0.975.277.2

 AS 1991 2196

Originaltext

Abkommen

zwischen dem Schweizerischen Bundesrat und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen1

Abgeschlossen am 1. Dezember 1990

In Kraft getreten durch Notenaustausch am 26. August 1991

(Stand am 26. August 1991)

1 Dieses Abk. ist heute noch im Verhältnis zu Russland in Kraft.

Präambel

Der Schweizerische Bundesrat
und
die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken,

vom Wunsche geleitet, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten zum beiderseitigen Nutzen zu verstärken,

im Bestreben, günstige Bedingungen für Investitionen von Investoren der einen Vertragspartei auf dem Gebiete der anderen Vertragspartei zu schaffen und zu erhalten,

in der Erkenntnis, dass die Förderung und der Schutz solcher Investitionen zur Mehrung des wirtschaftlichen Wohlstandes in beiden Staaten beitragen,

haben folgendes vereinbart:

Art. 1 Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieses Abkommens und vorbehältlich der in Artikel 2 dieses Abkommens enthaltenen Bedingungen

(1)  bezieht sich der Begriff «Investor» hinsichtlich beider Vertragsparteien auf

(a)
natürliche Personen, die gemäss der Gesetzgebung der betreffenden Vertragspartei als ihre Staatsangehörigen betrachtet werden;
(b)
juristische Gebilde, einschliesslich Gesellschaften, Körperschaften, Unternehmen, geschäftliche Vereinigungen und andere Organisationen, die nach dem Recht der betreffenden Vertragspartei organisiert sind und die ihren Sitz, verbünden mit einer echten Wirtschaftstätigkeit, im Gebiet derselben Vertragspartei haben.

(2)  umfasst der Begriff «Investitionen» alle Arten von Vermögenswerten und Guthaben, insbesondere

(a)
bewegliche und unbewegliche Vermögenswerte sowie sämtliche dinglichen Rechte;
(b)
Aktien, Anteile und andere Formen der Beteiligung an Gesellschaften, Unternehmen oder anderen Organisationen;
(c)
Forderungen auf Geld oder auf irgendwelche Leistungen, die einen wirtschaftlichen Wert aufweisen;
(d)
Urheberrechte, gewerbliche Eigentumsrechte (wie Patente, Modelle, Muster, Handels-und Dienstleistungsmarken, Handelsnamen, Ursprungsbezeichnungen), «Know‑how» und jeder andere mit einem Geschäft verbundene Wert oder Vorteil;
(e)
Rechte zur Ausübung einer Wirtschaftstätigkeit, einschliesslich solcher zur Prospektion, Gewinnung und Verwertung von natürlichen Ressourcen, sowie sämtliche anderen Rechte, die kraft Gesetz oder, in Übereinstimmung mit dem Recht des Staates, wo die Investition getätigt wurde, von der zuständigen Behörde durch Vertrag oder Entscheid verliehen werden.

(3)  Bezeichnet der Begriff «Investitionserträge» diejenigen Beträge, die eine Investition erbringt und umfasst insbesondere, wenn auch nicht ausschliesslich, Gewin­ne, Zinsen, Kapitalzuwächse, Dividenden, Lizenzgebühren sowie Zahlungen für die Verwaltung, die technische Unterstützung und den Unterhalt der Investition.

(4)  Umfasst der Begriff «Hoheitsgebiet» das Gebiet der Schweiz beziehungsweise der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken sowie, falls vorhanden, die an die Aussengrenzen der Territorialgewässer des Staates angrenzenden Seezonen, über welche dieser Staat gemäss Völkerrecht Souveränität oder Gerichtsbarkeit ausübt.

Art. 2 Anwendungsbereich

Dieses Abkommen ist anwendbar auf Investitionen, einschliesslich indirekte Investitionen, im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, welche nach dem 31. Dezember 1964 von Investoren der anderen Vertragspartei in Übereinstimmung mit den Gesetzen und übrigen Rechtsvorschriften der ersten Vertragspartei getätigt wurden, sofern der Investor nach dem Recht seines Heimatstaates zur Vornahme der Investition berechtigt war; dabei bezieht sich der Ausdruck «indirekte Investition» auf Investitionen von juristischen Gebilden nach dem Recht irgendeines Staates, an denen ein Investor der einen oder anderen Vertragspartei ein überwiegendes Interesse hat.

Art. 3 Zulassung und Schutz von Investitionen

(1)  Jede Vertragspartei verpflichtet sich, auf ihrem Hoheitsgebiet günstige Bedingungen für die Vornahme von Investitionen durch Investoren der andern Vertragspartei zu schaffen und zu erhalten und lässt solche Investitionen in Übereinstimmung mit ihrer Gesetzgebung zu.

(2)  Jede Vertragspartei schützt innerhalb ihres Hoheitsgebietes die in Übereinstimmung mit ihrer Gesetzgebung von Investoren der anderen Vertragspartei getätigten Investitionen. Jede Vertragspartei unternimmt das Mögliche, um Aufbau, Betrieb, Verwaltung, Unterhalt, Gebrauch, Nutzniessung, Entwicklung und Veräusserung solcher Investitionen zu erleichtern.

Art. 4 Behandlung von Investitionen

(1)  Jede Vertragspartei stellt auf ihrem Hoheitsgebiet eine gerechte und billige Behandlung der Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei sicher.

(2)  Keine Vertragspartei wird auf ihrem Hoheitsgebiet Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei weniger günstig behandeln als Investitionen von Investoren irgendeines Drittstaates. Gemeinschaftsunternehmen, an denen Investoren beider Vertragsparteien beteiligt sind, werden nicht weniger günstig behandelt als Gemeinschaftsunternehmen mit Beteiligung von Investoren irgendeines Drittstaates.

(3)  Die Meistbegünstigungsverpflichtung gemäss Absatz (2) dieses Artikels bezieht sich nicht auf Vorteile, die eine Vertragspartei aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens oder eines Abkommens zur Gründung einer Freihandelszone, einer Zoll‑ oder Wirtschaftsunion oder einer Organisation für gegenseitige Wirtschaftshilfe gewährt. Dieser Vorbehalt gilt auch hinsichtlich zwischenstaatlicher Abkommen, die vor der Unterzeichnung des vorliegenden Abkommens in Kraft getreten sind und einer Organisation für gegenseitige Wirtschaftshilfe vergleichbare Vorteile vorsehen.

(4)  Unbeschadet der zum Zeitpunkt der Vornahme einer Investition gültigen Gesetzgebung für Auslandinvestitionen sowie der sich daraus ergebenden Investitionsbedingungen unterlässt es jede Vertragspartei, diskriminierende Massnahmen hinsichtlich Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei zu treffen, wie auch hinsichtlich Gemeinschaftsunternehmen, an denen Investoren beider Vertragsparteien beteiligt sind. Zu solchen Massnahmen gehören insbesondere auch ungebührliche Einschränkungen sowie andere Hindernisse betreffend den Zugang zu Produktionsmitteln oder zum Kauf, Transport, Marketing und Verkauf von Gütern und Dienstleistungen.

Art. 5 Transfer von Zahlungen im Zusammenhang mit Investitionen

(1)  Jede Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet Investoren der anderen Vertragspartei Investitionen getätigt haben, gewährt diesen Investoren den freien Transfer von Zahlungen im Zusammenhang mit diesen Investitionen, insbesondere

(a)
von Investitionserträgen;
(b)
von Beträgen zur Rückzahlung von Darlehen;
(c)
von zusätzlichen Kapitalleistungen, die für den Unterhalt oder die Ausweitung der Investitionen erforderlich sind;
(d)
von Erlösen aus der teilweisen oder vollständigen Liquidation oder aus dem Verkauf einer Investition, einschliesslich der Wertsteigerung des Kapitals.

(2)  Sofern der Investor mit der betroffenen Vertragspartei nichts anderes vereinbart hat, erfolgen die Überweisungen zu dem am Überweisungstag geltenden Wechsel­kurs gemäss den Wechselkursvorschriften derjenigen Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet die Investition vorgenommen wurde.

Art. 6 Besitzesentziehung und Entschädigung

(1)  Keine Vertragspartei darf Enteignungs‑ oder Verstaatlichungsmassnahmen oder irgendwelche andere Massnahmen von derselben Art oder mit gleichartiger Wirkung hinsichtlich Investitionen treffen, die Investoren der anderen Vertragspartei gehören, es sei denn, solche Massnahmen erfolgten im öffentlichen Interesse, seien nicht diskriminierend und entsprächen den gesetzlichen Vorschriften und weiter voraus­gesetzt, dass eine tatsächlich verwertbare und wertentsprechende Entschädigung vorgesehen ist. Der Entschädigungsbetrag ist in einer konvertiblen Währung zu zahlen, muss frei transferierbar sein und ist ohne Verzögerung zu überweisen.

(2)  Investoren einer Vertragspartei, deren Investitionen als Folge eines Krieges oder eines anderen bewaffneten Konfliktes, innerer Unruhen, eines Ausnahmezustandes oder einer ähnlichen Situation auf dem Gebiet der anderen Vertragspartei Schaden genommen haben, haben Anspruch darauf, von der letzteren hinsichtlich Rückerstattung, Entschädigung, Abfindung oder anderer Wiedergutmachung gemäss Artikel 4 dieses Abkommens behandelt zu werden.

(3)  Im Falle indirekter Investitionen im Sinne von Artikel 2 dieses Abkommens ist eine Vertragspartei unter diesem Abkommen nur verpflichtet, Investoren der anderen Vertragspartei jenen Teil der Entschädigung auszuzahlen, der ihrer finanziellen Beteiligung am juristischen Gebilde entspricht, auf das im erwähnten Artikel Bezug genommen wird.

Art. 7 Subrogation

Hat eine der Vertragsparteien für eine Investition eines ihrer Investoren im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei eine finanzielle Garantie gegen nichtkommerzielle Risiken gewährt und wurde aufgrund dieser Garantie eine Zahlung geleistet, so anerkennt die andere Vertragspartei aufgrund des Subrogationsprinzips den Übergang der Rechte des Investors auf die erste Vertragspartei.

Art. 8 Meinungsverschiedenheiten zwischen einem Investor und der Gast‑Vertragspartei

(1)  Zur Lösung von Meinungsverschiedenheiten über Investitionen zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei finden, unbeschadet von Artikel 9 dieses Abkommens, Beratungen zwischen den betroffenen Streitparteien statt.

(2)  Führen diese Beratungen innerhalb von sechs Monaten nach der Zustellung des schriftlichen Begehrens, solche Beratungen aufzunehmen, zu keiner Lösung, so können die Streitparteien wie folgt vorgehen:

(a)
Eine Streitigkeit über die Folgen einer Nichterfüllung oder nicht richtigen Erfüllung der Verpflichtungen betreffend den freien Transfer gemäss Arti­­­kel 5­­ ­dieses Abkommens oder eine Streitigkeit über das Verfahren und den Entschädigungsbetrag im Zusammenhang mit einer Besitzesentziehung gemäss Artikel 6 dieses Abkommens ist auf Ersuchen einer Streitpartei einem Schiedsgericht zu unterbreiten.
(b)
Eine Streitigkeit, die nicht unter Absatz (2), Buchstabe (a) dieses Artikels fällt, wird einem Schiedsgericht unterbreitet, wenn beide Streitparteien damit einverstanden sind.

(3)  Das Schiedsgericht wird von Fall zu Fall gebildet. Vorbehältlich einer anderslautenden Verständigung zwischen den betroffenen Parteien, bezeichnet jede von ihnen einen Schiedsrichter, und diese zwei Schiedsrichter wählen einen Staatsangehörigen eines dritten Staates als Obmann. Die Bezeichnung der Schiedsrichter erfolgt innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des Ersuchens für ein Schiedsverfahren, und der Obmann ist innerhalb der folgenden zwei Monate zu ernennen.

(4)  Wurden die in Absatz (3) dieses Artikels genannten Fristen nicht eingehalten, kann jede Streitpartei, vorbehältlich einer anderslautenden Vereinbarung, den Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes einladen, die erforderlichen Ernennungen durchzuführen. Ist der Präsident an seiner Mandatsausübung verhindert oder Staatsangehöriger einer der beiden Vertragsparteien, so werden die Bestimmungen von Absatz (5) des Artikels 9 dieses Abkommens mutatis mutandis angewandt.

(5)  Vorbehältlich einer anderslautenden Vereinbarung zwischen den Streitparteien regelt das Schiedsgericht sein Verfahren selbst. Seine Entscheide sind für die Streitparteien endgültig und bindend. Jede Vertragspartei stellt die Anerkennung und Vollstreckung der Schiedssprüche gemäss dem Übereinkommen von New York vom 10. Juni 19582 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schieds­­sprüche sicher.

(6)  Jede Streitpartei trägt die Kosten ihres eigenen Schiedsrichters und ihrer Ver­tretung im Schiedsverfahren; die Kosten des Obmannes und die übrigen Kosten sind von den Streitparteien zu gleichen Teilen zu tragen. Allerdings kann das Schieds­gericht in seinem Schiedsspruch festlegen, dass die Streitparteien einen anderen Kostenanteil zu tragen haben; ein solcher Entscheid ist für beide Parteien ver­bindlich.

(7)  Die an der Streitigkeit beteiligte Vertragspartei kann in keiner Phase des Streitbeilegungsverfahrens oder der Vollstreckung des Schiedsspruchs den Einwand erheben, der Investor habe aufgrund eines Versicherungsvertrages eine Entschädigung für einen Teil oder die Gesamtheit des entstandenen Schadens erhalten.

Art. 9 Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien

(1)  Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien bezüglich Aus­legung oder Anwendung der Bestimmungen dieses Abkommens sind auf diplomatischem Wege beizulegen.

(2)  Falls die beiden Vertragsparteien sich nicht innerhalb von zwölf Monaten nach Ausbruch der Streitigkeit verständigen können, ist sie auf Ersuchen der einen oder anderen Vertragspartei einem aus drei Mitgliedern bestehenden Schiedsgericht zu unterbreiten. Jede Vertragspartei bezeichnet einen Schiedsrichter. Die beiden so bezeichneten Schiedsrichter ernennen einen Angehörigen eines Drittstaates zum Vorsitzenden.

(3)  Falls eine Vertragspartei ihren Schiedsrichter nicht bezeichnet und der Aufforderung der anderen Vertragspartei, innerhalb von zwei Monaten diese Bezeichnung vorzunehmen, nicht nachkommt, so wird der Schiedsrichter auf Ersuchen der letzteren Vertragspartei vom Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes ernannt.

(4)  Können sich die beiden Schiedsrichter nicht innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Bezeichnung auf die Wahl des Vorsitzenden einigen, so wird dieser auf Verlangen einer der beiden Vertragsparteien vom Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes ernannt.

(5)  Ist der Präsident des Internationalen Gerichtshofes in den in Absatz (3) und Absatz (4) erwähnten Fällen an seiner Mandatsausübung verhindert, oder ist er Staatsangehöriger einer der beiden Vertragsparteien, so werden die Ernennungen vom Vize­präsidenten vorgenommen. Ist auch dieser verhindert oder Staatsange­höriger einer der beiden Vertragsparteien, so werden die Ernennungen durch das amtsälteste Mitglied des Gerichtshofes vorgenommen, das nicht Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist.

(6)  Sofern die Vertragsparteien nichts anderes bestimmen, regelt das Schiedsgericht sein Verfahren selber.

(7)  Die Entscheide des Schiedsgerichts sind für die Vertragsparteien endgültig und bindend.

Art. 10 Andere Verpflichtungen

(1)  Jede Vertragspartei gewährleistet die Einhaltung sämtlicher Verpflichtungen, die sie bezüglich Investitionen von Investoren der anderen Vertragspartei eingegangen ist.

(2)  Keine Bestimmung dieses Abkommens beeinträchtigt die Rechte und Ver­günstigungen, die eine Investition aufgrund der nationalen Gesetzgebung jener Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet die Investition vorgenommen wurde, oder auf­grund eines internationalen Übereinkommens, an dem beide Vertragsparteien beteiligt sind, zukommen.

Art. 11 Schlussbestimmungen

(1)  Das vorliegende Abkommen tritt am Tage in Kraft, an dem sich die beiden Vertragsparteien schriftlich mitteilen, dass die verfassungsmässigen Vorschriften für den Abschluss und das Inkrafttreten von internationalen Abkommen erfüllt sind, und gilt für die Dauer von fünfzehn Jahren. Wird es nicht durch schriftliche Anzeige wenigstens sechs Monate vor Ablauf dieser Zeitspanne gekündigt, verlängert sich seine Laufzeit um jeweils weitere fünf Jahre.

(2)  Im Falle einer Kündigung dieses Abkommens gelten für Investitionen, die vor seiner Kündigung getätigt wurden, die in den Artikeln 1 bis 10 enthaltenen Bestimmungen noch während einer Dauer von fünfzehn Jahren.

Geschehen zu Moskau, am 1. Dezember 1990, in zwei Originalen, jedes in deutscher und russischer Sprache, wobei jeder Text gleichermassen verbindlich ist.

Für den
Schweizerischen Bundesrat:

René Felber

Für die Regierung
der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken:

Eduard Amvrosevic Ševardnadze