0.344.294
AS 2008 2531
Übersetzung1
Abkommen
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Kuba über die Überstellung verurteilter Personen
Abgeschlossen am 27. Juli 2006
Provisorisch angewendet seit dem 27. Juli 2006
In Kraft getreten am 1. Juli 20112
(Stand am 1. Juli 2011)
Die Schweizerische Eidgenossenschaft
und
die Republik Kuba,
im Bestreben, die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Rechtshilfe zwischen den beiden Staaten zu fördern;
in dem Wunsch, die Fragen betreffend die Überstellung verurteilter Personen in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln;
in dem Wunsch, verurteilten Personen zur Erleichterung ihrer sozialen Wiedereingliederung die Verbüssung ihrer freiheitsentziehenden Strafe oder Massnahme in ihrem Wohnsitz- und Heimatland zu ermöglichen;
haben nachstehende Bestimmungen vereinbart:
1. Die beiden Staaten verpflichten sich, unter den in diesem Abkommen festgelegten Bedingungen weitestgehend zusammenzuarbeiten, um die im Hoheitsgebiet des einen Staates verurteilten Personen zum Vollzug des Restes der verhängten Sanktion in das Hoheitsgebiet des anderen Staates zu überstellen.
2. Die in der Republik Kuba über einen Schweizer Bürger oder eine Schweizerbürgerin verhängte Strafe kann nach diesem Abkommen in einer Haftanstalt in der Schweiz oder unter der Aufsicht schweizerischer Behörden verbüsst werden.
3. Die in der Schweizerischen Eidgenossenschaft über einen kubanischen Staatsbürger oder eine kubanische Staatsbürgerin verhängte Strafe kann nach diesem Abkommen in einer Haftanstalt in der Republik Kuba oder unter der Aufsicht kubanischer Behörden verbüsst werden.
Im Sinne dieses Abkommens bezeichnet der Ausdruck:
- a)
- «verurteilte Person» jede Person, gegen die im Hoheitsgebiet des einen oder des anderen Staates eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist und die sich in Haft befindet;
- b)
- «überstellender Staat» den Staat, in dem die Sanktion gegen die Person, die überstellt werden kann oder überstellt worden ist, verhängt worden ist;
- c)
- «übernehmender Staat» den Staat, in den die verurteilte Person zum Vollzug der gegen sie verhängten Sanktion überstellt werden kann oder überstellt worden ist;
- d)
- «Begnadigung» einen Gnadenakt, mit dem die Sanktion aufgehoben oder die Strafdauer verkürzt wird;
- e)
- «Sanktion» jede freiheitsentziehende Strafe oder Massnahme, die von einem Gericht wegen einer Straftat für eine bestimmte Zeit oder auf unbestimmte Zeit verhängt worden ist;
- f)
- «Urteil» eine Entscheidung eines Gerichts, durch die eine Sanktion verhängt wird.
Die Überstellung kann nach diesem Abkommen nur unter den folgenden Voraussetzungen erfolgen:
- a)
- die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, stellen nach dem Recht des übernehmenden Staates eine Straftat dar oder würden eine Straftat darstellen, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen worden wären;
- b)
- die verurteilte Person ist Staatsbürger oder Staatsbürgerin des übernehmenden Staates und ist, falls es sich um einen kubanischen Staatsangehörigen handelt, auch dort niedergelassen;
- c)
- bei Einreichung des Ersuchens um Überstellung hat die verurteilte Person noch mindestens ein Jahr der Strafe zu verbüssen; in Ausnahmefällen können die beiden Staaten die Überstellung auch bewilligen, wenn der Rest der Strafe weniger als ein Jahr beträgt;
- d)
- im überstellenden Staat ist kein Beschwerde- oder Revisionsverfahren hängig und die Beschwerde- oder Revisionsfrist ist abgelaufen;
- e)
- die verurteilte Person stimmt der Überstellung freiwillig und im vollen Bewusstsein der rechtlichen Folgen zu; sofern das Alter der verurteilten Person oder ihr körperlicher oder geistiger Zustand es erfordert und einer der beiden Staaten es als notwendig erachtet, erteilt der gesetzliche Vertreter im vollen Bewusstsein der rechtlichen Folgen die Zustimmung zur Überstellung;
- f)
- der überstellende und der übernehmende Staat stimmen der Überstellung zu;
- g)
- bei der verhängten Strafe handelt es sich nicht um die Todesstrafe, es sei denn, sie wurde gnadenweise abgeändert.
Jede Vertragspartei bezeichnet die mit der Umsetzung dieses Abkommens betraute Behörde: für die Schweizerische Eidgenossenschaft ist dies das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement und für die Republik Kuba das Justizministerium.
Jede verurteilte Person, auf die dieses Abkommen anwendbar ist, wird durch den überstellenden Staat von der Möglichkeit unterrichtet, nach diesem Abkommen zur Vollstreckung der Sanktion in ihr Heimatland überstellt zu werden.
1. Die verurteilte Person kann den übernehmenden Staat über seine diplomatische oder konsularische Vertretung, einen gesetzlichen Vertreter oder Familienangehörige direkt um Überstellung ersuchen.
2. Die Überstellung kann vom überstellenden oder vom übernehmenden Staat beantragt werden. Die zuständige Behörde des ersuchenden Staates übermittelt das Ersuchen der zuständigen Behörde des ersuchten Staates; diese antwortet unverzüglich auf diplomatischem Wege.
3. Die Ersuchen um Überstellung und die Antworten bedürfen der Schriftform und sind auf diplomatischem Wege zu übermitteln.
4. Das Ersuchen enthält insbesondere die vollständige Identität der verurteilten Person, ihre Adresse im übernehmenden Staat – wobei für kubanische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen der Wohnsitz in Kuba vorgeschrieben ist – und den Ort ihrer Inhaftierung.
5. Bei der Entscheidung berücksichtigt jede Vertragspartei sämtliche Umstände, die zur sozialen Wiedereingliederung der verurteilten Person beitragen könnten.
6. Der ersuchte Staat unterrichtet den ersuchenden Staat unverzüglich über seine Entscheidung, dem Ersuchen um Überstellung stattzugeben oder es abzulehnen.
7. Die verurteilte Person wird über den Stand ihres Dossiers sowie über jede von einem der beiden Staaten getroffene Entscheidung betreffend ihre Überstellung informiert.
1. Der überstellende Staat gibt dem übernehmenden Staat Gelegenheit, sich durch einen Konsularbeamten, eine Konsularbeamtin oder eine andere in gegenseitigem Einvernehmen bezeichnete Person zu vergewissern, dass die Zustimmung freiwillig und im vollen Bewusstsein der rechtlichen Folgen erteilt worden ist.
2. Die Zustimmung der verurteilten Person ist unwiderruflich, sobald sich die beiden Staaten über die Überstellung geeinigt haben.
1. Der überstellende Staat liefert mit seinem Ersuchen oder als Antwort auf das Ersuchen des übernehmenden Staates:
- a)
- Name, Geburtsort und Geburtsdatum der verurteilten Person;
- b)
- eine beglaubigte Abschrift des Urteils mit einer Bestätigung seiner Vollstreckbarkeit und der bei der Verurteilung angewendeten Rechtsvorschriften;
- c)
- eine Darstellung des Sachverhalts, aus der die Tatumstände, der Zeitpunkt und der Ort der Begehung der Straftat hervorgehen;
- d)
- Angaben über die Dauer der Sanktion, über den Beginn der freiheitsentziehenden Sanktion unter Berücksichtigung der Untersuchungshaft und über alle weiteren Umstände, die für den Vollzug der Sanktion von Bedeutung sind;
- e)
- eine Erklärung der zuständigen Behörde, aus der die Zustimmung der verurteilten Person oder ihres gesetzlichen Vertreters und der gewünschte Überstellungsort im übernehmenden Staat hervorgehen;
- f)
- jede nützliche Information über die Modalitäten des Vollzugs der Sanktion im überstellenden Staat.
2. Der übernehmende Staat liefert mit seinem Ersuchen oder als Antwort auf das Ersuchen des überstellenden Staates:
- a)
- ein Schriftstück oder eine Erklärung, woraus hervorgeht, dass die verurteilte Person Staatsbürger oder Staatsbürgerin des übernehmenden Staates ist;
- b)
- eine Abschrift der Rechtsvorschriften des übernehmenden Staates, aus denen hervorgeht, dass die Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Sanktion im überstellenden Staat verhängt worden ist, nach dem Recht des übernehmenden Staates eine Straftat darstellen oder, wenn sie in seinem Hoheitsgebiet begangen worden wären, darstellen würden.
3. Jeder der beiden Staaten kann um Übermittlung der Unterlagen oder Informationen ersuchen, die ihm notwendig erscheinen, bevor er um Überstellung ersucht oder eine Entscheidung darüber trifft, ob er dem Ersuchen um Überstellung stattgibt oder es ablehnt.
Die Schriftstücke, die in Anwendung dieses Abkommens übermittelt werden, bedürfen keiner Art von Beglaubigung.
Jeder Staat kann verlangen, dass ihm die Ersuchen und Unterlagen mit einer Übersetzung in seine Amtssprache oder in eine seiner Amtssprachen übermittelt werden.
1. Der übernehmende Staat stellt die Eskorte für die Überstellung.
2. Die Kosten der Überstellung, einschliesslich derjenigen der Eskorte, werden vom übernehmenden Staat getragen, es sei denn, die beiden Staaten vereinbaren etwas anderes.
3. Die Kosten, die ausschliesslich im Hoheitsgebiet des überstellenden Staates entstehen, gehen zu dessen Lasten.
1. Mit der Übernahme der verurteilten Person durch die Behörden des übernehmenden Staates wird der Vollzug der Sanktion im überstellenden Staat ausgesetzt. Entzieht sich die verurteilte Person nach der Überstellung dem Vollzug, so erlangt der überstellende Staat wieder das Recht, den Teil der Strafe zu vollziehen, den die Person im übernehmenden Staat hätte verbüssen müssen.
2. Der überstellende Staat darf die Sanktion nicht weitervollziehen, wenn der übernehmende Staat deren Vollzug für abgeschlossen erachtet.
1. Die vom überstellenden Staat verhängte Sanktion wird im übernehmenden Staat direkt vollzogen.
2. Der übernehmende Staat ist an die Sachverhaltsfeststellungen sowie an die rechtliche Art und die Dauer der Sanktion, wie sie der überstellende Staat festgelegt hat, gebunden.
3. Ist die Sanktion jedoch nach Art oder Dauer mit dem Recht des übernehmenden Staates nicht vereinbar, so kann dieser die Sanktion an die nach seinem eigenen Recht für eine Straftat derselben Art vorgesehene Strafe oder Massnahme anpassen. Diese Strafe oder Massnahme muss ihrer Art nach so weit wie möglich der Sanktion entsprechen, die durch die zu vollstreckende Entscheidung verhängt worden ist. Sie darf nach Art oder Dauer die im überstellenden Staat verhängte Sanktion nicht verschärfen und das nach dem Recht des übernehmenden Staates vorgesehene Höchstmass nicht überschreiten. Der übernehmende Staat unterrichtet den überstellenden Staat über eine allfällige Abwandlung der Strafe.
4. Der Vollzug der Sanktion im übernehmenden Staat richtet sich nach dem Recht dieses Staates.
Jede Vertragspartei kann im Einklang mit ihrer Verfassung oder anderen anwendbaren Gesetzen eine Begnadigung, eine Amnestie oder eine gnadenweise Abänderung der Sanktion gewähren. Der Staat, der einen solchen Straferlass gewährt, unterrichtet unverzüglich den anderen Staat.
Der übernehmende Staat unterrichtet den überstellenden Staat über den Vollzug der Sanktion:
- a)
- wenn er den Vollzug der Sanktion für abgeschlossen erachtet;
- b)
- wenn die verurteilte Person vor Abschluss des Vollzugs der Sanktion aus der Haft flieht; oder
- c)
- wenn der überstellende Staat um einen besonderen Bericht ersucht.
1. Eine Person, die nach den Bestimmungen dieses Abkommens überstellt wird, kann im übernehmenden Staat wegen der Tat, derentwegen im überstellenden Staat die Sanktion verhängt worden ist, nicht erneut vor Gericht gestellt oder verurteilt werden.
2. Die überstellte Person kann jedoch im übernehmenden Staat in Haft gehalten, vor Gericht gestellt und verurteilt werden für eine Tat, die nicht zur Verhängung der Sanktion im überstellenden Staat geführt hat, sofern diese Tat nach dem Recht des übernehmenden Staates strafrechtlich verfolgt wird.
1. Der überstellende Staat unterrichtet den übernehmenden Staat unverzüglich über jede Entscheidung oder Massnahme, die auf seinem Hoheitsgebiet erfolgt ist und den Vollzug beendet.
2. Der übernehmende Staat beendet den Vollzug der Sanktion, sobald ihn der überstellende Staat von einer Entscheidung oder Massnahme in Kenntnis gesetzt hat, auf Grund deren ihre Vollstreckbarkeit erlischt.
Der überstellende Staat hat in Verfahren zur Überprüfung des Urteils alleinige Entscheidungsbefugnis.
1. Überstellt einer der beiden Staaten eine verurteilte Person aus einem Drittstaat, so wirkt der andere Staat mit, um die Durchlieferung durch sein Hoheitsgebiet zu erleichtern. Der Staat, der eine solche Durchlieferung vorzunehmen beabsichtigt, teilt dies dem anderen Staat vorgängig mit.
2. Jeder Staat kann die Durchlieferung verweigern:
- a)
- wenn es sich bei der durchzuliefernden Person um einen seiner Staatsbürger oder Staatsbürgerinnen handelt; oder
- b)
- wenn die Handlung, derentwegen die Sanktion verhängt worden ist, nach seinem Recht keine Straftat darstellt.
Dieses Abkommen gilt für den Vollzug von Sanktionen, die vor oder nach seinem Inkrafttreten verhängt worden sind.
Dieses Abkommen berührt nicht die Rechte und Pflichten der beiden Staaten aus Auslieferungsabkommen und aus anderen Abkommen über die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen, welche die Überstellung verhafteter Personen zum Zweck der Gegenüberstellung oder der Zeugenaussage vorsehen.
1. Die zuständigen Behörden der beiden Staaten können, wenn sie es als notwendig erachten, ihre Meinung über die Anwendung dieses Abkommens im Allgemeinen oder in Bezug auf einen Einzelfall mündlich oder schriftlich austauschen.
2. Jeder Staat kann die Einberufung einer Expertentagung verlangen, die sich aus Vertretern der Justizministerien und der Aussenministerien zusammensetzt, um Fragen der Auslegung oder der Anwendung dieses Abkommens oder eine Frage im Zusammenhang mit einem Einzelfall zu besprechen.
3. Meinungsverschiedenheiten werden auf diplomatischem Wege durch Verhandlungen zwischen den beiden Staaten geregelt.
1. Dieses Abkommen ist ab der Unterzeichnung vorläufig anwendbar.
2. Dieses Abkommen tritt am ersten Tag des zweiten Monats nach der letzten Notifikation, wonach die gemäss Verfassung erforderlichen Verfahren in jedem der beiden Staaten abgeschlossen sind, in Kraft.
3. Dieses Abkommen wird für eine unbeschränkte Dauer abgeschlossen.
Jeder Staat kann dieses Abkommen jederzeit durch eine schriftliche Notifikation an den anderen Staat auf diplomatischem Wege kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate nach Eingang der Notifikation wirksam.
Zu Urkund dessen haben die von ihren Regierungen gehörig Bevollmächtigten dieses Abkommen unterzeichnet.
So geschehen in Havanna, am 27. Juli 2006, im Doppel in französischer und spanischer Sprache, wobei jeder Wortlaut in gleicher Weise verbindlich ist. Bei unterschiedlicher Auslegung oder Anwendung dieses Abkommens ist die französische Fassung massgebend.
Für die Schweizerische Eidgenossenschaft: | Für die Regierung der Republik Kuba: |
Bertrand Louis | María Esther Recio Zamora |