(Stand am 1. Januar 2007)371
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Bundesgesetz
über die Aufhebung von Strafurteilen gegen
Flüchtlingshelfer zur Zeit des Nationalsozialismus
vom 20. Juni 2003 (Stand am 1. Januar 2007)
Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,
gestützt auf die Artikel 60 Absatz 1 und 121 Absatz 1 der Bundesverfassung1,
nach Einsicht in den Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 29. Oktober 20022
und in die Stellungnahme des Bundesrates vom 9. Dezember 20023,
beschliesst:
1 Dieses Gesetz regelt die Aufhebung von Strafurteilen gegen Personen, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgten Menschen zur Flucht verholfen haben (Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfer), sowie die Rehabilitierung dieser Personen.
2 Es bezweckt, Strafurteile aufzuheben, deren Verhängung heute als schwerwiegende Verletzung der Gerechtigkeit empfunden wird.
1 Flüchtlingshelferinnen und -helfer im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, welche verurteilt worden sind, weil sie verfolgten Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus zur Flucht verhalfen oder Flüchtlinge beherbergten, ohne sie den Behörden zu melden.
2 Nicht als Flüchtlingshelferinnen und -helfer gelten Personen, welche verfolgte Menschen anlässlich der Fluchthilfe ausgenützt, im Stiche gelassen oder danach denunziert haben.
Sämtliche rechtskräftigen Urteile der Militärjustiz sowie ziviler Strafgerichte des Bundes und der Kantone gegen Flüchtlingshelferinnen und ‑helfer im Sinne der Artikel 1 und 2 sind aufgehoben.
Alle Flüchtlingshelferinnen und ‑helfer im Sinne der Artikel 1 und 2 sind vollständig rehabilitiert.
Erfolgte die Verurteilung gleichzeitig wegen anderer Straftaten, so erfasst die Aufhebung auch diese, sofern sie auf Grund einer Gesamtwürdigung als untergeordnet erscheinen.
1 Als Rehabilitierungskommission prüft und entscheidet die Begnadigungskommission der Bundesversammlung5 (Kommission) auf Gesuch hin oder von Amtes wegen, ob ein konkretes Strafurteil unter die Artikel 1 und 2 fällt.
2 Soweit notwendig, kann die Kommission weitere Einzelheiten des Verfahrens regeln.
1 Gesuche um Feststellung der Aufhebung eines konkreten Strafurteils sind an die Kommission zu richten.
2 Gesuche können gestellt werden:
- a.
- von der verurteilten Person beziehungsweise nach deren Tod von einer oder einem Angehörigen (Art. 110 Ziff. 16 StGB7);
- b.
- von einer Organisation, die ihren Sitz in der Schweiz hat, schweizerisch beherrscht ist und sich dem Schutz der Menschenrechte oder der Aufarbeitung der schweizerischen Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus widmet.
3 Die Organisation ist nicht berechtigt, ein Gesuch gegen den Willen der verurteilten Person oder, nach deren Tod, gegen den Willen einer oder eines Angehörigen zu stellen.
1 Gesuche sind innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes einzureichen.
2 Auf verspätet, jedoch spätestens innerhalb einer Frist von acht Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereichte Gesuche kann die Kommission eintreten, wenn die Gründe für die Verspätung entschuldbar sind.
Auf ein Gesuch wird nicht eingetreten, wenn das entsprechende Urteil mit angemessenem Aufwand nicht mehr aufzufinden ist.
Die Kommission wirkt soweit erforderlich bei der Feststellung des Sachverhaltes mit.
1 Die Kommission trifft ihren Entscheid nach Recht und Billigkeit und in Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles.
2 Stellt sie fest, dass ein konkretes Strafurteil unter die Artikel 1 und 2 fällt, so macht sie das Dispositiv des Entscheids in geeigneter Weise bekannt. Die Bekanntmachung darf nicht ohne Zustimmung der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers erfolgen.
3 Die Entscheide der Kommission sind letztinstanzlich.
Das Verfahren vor der Kommission ist kostenlos.
Der Feststellungsentscheid über die Aufhebung von Strafurteilen begründet weder im Hinblick auf die ausgesprochenen Strafen noch auf allfällige Nebenstrafen oder indirekte Folgen der Strafurteile einen Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung.
1 Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.
2 Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.
Datum des Inkrafttretens: 1. Januar 20048