Fall, so bildet dieses Schreiben zusammen mit Ihrer Antwort ein Abkommen zwischen unseren beiden Regierungen. Dieses tritt am ersten Tag des auf Ihr Antwortschreiben folgenden Monats in Kraft.»

Ich beehre mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Schweizer Regierung die vorstehenden Bestimmungen sowie den in diesem Schreiben enthaltenen Anhang genehmigt hat. Das vorliegende Abkommen tritt somit am 1. März 2009 in Kraft.

Genehmigen Sie, Herr Staatsminister, die Versicherung meiner vorzüglichen Hoch­achtung.

1 Der französische Originaltext fndet sich unter der gleichen Nummer in der entsprechenden Ausgabe dieser Sammlung.

Anhang

1.  Begünstigte

Wie im oben erwähnten Briefwechsel vereinbart haben die in der Westschweiz wohnhaften Erdgasverbraucherinnen und -verbrauchern nach Artikel 3 des Dekrets Nr. 2006-1034 Vorrang, was den Zugang zu den französischen unterirdischen Erd­gasspeichern anbelangt. Im Falle eines Versorgungsengpasses werden sie gegenüber den französischen Verbraucherinnen und Verbrauchern, die von den öffentlichen Gasgesellschaften in Ostfrankreich versorgt werden, gleichgestellt.

Die oben erwähnten Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher haben gemäss Abmachungen, die bereits vor der Öffnung der europäischen Energiemärkte bestan­den, via ihre Erdgasversorger Zugang zu den Speicherkapazitäten und Anspruch auf Versorgungssicherheit.

2.  Für die Versorgung der Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher erforderlichen Speicherkapazitäten

Die für die Versorgung der Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher erforder­lichen Speicherkapazitäten werden nach Volumen (TWh) und Entnahmemenge (GWh/Tag) ermittelt. Diese müssen jeweils vor dem 1. Dezember jedes Jahres von den involvierten Schweizer Erdgasversorgern dem französischen Energieminister und dem für den Energiebereich zuständigen schweizerischen Bundesrat gemeldet werden.

Diese Speicherkapazitäten decken die Verpflichtungen von Gaz de France gegen­über ihren schweizerischen Gegenparteien GAZNAT S.A (Gaznat) und Gasverbund Mittelland AG (GVM) ab. Sie umfassen einerseits die vom Unternehmen Gaznat mit Gaz de France vereinbarten Speicherkapazitäten, nämlich 1,51 TWh und 37,44 GWh/Tag, sowie diejenigen Kapazitäten, die es zur Erfüllung der Versorgungsver­träge zwischen Gaznat und Gaz de France sowie GVM und Gaz de France braucht. Dabei liegt die Versorgungsflexibilität von Gaz de France bei 114 % beziehungs­weise bei 0,609 TWh und 4,03 GWh/Tag oder 0,898 TWh und 5,94 GWh/Tag.

Die Speicherkapazitäten, die diesem Anhang unterstehen, dürfen also ein per 1. Februar verfügbares Volumen von 3,017 TWh und eine am selben Datum erreichte Entnahmemenge von 47,41 GWh/Tag (nach Entnahme von 55 % des Nutzvolumens) nicht übersteigen.

3.  Methode für den Bezug der Speicherkapazitäten

Die so definierten Speicherkapazitäten können beim betreffenden Verwalter bezo­gen werden, und zwar:

entweder durch die Gasversorger, die die im Schreiben erwähnten Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher beliefern, sofern sie im Besitz einer Lie­ferbewilligung im Sinne des Dekrets Nr. 2004-250 vom 19. März 2004 sind;
oder durch den oder die Auftragnehmer ihrer Wahl, bei denen es sich um in Frankreich zugelassene Erdgaslieferanten handeln muss.

Die Schweizer Gasversorger informieren den französischen Energieminister und den für den Energiebereich zuständigen schweizerischen Bundesrat über die von ihnen gewählte Modalität und über den oder die Auftragnehmer sowie über das Volumen und die Entnahmemenge, die sie zu vereinbaren wünschen.

Um Zugang zu diesen Speicherkapazitäten zu haben, wenden sich die Gasversorger, die Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher beliefern, oder ihre Auftraggeber nach den Bestimmungen von Artikel 6 des oben genannten Dekrets Nr. 2006-1034 an den betreffenden Verwalter. Der französische Energieminister und der für den Energiebereich zuständige schweizerische Bundesrat erhalten ebenfalls eine Kopie dieses Antrags.

Das Zuteilungsreglement des oben erwähnten Verwalters besagt, dass ihm der geplante Bezug von Speicherkapazitäten für das kommende Jahr obligatorisch per 1. Dezember gemeldet werden muss.

4.  Kontrolle und Jahresbericht

Tritt eine Veränderung ein, informiert der für den Energiebereich zuständige schweizerische Bundesrat seinen französischen Amtskollegen jeweils bis zum 1. Februar über die Speicherkapazitäten, die zur Gewährleistung der Versorgungssi­cherheit der begünstigten Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher erforderlich sind, wobei die unter Punkt 2 dieses Anhangs angegebene Menge nicht überschritten wird.

Die Erdgasversorger, die die betroffenen Schweizer Verbraucherinnen und Verbrau­cher beliefern, oder ihre Auftraggeber müssen einen Bericht über die Verwendung der von ihnen vereinbarten Speicherkapazitäten abliefern und diesen dem französi­schen Energieminister jedes Jahr bis zum 1. Dezember übermitteln.

5.  Umgang mit Engpässen

Mit den derzeit in Frankreich verfügbaren Speicherkapazitäten kann der ganze in Artikel 3 des oben genannten Dekrets Nr. 2006-1034 erwähnte Bedarf der kommen­den drei Jahre gedeckt werden.

Der Speicherbedarf der Endverbraucherinnen und ‑verbraucher auf französischem Staatsgebiet wird jedes Jahr vom Energieminister ermittelt. Die Speicherkapazitäten werden zwischen den Lieferanten nach Massgabe ihrer Zugriffsrechte aufgeteilt. Aufgrund der Zuteilungsreglemente werden diese Kapazitäten auf die verschiedenen unterirdischen Speicherstandorte der französischen Gasversorger verteilt.

Es sind verschiedene Fälle zu unterscheiden.

Im ersten Fall, dem so genannten lokalen Engpass, bei dem die Lieferanten an einem oder an mehreren Speicherstandorten ihre Bestellungen beziehen beziehungsweise Speicherkapazitäten gemäss vorliegendem bilateralen Abkommen reservieren möchten, werden sie pro rata zu ihrer Nachfrage bedient nach Artikel 9 Absatz 1 des oben genannten Dekrets Nr. 2006-1034: «Der Verwalter der unterirdischen Speicher reduziert die für jeden Liefe­ranten reservierten Speicherkapazitäten proportional zu den reservierten Nutzvolumen, wobei er die Rangordnung berücksichtigt, die zur Deckung des in Artikel 3 genannten Bedarfs festgelegt wurde». Die nicht gedeckte Restmenge kann an einem anderen Standort bezogen werden. Die für die Versorgung der Schweizer Verbraucherinnen und Verbraucher notwendigen Kapazitäten können auf jeden Fall an einem anderen Standort bezogen wer­den, wenn sich der Engpass auf einen Standort oder auf einen Zusammen­schluss von Speichern beschränkt. Werden diese Kapazitäten an einem ande­ren Standort bezogen, muss darauf geachtet werden, dass die Verfügbarkeit von Erdgas für die Schweizer Lieferanten gewährleistet bleibt.
Im zweiten Fall, der so genannten konjunkturell bedingten globalen Verknap­pung, übersteigen die Zugriffsrechte auf Speicherkapazitäten die physisch verfügbaren Kapazitäten. In einem solchen Fall, wie er im dritten Absatz von Artikel 9 des oben genannten Dekrets Nr. 2006-1034 vorgesehen ist, trifft der Energieminister die erforderlichen sichernden Massnahmen, um das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage nach Speicherkapazi­täten wiederherzustellen: «Die Ansprüche der Lieferanten werden per Mi­nisterialerlass so weit wie nötig gekürzt, so dass das Nutzvolumen und die Entnahmemenge aller vergebenen Speicherrechte zusammengenommen nach Deckung des im ersten Absatzes von Artikel 3 festgelegten Bedarfs den verfügbaren Kapazitäten entsprechen».
Entsteht dieser Engpass durch eine Bedrohung der französischen Ver­sorgungs­sicherheit mit Erdgas, kommt Artikel 18 des Gesetzes vom 3. Januar 2003 zur Anwendung, d.h., es werden nationale Notfallmassnah­men ergriffen. In diesem Fall kann kurzfristig ein Treffen der französischen und schweizerischen Behörden einberufen werden.

In solchen Situationen werden die schweizerischen und französischen Verbrauche­rinnen und Verbraucher gleich behandelt. Die Schweizer Behörden und die betrof­fenen Schweizer Gasversorger werden vom französischen Energieminister mög­lichst rasch über die Umsetzung dieser Massnahmen informiert.

6.  Investitionsplanung im Bereich der Erdgasspeicherung sowie
Zusammen­arbeit zwischen Frankreich und der Schweiz

In Frankreich regelt ein mehrjähriger Richtplan die Investitionen im Gassektor, auch diejenigen zum Ausbau der Speicherkapazitäten durch die Gasversorger.

Die französischen Behörden werden die Schweizer Behörden ersuchen, sich an der Erarbeitung der zukünftigen Pläne zu beteiligen und sich insbesondere zum Bedarf an unterirdischen Erdgasspeicherkapazitäten zur Deckung der Schweizer Nachfrage zu äussern. Die Schweizer Behörden können die involvierten inländischen Erdgas­versorger zu diesen Arbeiten beiziehen.