1. Befindet sich eine Person im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates und soll diese Person als Zeuge oder Sachverständiger von den Justizbehörden des anderen Vertragsstaates einvernommen werden, so kann Letzterer, sofern das persönliche Erscheinen der einzuvernehmenden Person in seinem Hoheitsgebiet nicht zweckmässig oder möglich ist, darum ersuchen, dass die Einvernahme nach Massgabe der Absätze 2–7 per Videokonferenz erfolgt.
2. Der ersuchte Staat bewilligt die Einvernahme per Videokonferenz, wenn der Rückgriff auf Videokonferenzen seinen Grundprinzipien nicht zuwiderläuft. Verfügt der ersuchte Staat nicht über die technischen Vorrichtungen für eine Videokonferenz, so können ihm diese vom ersuchenden Staat in gegenseitigem Einvernehmen zur Verfügung gestellt werden.
3. Die Justizbehörde des ersuchten Staates lädt die betroffene Person in der in seinem innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Form vor.
4. Für die Einvernahme per Videokonferenz gelten folgende Regeln:
- a)
- Bei der Einvernahme ist ein Vertreter der Justizbehörde des ersuchten Staates, bei Bedarf unterstützt durch einen Dolmetscher, anwesend. Dieser Vertreter ist auch für die Identifizierung der einzuvernehmenden Person und für die Einhaltung der Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staates verantwortlich. Werden nach Ansicht des Vertreters der Justizbehörde des ersuchten Staates bei der Einvernahme die Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staates verletzt, so trifft sie unverzüglich die Massnahmen, die erforderlich sind, um die Einvernahme nach diesen Prinzipien fortführen zu können.
- b)
- Die Zentralbehörden können Massnahmen zum Schutz der einzuvernehmenden Person vereinbaren.
- c)
- Die Einvernahme wird unmittelbar von oder unter Leitung der Justizbehörde des ersuchenden Staates nach dessen innerstaatlichen Rechtsvorschriften durchgeführt.
- d)
- Auf Verlangen des ersuchenden Staates trägt der ersuchte Staat dafür Sorge, dass die einzuvernehmende Person bei Bedarf von einem Dolmetscher unterstützt wird.
- e)
- Die einzuvernehmende Person kann sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach Artikel 9 berufen.
5. Unbeschadet allfälliger zum Schutz von Personen vereinbarter Massnahmen erstellt die Justizbehörde des ersuchten Staates nach der Einvernahme ein Protokoll unter Angabe des Datums und Ortes der Einvernahme, der Identität der einvernommenen Person, der Identität und der Funktion der übrigen Personen, die an der Einvernahme teilgenommen haben, aller allfälligen Vereidigungen und der technischen Bedingungen, unter denen die Einvernahme stattgefunden hat. Dieses Dokument wird von der Zentralbehörde des ersuchten Staates der Zentralbehörde des ersuchenden Staates übermittelt.
6. Jeder Vertragsstaat ergreift die erforderlichen Massnahmen, um sicherzustellen, dass in Fällen, in denen Zeugen oder Sachverständige nach diesem Artikel in seinem Hoheitsgebiet einvernommen werden und trotz Aussagepflicht die Aussage verweigern oder falsch aussagen, sein innerstaatliches Recht genauso gilt, als ob die Einvernahme im Rahmen eines innerstaatlichen Verfahrens erfolgen würde.
7. Die Vertragsstaaten können nach freiem Ermessen in Fällen, in denen dies angebracht erscheint, und mit Zustimmung ihrer zuständigen Justizbehörden die Bestimmungen dieses Artikels auch auf Einvernahmen per Videokonferenz anwenden, an denen eine strafrechtlich verfolgte Person oder ein Verdächtiger teilnimmt. In diesem Fall ist die Entscheidung, ob und in welcher Form eine Videokonferenz durchgeführt werden soll, Gegenstand einer Vereinbarung zwischen den betroffenen Zentralbehörden, die diese Entscheidung im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und den einschlägigen internationalen Übereinkünften, einschliesslich des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte3, treffen. Einvernahmen von strafrechtlich verfolgten Personen oder Verdächtigen dürfen nur mit deren Einwilligung stattfinden.