732.143.2
Verordnung
über die Betriebswachen von Kernanlagen
(VBWK)
vom 9. Juni 2006 (Stand am 1. Januar 2023)
Der Schweizerische Bundesrat,
gestützt auf die Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe b und 23 Absatz 2
des Kernenergiegesetzes vom 21. März 20031,
verordnet:
Diese Verordnung regelt die Aufgaben und Befugnisse der Betriebswachen von Kernanlagen (Betriebswachen), deren Ausrüstung und Bewaffnung, die Organisation der Betriebswachen und Fremdwachen und die Anforderungen an die Qualifikation und Eignung der Angehörigen der Betriebswachen.
1 Die Betriebswachen haben insbesondere folgende Aufgaben:
- a.
- Sie sichern die Kernanlagen vor unbefugten Einwirkungen und verhindern, dass Unbefugte auf das Sicherungsareal eindringen.
- b.
- Sie bedienen technische Sicherungseinrichtungen und überprüfen deren Funktionsfähigkeit.
- c.
- Sie überprüfen, bewerten und bearbeiten Meldungen und Alarme.
- d.
- Sie alarmieren die Polizei und die Rettungskräfte.
- e.
- Sie weisen die Polizei und die Rettungsdienste in die Kernanlagen ein.
2 Sie bewachen und überwachen die Kernanlagen im 24-Stunden Betrieb.
1 Die Betriebswachen sind befugt, auf dem Sicherungsareal:
- a.
- die Identität von Personen festzustellen;
- b.
- Personen und Fahrzeuge zu durchsuchen;
- c.
- Gegenstände sicherzustellen;
- d.
- Personen bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten;
- e.
- körperlichen Zwang anzuwenden;
- f.
- die persönlichen Waffen einzusetzen;
- g.
- Ordnungsdienstmittel einzusetzen;
- h.
- Überwachungskameras einzusetzen.
2 Die Massnahmen nach Absatz 1 dürfen nur angeordnet und vollzogen werden, wenn:
- a.
- sie zur Erfüllung der Aufgabe notwendig und geeignet sind;
- b.
- sie nicht zu einem Nachteil führen, der zum angestrebten Erfolg in einem erkennbaren Missverhältnis steht; und
- c.
- keine milderen Massnahmen zur Verfügung stehen.
Kann die Identität einer Person nur mit erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden oder bestehen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Angaben oder an der Echtheit der Ausweispapiere, so ist die Person den zuständigen Polizeiorganen zu übergeben.
1 Personen können durchsucht werden, wenn sie Waffen oder andere gefährliche Gegenstände auf sich tragen oder verdächtigt werden, solche zu tragen. Die Personendurchsuchung umfasst die Durchsuchung der Kleider, beschränkt sich jedoch auf die Abtastung der Oberfläche des Körpers.
2 Grundsätzlich dürfen Durchsuchungen von Personen nur von Personen des gleichen Geschlechts vorgenommen werden. Bei unmittelbar drohender Gefahr oder bei Zustimmung der betroffenen Person kann die Durchsuchung ausnahmsweise auch von einer Person des anderen Geschlechts vorgenommen werden.
3 Sachen, insbesondere Fahrzeuge, können durchsucht werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie oder deren Inhalt die Sicherheit von Personen oder Kernanlagen gefährden.
1 Gegenstände können sichergestellt werden, wenn:
- a.
- von ihnen eine Gefahr für Personen oder Kernanlagen ausgeht;
- b.
- mit ihnen eine strafbare Handlung gegen Personen oder Kernanlagen begangen wurde;
- c.
- sie zur Begehung einer strafbaren Handlung bestimmt sind oder waren.
2 Über die sichergestellten Gegenstände ist ein Verzeichnis anzulegen. Dieses enthält mindestens die Bezeichnung der sichergestellten Gegenstände, die Zuordnung zum Besitzer sowie Grund, Ort und Zeit der Massnahme.
3 Die sichergestellten Gegenstände sind der Polizei zu übergeben.
1 Personen können festgehalten werden, wenn sie:
- a.
- die Sicherheit von Personen oder Kernanlagen gefährden; oder
- b.
- bei der Begehung eines Vergehens oder Verbrechens gegen Personen oder Kernanlagen ertappt werden oder unmittelbar danach flüchten.
2 Festgehaltene Personen dürfen gefesselt werden, wenn sie Widerstand leisten oder wenn Gefahr besteht, dass sie fliehen, andere Personen angreifen oder sich selber verletzen. Zulässig sind Handschellen und Fesselungsbänder. Untersagt sind Mittel, die die Atemwege beeinträchtigen.
3 Bei der Anwendung von körperlichem Zwang muss der körperlichen Verfassung und dem Alter der betroffenen Person Rechnung getragen werden. Körperverletzungen und Atmungseinschränkungen sind nach Möglichkeit zu vermeiden.
4 Werden Personen bei der Anwendung von körperlichem Zwang verletzt, muss Hilfe geleistet und nötigenfalls für ärztlichen Beistand gesorgt werden.
5 Festgehaltene Personen sind unverzüglich der Polizei zu übergeben.
1 Jeder Angehörige der Betriebswache ist für den Einsatz seiner Waffe persönlich verantwortlich.
2 Schusswaffen dürfen nur eingesetzt werden, wenn:
- a.
- die Betriebswache oder andere Personen mit einem gefährlichen Angriff unmittelbar bedroht oder gefährlich angegriffen werden; oder
- b.
- Einrichtungen gefährdet werden, welche bei deren Beschädigung oder Ausfall die Sicherheit der Kernanlage ernsthaft beeinträchtigen.
3 Dem Schusswaffengebrauch hat ein deutlicher Warnruf vorauszugehen, sofern der Zweck und die Umstände es zulassen.
4 Mit einem gezielten Schuss darf nur die Angriffsunfähigkeit angestrebt werden.
5 Bei unverhältnismässiger Gefährdung unbeteiligter Dritter ist auf den Schusswaffengebrauch zu verzichten.
6 Dem durch Waffengebrauch Verletzten ist der nötige Beistand zu leisten.
7 Jeder Fall von Waffengebrauch ist den Polizeibehörden und dem Eidgenössischem Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) unverzüglich zu melden.2
8 Die eingesetzten Waffen sind für die Untersuchung sicherzustellen. Dem Spurenschutz ist die nötige Beachtung zu schenken.
1 Die Betriebswachen können in Absprache mit der Polizei des Standortkantons auf dem sicherungsrelevanten Vorgelände Massnahmen nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben a–f und h ergreifen.
2 Das ENSI bezeichnet nach Anhörung der Polizei und des Inhabers der Bau- oder der Betriebsbewilligung für die Kernanlage (Bewilligungsinhaber) das sicherungsrelevante Vorgelände.3
1 Die Betriebswachen verrichten ihren Dienst uniformiert. Sie müssen als Wachen klar erkennbar sein.
2 Die zulässige Ausrüstung und Bewaffnung der Betriebswachen ist im Anhang Ziffer 1 und 2 geregelt.
3 Die Beschaffung von neuen Waffentypen ist vorgängig dem ENSI zu melden.4
1 Die zulässigen Ordnungsdienstmittel für den Interventionsfall auf dem Sicherungsareal sind im Anhang Ziffer 3 geregelt.
2 Die Wachgruppenchefs oder -chefinnen oder deren Stellvertreter oder Stellvertreterinnen entscheiden über den Einsatz von Ordnungsdienstmittel; ausgenommen bleiben Notwehr bzw. Notwehrhilfe.
3 Die Beschaffung von neuen Typen von Ordnungsdienstmitteln ist vorgängig dem ENSI zu melden.5
1 Die Betriebswachen können Diensthunde einsetzen.
2 Die Diensthunde dürfen nur eingesetzt werden, wenn die Hundeführer und Hundeführerinnen und die Diensthunde die geforderten Prüfungen der schweizerischen kynologischen Gesellschaft, des schweizerischen Polizeihundeführervereins oder des Militärhundeführervereins erfüllen.
1 Die Betriebswachen bestehen aus dem Chef oder der Chefin der Betriebswache, den Wachgruppenchefs oder -chefinnen und den Wächtern oder Wächterinnen.
2 Der Chef oder die Chefin der Betriebswache organisiert die Betriebswache und leitet deren Einsatz.
3 Der Wachgruppenchef oder die Wachgruppenchefin führt die Wachgruppe im Schichtdienst nach Auftrag des Chefs oder der Chefin der Betriebswache.
4 Das ENSI legt für jede Kernanlage den minimalen Wachbestand der Betriebswachen pro Schicht fest.6
1 Die Betriebswachen können mit externem Wachpersonal (Fremdwachen) verstärkt werden, insbesondere bei Revision und Stillstand der Kernanlagen.
2 Die Fremdwachen verrichten ihren Dienst unbewaffnet.
3 Das ENSI wird beauftragt, den Einsatz von Fremdwachen in einer Richtlinie zu regeln.7
1 Der Chef oder die Chefin der Betriebswache muss über folgende Qualifikation verfügen:
- a.
- eine abgeschlossene Berufsausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis gemäss Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 20028 oder einen gleichwertigen ausländischen Ausbildungsabschluss;
- b.
- vertiefte Kenntnisse im Sicherungsbereich;
- c.
- persönliche und gesundheitliche Eignung für diese Funktion.
2 Der Wachgruppenchef oder die Wachgruppenchefin muss über folgende Qualifikation verfügen:
- a.
- eine abgeschlossene Berufsausbildung mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis gemäss Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 2002 oder einen gleichwertigen ausländischen Ausbildungsabschluss;
- b.
- Kenntnisse im Sicherungsbereich;
- c.
- persönliche und gesundheitliche Eignung für diese Funktion.
3 Der Betriebswächter oder die Betriebswächterin muss über folgende Qualifikation verfügen:
- a.
- eine abgeschlossene Berufsausbildung mit eidgenössischem Berufsattest gemäss Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 2002 oder einen gleichwertigen ausländischen Ausbildungsabschluss;
- b.
- persönliche und gesundheitliche Eignung für diese Funktion.
4 Das ENSI entscheidet im Einzelfall über die Gleichwertigkeit ausländischer Ausbildungsabschlüsse.9
1 Die Überprüfung der persönlichen Eignung dient dem Nachweis, dass die für die Wächtertätigkeit nötigen Anforderungen an die Persönlichkeit erfüllt sind, wie hinterfragende selbstkritische Grundhaltung, Sorgfalt, Teamfähigkeit und Führungskompetenz.
2 Eine vom Bewilligungsinhaber bezeichnete Stelle beurteilt die persönliche Eignung. Sie leitet die Beurteilung an den Bewilligungsinhaber weiter. Dieser nimmt die Beurteilung in seine Dokumentation nach Artikel 37 der Verordnung vom 9. Juni 200610 über die Anforderungen an das Personal von Kernanlagen (VAPK) auf.
3 Der Bewilligungsinhaber entscheidet aufgrund der Beurteilung über die persönliche Eignung und hält das Ergebnis in der Dokumentation fest.
4 Er beurteilt periodisch die persönliche Eignung und hält das Ergebnis in der Dokumentation fest.
5 Das ENSI kann in die Dokumentation Einsicht nehmen.11
1 Die Überprüfung der gesundheitlichen Eignung dient dem Nachweis, dass die für die Wächtertätigkeit nötigen gesundheitlichen Voraussetzungen erfüllt sind, wie ausreichendes Wahrnehmungsvermögen, Schichtdiensttauglichkeit und keine Abhängigkeit von psychotropen Substanzen.
2 Ein Arzt oder eine Ärztin untersucht jährlich die gesundheitliche Eignung der Angehörigen der Betriebswache. Ist er oder sie nicht Facharzt oder Fachärztin für Arbeitsmedizin, so leitet er oder sie das Ergebnis der Untersuchungen an einen Facharzt oder eine Fachärztin für Arbeitsmedizin weiter.
3 Der Facharzt oder die Fachärztin für Arbeitsmedizin beurteilt aufgrund der durchgeführten Untersuchungen die gesundheitliche Eignung der Angehörigen der Betriebswache. Er oder sie leitet die Beurteilung dem Bewilligungsinhaber weiter.
4 Der Bewilligungsinhaber nimmt die arbeitsmedizinische Beurteilung in seine Dokumentation nach Artikel 37 VAPK13 auf. Er entscheidet gestützt darauf über die gesundheitliche Eignung der Angehörigen der Betriebswache und hält das Ergebnis in seiner Dokumentation fest.
5 Das ENSI kann in die Dokumentation Einsicht nehmen.
1 Das ENSI kann Personendaten, insbesondere auch besonders schützenswerte Daten oder Persönlichkeitsprofile nach Artikel 3 Buchstaben c und d des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199214 über den Datenschutz, von Angehörigen der Betriebswachen bearbeiten, soweit es diese zur Erfüllung seiner Aufgaben nach dieser Verordnung benötigt, um zu prüfen, ob die Anforderungen an die Angehörigen der Betriebswachen erfüllt sind.15
2 Es bearbeitet folgende Personendaten:
- a.
- die Staatsangehörigkeit;
- b.
- das Geburtsdatum;
- c.
- die Wohnadresse;
- d.
- Aus- und Weiterbildungen;
- e.
- Berufserfahrung;
- f.
- Beurteilung der persönlichen Eignung;
- g.
- die Feststellung der gesundheitlichen Eignung.
3 Es wird beauftragt, die Massnahmen zum Schutz der elektronischen Daten gegen den Zugriff Dritter in einer Richtlinie zu regeln.
4 Die Personendaten werden nach dem Zeitpunkt, zu dem die betroffene Person die Stelle verlässt, die Funktion aufgibt oder den Auftrag abschliesst, noch zehn Jahre sicher aufbewahrt. Nach Ablauf dieser Frist werden sie vernichtet, soweit sie nicht vom Bundesarchiv übernommen werden.
1 Die Bewilligungsinhaber treffen mit den kantonalen Polizeibehörden die erforderlichen organisatorischen Absprachen, insbesondere über die Kommunikationsmittel, Anmarschwege, Infrastruktur und Handlungen der Betriebswachen bis zum Eintreffen eines polizeilichen Einsatzleiters.
2 Sie haben die Polizei mit den Anlagen sowie Änderungen der Sicherungsmassnahmen vertraut zu machen.
3 Die Polizei ist periodisch in Übungen der Betriebswachen oder in Sicherungsnotfallübungen miteinzubeziehen.
4 Im Interventionsfall liegt die Einsatzleitung in Belangen der Sicherung bei der Polizei. Der Einsatzleiter spricht die vorgesehenen Massnahmen mit dem Notfallstab des Kernkraftwerkes ab.
Auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Betriebswachen, die bei Inkrafttreten dieser Verordnung in einer Kernanlage tätig waren, ist Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a, 2 Buchstabe a und 3 Buchstabe a nicht anwendbar.
Diese Verordnung tritt am 1. Juli 2006 in Kraft.
(Art. 10 Abs. 2 und 11 Abs. 1)
Die Betriebswachen können über folgende Bewaffnung verfügen:
- –
- persönliche Schusswaffen;
- –
- Polizeimehrzweckstock oder Einsatzstock;
- –
- Reizstoffspray;
- –
- andere nichtletale Waffen.
Die Betriebswachen können insbesondere über folgende Ausrüstung verfügen:
- –
- Handschellen und Fesselungsbänder;
- –
- Schutzwesten;
- –
- Funkgeräte;
- –
- gepanzerte Fahrzeuge.
Die Betriebswachen können mit folgenden Ordnungsdienstmittel ausgerüstet werden:
- –
- Ordnungsdienstausrüstung;
- –
- Mehrzweckwerfer mit Gummischrot;
- –
- Reizstoffsprays in Grosspackungen.