172.061
Bundesgesetz
über das Vernehmlassungsverfahren
(Vernehmlassungsgesetz, VlG)
vom 18. März 2005 (Stand am 26. November 2018)
Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
gestützt auf Artikel 147 der Bundesverfassung1,
nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 21. Januar 20042,
beschliesst:
1 Dieses Gesetz regelt die Grundzüge des Vernehmlassungsverfahrens.
2 Es gilt für Vernehmlassungsverfahren, die vom Bundesrat, von einem Departement, der Bundeskanzlei, einer Einheit der Bundesverwaltung oder einer parlamentarischen Kommission eröffnet werden.3
1 Das Vernehmlassungsverfahren bezweckt die Beteiligung der Kantone, der politischen Parteien und der interessierten Kreise an der Meinungsbildung und Entscheidfindung des Bundes.
2 Es soll Aufschluss geben über die sachliche Richtigkeit, die Vollzugstauglichkeit und die Akzeptanz eines Vorhabens des Bundes.
1 Ein Vernehmlassungsverfahren findet statt bei der Vorbereitung von:
- a.
- Verfassungsänderungen;
- b.
- Gesetzesvorlagen im Sinne von Artikel 164 Absatz 1 der Bundesverfassung;
- c.
- völkerrechtlichen Verträgen, die nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b oder nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung dem Referendum unterliegen oder wesentliche Interessen der Kantone betreffen;
- d.
- Verordnungen und anderen Vorhaben, die von grosser politischer, finanzieller, wirtschaftlicher, ökologischer, sozialer oder kultureller Tragweite sind;
- e.
- Verordnungen und anderen Vorhaben, die nicht unter Buchstabe d fallen, aber einzelne oder alle Kantone in erheblichem Mass betreffen oder in erheblichem Mass ausserhalb der Bundesverwaltung vollzogen werden.
2 Eine Vernehmlassung kann auch bei Vorhaben durchgeführt werden, die keine der Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllen.
1 Auf ein Vernehmlassungsverfahren kann verzichtet werden, wenn:
- a.
- das Vorhaben vorwiegend die Organisation oder das Verfahren von Bundesbehörden oder die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bundesbehörden betrifft; oder
- b.
- keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind, insbesondere weil über den Gegenstand des Vorhabens bereits eine Vernehmlassung durchgeführt worden ist.
2 Der Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren muss sachlich begründet werden.
1 Jede Person und jede Organisation kann sich an einem Vernehmlassungsverfahren beteiligen und eine Stellungnahme einreichen.
2 Zur Stellungnahme eingeladen werden:
- a.6
- die Kantonsregierungen;
- b.
- die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien;
- c.
- die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete;
- d.
- die gesamtschweizerischen Dachverbände der Wirtschaft;
- e.7
- die im Einzelfall interessierten ausserparlamentarischen Kommissionen und weiteren Kreise.
3 Die Bundeskanzlei führt die Liste der Vernehmlassungsadressaten nach Absatz 2 Buchstaben a–d.
1 Vernehmlassungsverfahren zu Vorhaben, die von der Bundesverwaltung ausgehen, werden eröffnet:
- a.
- vom Bundesrat bei Vorhaben nach Artikel 3 Absatz 1;
- b.
- vom zuständigen Departement oder von der Bundeskanzlei bei Vorhaben nach Artikel 3 Absatz 2;
- c.
- von der zuständigen Einheit der zentralen oder der dezentralen Bundesverwaltung, wenn sie zur Rechtsetzung befugt ist.
2 Vernehmlassungsverfahren zu Vorhaben, die von der Bundesversammlung ausgehen, werden von der zuständigen parlamentarischen Kommission eröffnet.
3 Die Bundeskanzlei koordiniert die Vernehmlassungen. Sie gibt jede Eröffnung eines Vernehmlassungsverfahrens öffentlich bekannt und gibt dabei die Vernehmlassungsfrist und die Stelle für den Bezug der Vernehmlassungsunterlagen an.
1 Die für die Eröffnung der Vernehmlassung zuständige Behörde bereitet das Vernehmlassungsverfahren vor, führt es durch, stellt die Vernehmlassungsergebnisse zusammen und wertet sie aus. Eröffnet der Bundesrat eine Vernehmlassung, so erfüllt diese Aufgaben das zuständige Departement.
2 Parlamentarische Kommissionen können für die Vorbereitung der Vernehmlassungen und für die Zusammenstellung der Ergebnisse Dienststellen der Bundesverwaltung beiziehen.
Für die Erläuterung des Vorhabens gelten die Anforderungen an die Botschaften des Bundesrates nach Artikel 141 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200211 sinngemäss.
1 Die Vernehmlassungsunterlagen werden in Papierform oder in elektronischer Form zur Verfügung gestellt. Der Bundesrat kann vorsehen, dass Vernehmlassungen ausschliesslich elektronisch durchgeführt werden, wenn die nötigen technischen Voraussetzungen gegeben sind.
2 Die für die Durchführung des Vernehmlassungsverfahrens zuständige Behörde kann die interessierten Kreise zusätzlich zu Sitzungen einladen. Diese sind zu protokollieren.
3 Die Vernehmlassungsfrist beträgt mindestens drei Monate. Sie wird unter Berücksichtigung von Ferien- und Feiertagen sowie von Inhalt und Umfang der Vorlage angemessen verlängert. Die Mindestfrist verlängert sich bei einer Vernehmlassung:
- a.
- welche die Zeit vom 15. Juli bis zum 15. August umfasst: um drei Wochen;
- b.
- welche die Zeit von Weihnachten und Neujahr umfasst: um zwei Wochen;
- c.
- welche die Ostertage umfasst: um eine Woche.
4 Duldet das Vorhaben keinen Aufschub, so kann die Frist ausnahmsweise verkürzt werden. Die Dringlichkeit ist gegenüber den Vernehmlassungsadressaten sachlich zu begründen.
1 Die Stellungnahmen werden zur Kenntnis genommen, gewichtet und ausgewertet.
2 Die Ergebnisse der Vernehmlassung werden in einem Bericht zusammengefasst.13
1 Öffentlich zugänglich sind:
- a.
- die Vernehmlassungsunterlagen sowie alle Dokumente, Stellungnahmen oder Gutachten, die im erläuternden Bericht erwähnt werden;
- b.
- nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist: die Stellungnahmen und gegebenenfalls das Protokoll der Sitzungen nach Artikel 7 Absatz 2;
- c.
- nach der Kenntnisnahme durch die eröffnende Behörde: der Ergebnisbericht (Art. 8 Abs. 2).14
2 Die Stellungnahmen werden durch Gewährung der Einsichtnahme, Abgabe von Kopien oder Veröffentlichung in elektronischer Form zugänglich gemacht und können zu diesem Zweck technisch aufbereitet werden.
3 Das Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 200415 findet keine Anwendung.
Der Bundesrat regelt in einer Verordnung die Einzelheiten, namentlich:
- a.
- die Planung und die Koordination der einzelnen Vernehmlassungsverfahren;
- b.
- den Inhalt der Vernehmlassungsunterlagen, deren Bereitstellung und Abgabe;
- c.
- die Durchführung des Vernehmlassungsverfahrens in elektronischer Form;
- d.
- die Behandlung der eingereichten Stellungnahmen, namentlich deren Auswertung, technische Aufbereitung, Veröffentlichung und Archivierung.
Die nachstehenden Bundesgesetze werden wie folgt geändert:
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1 Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.
2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.
Datum des Inkrafttretens: 1. September 200518