0.131.316.3
AS 2003 1892; BBl 2000 5819
Originaltext
Abkommen
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und der Republik Österreich über die gegenseitige
Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen
Abgeschlossen am 22. März 2000
Von der Bundesversammlung genehmigt am 7. März 20011
Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 13. Dezember 2001
In Kraft getreten am 1. März 2002
(Stand am 8. Juli 2003)
Die Schweizerische Eidgenossenschaft
und
die Republik Österreich,
überzeugt von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten mit dem Ziel, die gegenseitige Hilfe bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen zu erleichtern,
sind wie folgt übereingekommen:
1. Dieses Abkommen regelt die Rahmenbedingungen für freiwillige Hilfeleistungen bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen im anderen Vertragsstaat auf dessen Ersuchen hin, insbesondere für Einsätze von Mannschaften und Material.
2. Hilfeleistungen im Rahmen der herkömmlichen grenzüberschreitenden Nachbarschaftshilfe bleiben unberührt.
Im Sinne dieses Abkommens bedeuten die Begriffe:
«Einsatzstaat»
denjenigen Vertragsstaat, dessen zuständige Behörden um Hilfeleistung, insbesondere um Entsendung von Hilfsmannschaften oder -material, aus dem anderen ersuchen;
«Entsendestaat»
denjenigen Vertragsstaat, dessen zuständige Behörden einem Ersuchen des anderen um Hilfeleistung, insbesondere um Entsendung von Hilfsmannschaften oder ‑material, stattgeben;
«Ausrüstungsgegenstände»
das Material, die Fahrzeuge, die Güter für den Eigenbedarf (Betriebsgüter) und die persönliche Ausstattung der Hilfsmannschaften;
«Hilfsgüter»
die zusätzlichen Ausstattungen und Waren, die zur Abgabe an die betroffene Bevölkerung bestimmt sind;
«Hilfsmannschaften»
spezialisierte zivile oder militärische Einheiten für die Hilfseinsätze mit entsprechenden Ausrüstungsgegenständen und Hilfsgütern.
1. Unbeschadet des diplomatischen Wegs sind die für die Stellung und die Entgegennahme von Hilfeersuchen zuständigen Behörden:
- –
- auf der Seite der Schweizerischen Eidgenossenschaft:
das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten oder
die Regierung des Kantons St. Gallen oder
die Regierung des Kantons Graubünden; - –
- auf der Seite der Republik Österreich:
der Bundesminister für Inneres oder
die Vorarlberger Landesregierung oder
die Tiroler Landesregierung.
2. Die in Absatz 1 genannten Behörden können nachgeordnete Behörden bezeichnen, die zur Stellung oder zur Entgegennahme von Hilfeersuchen befugt sind.
3. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Behörden der beiden Vertragsstaaten sind ermächtigt, bei der Durchführung dieses Abkommens unmittelbar miteinander in Verbindung zu treten.
4. Die beiden Vertragsstaaten geben einander die Adressen und Fernmeldeverbindungen der in den Absätzen 1 und 2 genannten Behörden bekannt.
5. Die Vertragsstaaten unterrichten einander auf diplomatischem Weg unverzüglich über Änderungen, die die Zuständigkeiten dieser Behörden in Bereichen, die dieses Abkommen umfasst, betreffen.
Art und Umfang der Hilfeleistung werden von Fall zu Fall im Einvernehmen zwischen den in Artikel 3 genannten Behörden abgesprochen, ohne dass sie auf Einzelheiten der Durchführung eingehen müssen.
1. Die Hilfe wird durch solche Hilfsmannschaften geleistet, die insbesondere in der Bekämpfung von Bränden, von nuklearen und chemischen Gefahren und in medizinischer Hilfe, Rettung, Bergung oder behelfsmässiger Instandsetzung ausgebildet sind und die über das für diese Aufgaben erforderliche Material und Spezialgerät verfügen; falls erforderlich, kann die Hilfe auf jede andere Weise erbracht werden.
2. Die Hilfsmannschaften können auf dem Land-, Wasser- oder Luftweg entsandt werden.
1. Die Angehörigen einer Hilfsmannschaft sind vom Passzwang und dem Erfordernis einer Aufenthaltsbewilligung oder eines Sichtvermerkes befreit. Es kann lediglich vom Leiter der Hilfsmannschaft ein seine Stellung bezeugender Ausweis verlangt werden.
2. Bei besonderer Dringlichkeit kann die Grenze auch ausserhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen ohne Beachtung der sonst hiefür massgeblichen Vorschriften überschritten werden. In diesem Fall sind die für die Grenzüberwachung zuständigen Behörden oder der nächste Grenzposten ehestmöglich hievon zu unterrichten.
3. Sofern dies zu ihrer üblichen Ausrüstung zählt, sind die Hilfsmannschaften dazu berechtigt, auf dem Gebiet des Einsatzstaates Uniform zu tragen.
4. Die Erleichterungen beim Grenzübertritt nach den Absätzen 1 und 2 gelten auch für Personen, die bei einer Katastrophe oder einem schweren Unglücksfall evakuiert werden müssen.
1. Die Vertragsstaaten erleichtern die Ein- und Ausfuhr der Ausrüstungsgegenstände und Hilfsgüter. Der Leiter einer Hilfsmannschaft hat den Grenzkontroll- oder Zollorganen des Einsatzstaates beim Grenzübertritt lediglich ein Verzeichnis der mitgeführten Ausrüstungsgegenstände und Hilfsgüter zu übergeben; erfolgt bei besonderer Dringlichkeit der Grenzübertritt ausserhalb zugelassener Grenzübergangsstellen, ist dem bei der zuständigen Zollstelle ehestmöglich zu entsprechen.
2. Die Hilfsmannschaften dürfen ausser den bei Hilfseinsätzen notwendigen Ausrüstungsgegenständen und Hilfsgütern keine Waren mitführen. Militärische und polizeiliche Land-, Wasser- und Luftfahrzeuge können mit üblicher Ausrüstung, nicht jedoch mit Munition, die Grenze überschreiten und im Einsatzgebiet operieren.
3. Für die bei Hilfeleistungen notwendigen Ausrüstungsgegenstände und Hilfsgüter finden die Verbote und Beschränkungen für den grenzüberschreitenden Warenverkehr keine Anwendung. Soweit diese Ausrüstungsgegenstände nicht verbraucht werden, sind sie wieder auszuführen. Werden Ausrüstungsgegenstände als Hilfs-güter zurückgelassen, so sind Art und Menge sowie der Verbleib der verantwortlichen Behörde des Einsatzstaates anzuzeigen, welche die zuständige Zollstelle hievon benachrichtigt. In diesem Fall gilt das Recht des Einsatzstaates.
4. Absatz 3 findet auch Anwendung auf die Einfuhr von Betäubungsmitteln bzw. Suchtgiften und psychotropen Stoffen in den Einsatzstaat und die Wiederausfuhr der nicht verbrauchten Mengen in den Entsendestaat. Betäubungsmittel bzw. Suchtgifte und psychotrope Stoffe dürfen nur nach Massgabe des dringlichen medizinischen Bedarfs mitgeführt und nur durch qualifiziertes medizinisches Personal nach den gesetzlichen Bestimmungen des Vertragsstaates eingesetzt werden, dem die Hilfsmannschaft angehört. Die verbrauchten Betäubungsmittel bzw. Suchtgifte und psychotropen Stoffe werden der Verbrauchsstatistik des Entsendestaates zugerechnet.
5. Die Vertragsstaaten werden bei Gegenseitigkeit die bei Hilfeleistungen notwendigen Ausrüstungsgegenstände und Hilfsgüter im Einsatzstaat ohne förmliches Verfahren und ohne Leistung einer Sicherheit zur abgabenfreien vorübergehenden Verwendung zulassen und diese frei von allen Eingangsabgaben lassen, soweit sie verbraucht sind.
1. Luftfahrzeuge können nicht nur für die schnelle Heranführung der Hilfsmannschaften nach Artikel 5 Absatz 2, sondern auch unmittelbar für andere Arten von Hilfeleistungen benutzt werden.
2. Jeder Vertragsstaat gestattet, dass Luftfahrzeuge, die vom Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aus gemäss Absatz 1 eingesetzt werden, sein Hoheitsgebiet überfliegen und auch ausserhalb von Zollflugplätzen und genehmigten Flugfeldern landen und abfliegen.
3. Die Verwendung von Luftfahrzeugen bei einem Hilfseinsatz ist der ersuchenden Behörde unverzüglich mit möglichst genauen Angaben über Art und Kennzeichen des Luftfahrzeuges, Besatzung, Beladung, Abflugzeit, voraussichtliche Route und Landeort mitzuteilen.
4. Sinngemäss werden angewandt:
- a)
- Artikel 6 auf die Besatzungen und mitfliegenden Hilfsmannschaften;
- b)
- Artikel 7 auf die Luftfahrzeuge und sonstigen mitgeführten Ausrüstungsgegenstände und Hilfsgüter.
5. Soweit sich aus Absatz 2 nichts anderes ergibt, sind die luftfahrtrechtlichen Verkehrsvorschriften jedes Vertragsstaates anwendbar, insbesondere die Pflicht, den zuständigen Kontrollstellen Angaben über die Flüge zu übermitteln. Der jeweilige Flugplan hat einen Hinweis auf dieses Abkommen zu enthalten.
1. Die Koordination und Gesamtleitung der Rettungs- und Hilfsmassnahmen obliegt in jedem Fall den Behörden des Einsatzstaates.
2. Aufträge an die Hilfsmannschaften des Entsendestaates werden ausschliesslich an ihre Leiter gerichtet, welche Einzelheiten der Durchführung gegenüber den ihnen unterstellten Kräften anordnen.
3. Die Behörden des Einsatzstaates leisten den Hilfsmannschaften des Entsendestaates Schutz und Hilfe.
1. Der Entsendestaat hat gegenüber dem Einsatzstaat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Hilfeleistung. Dies gilt auch für Kosten, die durch Verbrauch, Beschädigung oder Verlust des Materials entstehen. Kosten der Hilfeleistungen durch natürliche und juristische Personen, die der Entsendestaat auf Ersuchen hin lediglich vermittelt, trägt der Einsatzstaat.
2. Im Fall der gänzlichen oder teilweisen Wiedereinbringung der Kosten der durchgeführten Hilfsmassnahmen gilt Absatz 1 nicht. Der Entsendestaat wird vorrangig entschädigt.
3. Die Hilfsmannschaften des Entsendestaates werden während der Dauer des Einsatzes im Einsatzstaat auf dessen Kosten verpflegt und untergebracht sowie mit Gütern für den Eigenbedarf versorgt, wenn die mitgeführten Bestände aufgebraucht sind. Sie erhalten im Bedarfsfall logistische einschliesslich medizinischer Hilfe.
1. Jeder Vertragsstaat verzichtet auf alle ihm gegen den anderen Vertragsstaat oder gegen einen Angehörigen von dessen Hilfsmannschaften zustehenden Ansprüche auf Ersatz von
- a)
- Sach- und Vermögensschäden, die von einem Angehörigen der Hilfsmannschaften im Zusammenhang mit der Erfüllung seines Auftrages verursacht worden sind;
- b)
- Schäden, die auf einer Körperverletzung, einer Gesundheitsschädigung oder dem Tod eines Angehörigen der Hilfsmannschaften im Zusammenhang mit der Erfüllung seines Auftrages beruhen.
Dies gilt nicht, wenn der Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde.
2. Wird durch einen Angehörigen der Hilfsmannschaften des Entsendestaates im Zusammenhang mit der Erfüllung seines Auftrages im Gebiet des Einsatzstaates Dritten ein Schaden zugefügt, so haftet der Einsatzstaat für den Schaden nach Massgabe der Rechtsvorschriften, die im Fall eines durch einen Angehörigen der eigenen Hilfsmannschaften verursachten Schadens Anwendung fänden.
3. Der Einsatzstaat hat keinen Regressanspruch gegen den Entsendestaat oder gegen einen Angehörigen von dessen Hilfsmannschaften. Hat aber dieser Angehörige der Hilfsmannschaften einem Dritten einen Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig zugefügt, so kann der Einsatzstaat einen Regressanspruch gegen den Entsendestaat geltend machen.
4. Die Behörden der Vertragsstaaten arbeiten gemäss ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften eng zusammen, um die Erledigung von Schadenersatz- und Entschädigungsansprüchen zu erleichtern. Insbesondere tauschen sie alle ihnen zugänglichen Informationen über Schadensfälle im Sinne dieses Artikels aus.
1. Strafbare Handlungen, die ein Angehöriger der Hilfsmannschaften des Entsendestaates auf dem Territorium des Einsatzstaates begeht, unterliegen der Gerichtsbarkeit des Einsatzstaates.
2. Werden durch einen Angehörigen der Hilfsmannschaften des Entsendestaates anlässlich des Einsatzes auf dem Gebiet des Einsatzstaates strafbare Handlungen begangen, so wird der Einsatzstaat allfällige Begehren des Entsendestaates um eine Übertragung der Strafverfolgung wohlwollend prüfen; wird diesem Begehren stattgegeben, so wird der Einsatzstaat die Ausreise dieser Person in den Entsendestaat gestatten; die Bestimmungen über die Auslieferung zwischen den Vertragsstaaaten bleiben dadurch unberührt.
1. Personen, die bei einer Katastrophe oder einem schweren Unglücksfall als Angehörige der Hilfsmannschaften oder als Evakuierte von einem Vertragsstaat in den anderen gelangt sind, erhalten dort bis zum Zeitpunkt der frühesten Rückkehrmöglichkeit Unterstützung nach den Vorschriften der innerstaatlichen Sozialhilfe. Der Abgangsstaat erstattet die Kosten der Unterstützung und der Rückführung dieser Personen, sofern sie nicht Angehörige des anderen Vertragsstaates sind.
2. Jeder Vertragsstaat nimmt Personen, die als Angehörige der Hilfsmannschaften oder als Evakuierte von seinem Hoheitsgebiet auf dasjenige des anderen Vertragsstaates gelangt sind, wieder auf. Soweit es sich um Personen handelt, die nicht Angehörige des wieder aufnehmenden Vertragsstaates sind, bleiben sie dem gleichen ausländerrechtlichen Status wie vor dem Grenzübertritt unterstellt.
1. Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten treffen gemeinsam die erforder-lichen Vorkehrungen, damit Fernmelde- und insbesondere Funkverbindungen zwischen den in Artikel 3 genannten Behörden, zwischen diesen Behörden und den von ihnen entsandten Hilfsmannschaften, zwischen den Hilfsmannschaften untereinander und zwischen den entsandten Hilfsmannschaften und der jeweiligen Einsatzleitung ermöglicht werden.
2. Diese Behörden sind:
- –
- auf der Seite der Schweizerischen Eidgenossenschaft:
das Bundesamt für Kommunikation des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation; - –
- auf der Seite der Republik Österreich:
der Bundesminister für Inneres.
1. Die in Artikel 3 genannten Behörden arbeiten nach Massgabe des innerstaatlichen Rechts zusammen, insbesondere
- a)
- zur Durchführung von Hilfeleistungen;
- b)
- zur Vorbeugung und Bekämpfung von Katastrophen oder schweren Unglücksfällen, indem sie alle zweckdienlichen Informationen wissenschaftlich-technischer Art austauschen und Tagungen, Forschungsprogramme, Fachkurse und Übungen von Hilfseinsätzen auf dem Gebiet beider Vertragsstaaten vorsehen;
- c)
- zum Austausch von Informationen über Gefahren und Schäden, die sich auf das Gebiet des anderen Vertragsstaates auswirken können; die gegenseitige Unterrichtung umfasst auch die vorsorgliche Übermittlung von Messdaten.
2. Für gemeinsame Übungen, bei denen Hilfsmannschaften des einen Vertragsstaates auf dem Gebiet des anderen zum Einsatz kommen, gelten die Bestimmungen dieses Abkommens sinngemäss.
3. Ist für den Fall eines Einsatzes in einem Drittstaat der Durchgang mit Hilfsmannschaften, Ausrüstungsgegenständen und Hilfsgütern des einen Vertragsstaates durch das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates erforderlich, werden die zuständigen Behörden eng zusammenarbeiten, um nach Massgabe der Rechtsvorschriften des Durchgangsstaates einen unverzüglichen Durchgang zu ermöglichen.
4. Im Fall eines Durchgangs gemäss Absatz 3 finden die vorstehenden Bestimmungen dieses Abkommens keine Anwendung.
Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung dieses Abkommens, die nicht unmittelbar durch die in Artikel 3 genannten Behörden beigelegt werden können, werden auf diplomatischem Weg bereinigt. Kann die Meinungsverschiedenheit auf diesem Weg nicht binnen sechs Monaten beigelegt werden, so kann sie auf Verlangen eines jeden Vertragsstaates zur verbindlichen Entscheidung einer Schiedskommission unterbreitet werden, deren Zusammensetzung und Verfahren zwischen den beiden Vertragsstaaten einvernehmlich vereinbart wird.
Dieses Abkommen kann jederzeit auf diplomatischem Weg gekündigt werden; es tritt sechs Monate nach dem Zugang der Kündigung ausser Kraft.
Bestehende vertragliche Regelungen zwischen den Vertragsstaaten bleiben unberührt.
1. Dieses Abkommen bedarf der Ratifikation. Die Ratifikationsurkunden werden so bald wie möglich ausgetauscht.
2. Dieses Abkommen tritt am ersten Tag des dritten Monats nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.
Geschehen zu Wien am 22. März 2000 in zwei Urschriften in deutscher Sprache.
Für die Schweizerische Eidgenossenschaft: | Für die Republik Österreich: |
Franz von Däniken | Albert Rohan |