0.343.1

 AS 2004 4307; BBl 2004 4340

Übersetzung

Zusatzprotokoll
zum Übereinkommen über die Überstellung
verurteilter Personen

Abgeschlossen in Strassburg am 18. Dezember 1997

Von der Bundesversammlung genehmigt am 19. Dezember 20031

Ratifikationsurkunde von der Schweiz hinterlegt am 18. Juni 2004

In Kraft getreten für die Schweiz am 1. Oktober 2004

(Stand am 24. September 2024)

1 Art. 1 Abs. 1 des BB vom 19. Dez. 2003 (AS 2004 4161)

Präambel

Die Mitgliedstaaten des Europarats und die anderen Staaten, die dieses Protokoll unterzeichnen

in dem Wunsch, die Anwendung des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen, das am 21. März 19832 in Strassburg zur Unterzeichnung aufgelegt wurde (im Folgenden als «Übereinkommen» bezeichnet), zu erleichtern und insbesondere seine anerkannten Ziele zu verfolgen, nämlich den Interessen der Rechtspflege zu dienen und die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen zu fördern;

in Anbetracht dessen, dass viele Staaten ihre eigenen Staatsangehörigen nicht ausliefern können;

in der Erwägung, dass es wünschenswert ist, das Übereinkommen in bestimmten Punkten zu ergänzen

sind wie folgt übereingekommen:

Art. 1 Allgemeine Bestimmungen

1.  Die in diesem Protokoll verwendeten Begriffe und Ausdrücke werden im Sinne des Übereinkommens ausgelegt.

2.  Die Bestimmungen des Übereinkommens sind anwendbar, soweit sie mit den Bestimmungen dieses Protokolls vereinbar sind.

Art. 23 Personen, die aus dem Urteilsstaat geflohen sind

1.  Versucht ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei, gegen den im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei als Bestandteil eines rechtskräftigen Urteils eine Sanktion verhängt wurde, sich der Vollstreckung oder weiteren Vollstreckung der Sanktion im Urteilsstaat zu entziehen, indem er in das Hoheitsgebiet der ersteren Vertragspartei flieht, bevor er die Sanktion verbüsst hat, so kann der Urteilsstaat die andere Vertragspartei ersuchen, die Vollstreckung der Sanktion zu übernehmen.

2.  Auf Ersuchen des Urteilsstaats kann der Vollstreckungsstaat vor Eingang der Unterlagen zum Ersuchen oder vor der Entscheidung über das Ersuchen die verurteilte Person festnehmen oder auf andere Weise sicherstellen, dass sie in seinem Hoheitsgebiet bleibt, bis eine Entscheidung über das Ersuchen ergangen ist. Ersuchen um vorläufige Massnahmen müssen die in Artikel 4 Absatz 3 des Übereinkommens genannten Angaben enthalten. Die strafrechtliche Lage der verurteilten Person darf nicht infolge eines auf Grund dieses Absatzes in Haft verbrachten Zeitraums erschwert werden.

3.  Die Zustimmung der verurteilten Person ist für die Übertragung der Vollstreckung der Sanktion nicht erforderlich.

3 Siehe jedoch Art. 1 des Protokolls vom 22. Nov. 2017 (SR 0.343.11).

Art. 34 Verurteilte Personen, die der Ausweisung oder Abschiebung
unterliegen

1.  Auf Ersuchen des Urteilsstaats kann der Vollstreckungsstaat vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Artikels in die Überstellung einer verurteilten Person ohne deren Zustimmung einwilligen, wenn die gegen diese Person verhängte Sanktion oder eine infolge dieser Sanktion getroffene Verwaltungsentscheidung eine Ausweisungs‑ oder Abschiebungsanordnung oder eine andere Massnahme enthält, auf Grund deren es dieser Person nicht gestattet sein wird, nach der Entlassung aus der Haft im Hoheitsgebiet des Urteilsstaats zu bleiben.

2.  Der Vollstreckungsstaat erteilt seine Einwilligung im Sinne des Absatzes 1 nicht ohne die Meinung der verurteilten Person zu berücksichtigen.

3.  Zur Anwendung dieses Artikels stellt der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat Folgendes zur Verfügung:

a)
eine Erklärung, aus der die Meinung der verurteilten Person zu ihrer vorgesehenen Überstellung hervorgeht, und
b)
eine Abschrift der Ausweisungs‑ oder Abschiebungsanordnung oder einer sonstigen Anordnung, die bewirkt, dass die verurteilte Person nach der Entlassung aus der Haft nicht mehr im Hoheitsgebiet des Urteilsstaats bleiben darf.

4.  Eine nach diesem Artikel überstellte Person darf wegen einer anderen vor der Überstellung begangenen Handlung als derjenigen, die der zu vollstreckenden Sanktion zugrunde liegt, nur dann verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder sichernden Massnahme5 in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden:

a)
wenn der Urteilsstaat dies genehmigt; zu diesem Zweck ist ein Ersuchen zu stellen, dem alle zweckdienlichen Unterlagen und ein gerichtliches Protokoll über alle Erklärungen der verurteilten Person beizufügen sind. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die strafbare Handlung, derentwegen darum ersucht wird, nach dem Recht des Urteilsstaats zur Auslieferung Anlass geben könnte oder die Auslieferung nur wegen des Strafmasses ausgeschlossen wäre;
b)
wenn die verurteilte Person, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, das Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist.

5.  Unbeschadet des Absatzes 4 kann der Vollstreckungsstaat die nach seinem Recht erforderlichen Massnahmen einschliesslich eines Abwesenheitsverfahrens treffen, um die Verjährung zu unterbrechen.

6.  Jeder Vertragsstaat kann durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung mitteilen, dass er die Vollstreckung von Sanktionen unter den in diesem Artikel beschriebenen Voraussetzungen nicht übernehmen wird.

4 Siehe jedoch Art. 2 des Protokolls vom 22. Nov. 2017 (SR 0.343.11).

5 Deutschland: «Massregel der Besserung und Sicherung», Österreich: «vorbeugenden Massnahme».

Art. 4 Unterzeichnung und Inkrafttreten

1.  Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats und die anderen Staaten, die das Übereinkommen unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf. Es bedarf der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung. Ein Unterzeichner kann dieses Protokoll nur ratifizieren, annehmen oder genehmigen, wenn er das Übereinkommen zu einem früheren Zeitpunkt ratifiziert, angenommen oder genehmigt hat oder es gleichzeitig ratifiziert, annimmt oder genehmigt. Die Ratifikations‑, Annahme‑ oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.

2.  Dieses Protokoll tritt am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der dritten Ratifikations‑, Annahme‑ oder Genehmigungsurkunde folgt.

3.  Für jeden Unterzeichnerstaat, der seine Ratifikations‑, Annahme‑ oder Genehmigungsurkunde später hinterlegt, tritt das Protokoll am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach der Hinterlegung folgt.

Art. 5 Beitritt

1.  Jeder Nichtmitgliedstaat, der dem Übereinkommen beigetreten ist, kann diesem Protokoll nach dessen Inkrafttreten beitreten.

2.  Für jeden beitretenden Staat tritt das Protokoll am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Hinterlegung der Beitrittsurkunde folgt.

Art. 6 Räumlicher Geltungsbereich

1.  Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations‑, Annahme‑, Genehmigungs‑ oder Beitrittsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Protokoll anwendbar ist.

2.  Jeder Vertragsstaat kann jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung die Anwendung dieses Protokolls auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken. Das Protokoll tritt für dieses Hoheitsgebiet am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Erklärung beim Generalsekretär folgt.

3.  Jede nach den Absätzen 1 und 2 abgegebene Erklärung kann in Bezug auf jedes darin bezeichnete Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Die Rücknahme wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.

Art. 8 Kündigung

1.  Jeder Vertragsstaat kann dieses Protokoll jederzeit durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation kündigen.

2.  Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der Notifikation beim Generalsekretär folgt.

3.  Das Protokoll ist jedoch weiterhin anwendbar auf die Vollstreckung von Sanktionen gegen Personen, die vor dem Wirksamwerden der Kündigung in Übereinstimmung mit dem Übereinkommen und diesem Protokoll überstellt worden sind.

4.  Die Kündigung des Übereinkommens bedeutet gleichzeitig die Kündigung dieses Protokolls.

Art. 9 Notifikationen

Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Europarats, jedem Unterzeichner, jeder Vertragspartei und jedem anderen Staat, der eingeladen worden ist, dem Übereinkommen beizutreten:

a)
jede Unterzeichnung;
b)
jede Hinterlegung einer Ratifikations‑, Annahme‑, Genehmigungs‑ oder Beitrittsurkunde;
c)
jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls nach Artikel 4 oder 5;
d)
jede andere Handlung, Erklärung, Notifikation oder Mitteilung im Zusammenhang mit diesem Protokoll.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

Geschehen zu Strassburg am 18. Dezember 1997 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermassen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Mitgliedstaaten des Europarats, den anderen Staaten, die das Übereinkommen unterzeichnet haben, und jedem Staat, der eingeladen worden ist, dem Übereinkommen beizutreten, beglaubigte Abschriften.

(Es folgen die Unterschriften)

Geltungsbereich am 24. September 20246

Vertragsstaaten

Ratifikation

Beitritt (B)

Nachfolgeerklärung (N)

Inkrafttreten

Belgien*

26. Mai

2005

  1. September

2005

Bulgarien

30. März

2004

  1. Juli

2004

Dänemark*

10. September

2001

  1. Januar

2002

Deutschland

17. April

2007

  1. August

2007

Estland

27. Oktober

1999

  1. Juni

2000

Finnland

  3. April

2001

  1. August

2001

Frankreich

10. Januar

2006

  1. Mai

2006

Georgien

13. April

2000

  1. August

2000

Griechenland

13. September

2005

  1. Januar

2006

Heiliger Stuhl

15. Januar

2019 B

  1. Mai

2019

Irland*

13. Dezember

2006

  1. April

2007

Island

25. Mai

2000

  1. September

2000

Italien*

15. Juni

2021

  1. Oktober

2021

Kroatien

10. Oktober

2008

  1. Februar

2009

Lettland

  2. Juni

2005

  1. Oktober

2005

Liechtenstein

13. Mai

2003

  1. September

2003

Litauen

31. Januar

2001

  1. Mai

2001

Luxemburg

15. Juli

2003

  1. November

2003

Malta

26. November

2003

  1. März

2004

Moldau*

12. Mai

2004

  1. September

2004

Montenegro

  6. Juni

2006 N

  6. Juni

2006

Niederlande*

18. Juni

2002

  1. Oktober

2002

Nordmazedonien

28. Juli

1999

  1. Juni

2000

Norwegen

25. September

2000

  1. Januar

2001

Österreich

  7. Dezember

2000

  1. April

2001

Polen

  1. Februar

2000

  1. Juni

2000

Portugal

11. Juli

2023

  1. November

2023

Rumänien*

  7. Dezember

2001

  1. April

2002

Russland*

28. August

2007

  1. Dezember

2007

San Marino

25. Juni

2004

  1. Oktober

2004

Schweden

24. November

2000

  1. März

2001

Schweiz

18. Juni

2004

  1. Oktober

2004

Serbien

30. September

2002 B

  1. Januar

2003

Slowenien

26. September

2013

  1. Januar

2014

Spanien*

19. Juli

2017

  1. November

2017

Tschechische Republik

  2. Oktober

2002

  1. Februar

2003

Türkei*

  2. Mai

2016

  1. September

2016

Ukraine*

  1. Juli

2003

  1. November

2003

Ungarn

  4. Mai

2001

  1. September

2001

Vereinigtes Königreich*

17. Juli

2009

  1. November

2009

Zypern

  1. Juni

2001

  1. Oktober

2001

*
Vorbehalte und Erklärungen.
Die Vorbehalte und Erklärungen werden in der AS nicht veröffentlicht. Die französischen und englischen Texte können auf der Internetseite des Europarats: http://conventions.coe.int eingesehen oder bei der Direktion für Völkerrecht, Sektion Staatsverträge, 3003 Bern, bezogen werden.

6 AS 2004 4307; 2007 1375; 2010 3457; 2016 2853; 2020 1567; 2024 524. Eine aktualisierte Fassung des Geltungsbereichs ist auf der Publikationsplattform des Bundesrechts «Fedlex» unter folgender Adresse veröffentlicht www.fedlex.admin.ch/de/treaty.