0.276.195.141

Originaltext

Abkommen

zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
und dem Fürstentum Liechtenstein
über die Anerkennung und Vollstreckung
von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen in Zivilsachen

Abgeschlossen am 25. April 1968
Von der Bundesversammlung genehmigt am 12. Juni 19691
Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 15. Januar 1970
In Kraft getreten am 15. März 1970

(Stand am 28. August 2014)

Der Schweizerische Bundesrat
und
Seine Durchlaucht der Regierende Fürst von Liechtenstein,

von dem Wunsche geleitet, die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen in Zivilsachen zu regeln, haben beschlossen, hierüber ein Abkommen zu schliessen. Zu diesem Zwecke haben sie zu ihren Bevollmächtigten ernannt:

(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)

die nach gegenseitiger Bekanntgabe ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten folgendes vereinbart haben:

Art. 1

Die in einem der beiden Staaten gefällten gerichtlichen Entscheidungen in Zivil­sachen werden im andern Staat anerkannt, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

1.
Die Anerkennung der Entscheidung darf nicht gegen die öffentliche Ord­nung des Staates verstossen, in welchem die Entscheidung geltend gemacht wird; insbesondere darf ihr nicht nach dem Rechte dieses Staates die Einrede der entschiedenen Rechtssache entgegenstehen;
2.
die Entscheidung muss von einem nach den Bestimmungen des Artikels 2 zuständigen Gerichte gefällt sein;
3.
die Entscheidung muss nach dem Rechte des Staates, in dem sie ergangen ist, in Rechtskraft erwachsen sein;
4.
im Falle eines Versäumnisurteils muss die den Prozess einleitende Verfü­gung oder Ladung rechtzeitig der säumigen Partei, sei es persönlich oder an ihren Vertreter, zugestellt worden sein. Hatte die Zustellung im Gebiete des Staates zu geschehen, in welchem die Entscheidung geltend gemacht wird, so muss sie im Rechtshilfeweg bewirkt worden sein.

In einem Strafverfahren ergangene Entscheidungen über privatrechtliche Ansprüche sowie Entscheidungen, mit denen in einem Zivilprozesse Ordnungsstrafen verhängt werden oder die einen Arrest oder irgendeine andere einstweilige Verfügung anord­nen, können auf Grund dieses Abkommens weder anerkannt noch vollstreckt wer­den. Dasselbe gilt für Entscheidungen in Konkurs‑ oder Nachlassvertragssachen.

Entscheidungen von in der Schweiz zur Anordnung und Beaufsichtigung der Vor­mundschaft berufenen Verwaltungsbehörden sowie die vor solchen Behörden abge­schlossenen Vergleiche sind hinsichtlich dieses Abkommens den gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen gleichgestellt.

Art. 2

Die Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in welchem die Entscheidung gefällt wurde, ist im Sinne von Artikel 1, Absatz 1, Ziffer 2 in den folgenden Fällen begründet:

1.
wenn der Beklagte im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen Wohn­sitz oder, falls der Beklagte nicht eine natürliche Person ist, seinen Sitz in dem Staate hatte, in welchem die Entscheidung ergangen ist;
2.
wenn der Beklagte, der im Staate, in welchem die Entscheidung ergangen ist, eine geschäftliche Niederlassung oder Zweigniederlassung hat, dort für Ansprüche aus dem Betriebe dieser Niederlassung belangt worden ist;
3.
im Falle einer mit der Hauptklage in rechtlichem Zusammenhange stehenden Widerklage, wenn das Gericht, welches die Entscheidung gefällt hat, im Sinne dieses Abkommens zuständig war, über die Hauptklage zu erkennen;
4.
wenn die Entscheidung den Ersatz von Schäden aus Unfällen betrifft, die sich im Staate, in welchem die Entscheidung ergangen ist, ereignet haben und die durch den Betrieb von Kraftfahrzeugen oder von Fahrrädern mit oder ohne Motor verursacht wurden;
4bis.2 wenn die Entscheidung den Ersatz von Schäden betrifft, die durch fehler­hafte Produkte verursacht worden sind, und im Staate ergangen ist, in dem das schädigende Ereignis eingetreten ist;
5.
wenn die Klage ein dingliches Recht an einem Grundstück betraf, das im Staate gelegen ist, in welchem die Entscheidung gefällt wurde;
6.
in Personenstands‑, Handlungsfähigkeits‑ oder Familienrechtssachen von Angehörigen des Staates, in welchem die Entscheidung ergangen ist;
7.3
wenn die Parteien sich durch eine schriftliche Vereinbarung der Zuständigkeit des Gerichts unterworfen haben, das in der Sache erkannt hat;
8.4
9.
wenn der Beklagte, gleichgültig, ob er im Handelsregister (Öffentlich­keits­register) eingetragen ist oder nicht, zur Hauptsache verhandelt hat, ohne hin­sichtlich der im Sinne dieses Abkommens zu verstehenden Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in welchem die Entscheidung ergangen ist, einen Vor­behalt anzubringen, obschon er vom Richter über die Möglichkeit eines sol­chen Vorbehaltes belehrt wurde.

Ungeachtet der Bestimmungen von Absatz 1 Ziffer 1, 2, 3, 7 und 9 dieses Artikels ist die Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in welchem die Entscheidung gefällt wurde, im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Ziffer 2 nicht begründet, wenn nach dem Rechte des Staates, in welchem die Entscheidung geltend gemacht wird, für das den Streitgegenstand betreffende Sachgebiet ein Gericht dieses oder eines anderen Staates ausschliesslich zuständig ist.5

2 Eingefügt durch Art. 1 des Abk. vom 2. Nov. 1994, von der BVers genehmigt am 12. Dez. 1994 und in Kraft getreten am 25. Juni 1995 (AS 1995 3823 3813 Art. 1 Abs. 1 Bst. d; BBl 1994 V 661).

3 Fassung gemäss Notenaustausch vom 28. Aug. 2014, in Kraft seit 28. Aug. 2014 (AS 2014 2943).

4 Aufgehoben durch Notenaustausch vom 28. Aug. 2014, mit Wirkung seit 28. Aug. 2014 (AS 2014 2943).

5 Fassung gemäss Notenaustausch vom 28. Aug. 2014, in Kraft seit 28. Aug. 2014 (AS 2014 2943).

Art. 3

Die von den Gerichten des einen der beiden Staaten gefällten Entscheidungen, deren Anerkennung im andern Staat verlangt wird, dürfen nur daraufhin geprüft werden, ob die in Artikel 1 dieses Abkommens vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Eine sachliche Nachprüfung dieser Entscheidungen darf in keinem Falle stattfinden.

Art. 4

Die von den Gerichten des einen der beiden Staaten gefällten Entscheidungen, welche die in Artikel 1 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen, können im andern Staate zur Zwangsvollstreckung gelangen, wenn sie im Staate, in dem sie gefällt wurden, vollstreckbar sind.

Die Zuständigkeit und das Verfahren für die Zwangsvollstreckung bestimmen sich nach dem Rechte des Staates, in welchem die Vollstreckung beantragt wird.

Art. 5

Die Partei, welche die Anerkennung einer Entscheidung verlangt oder deren Voll­streckung beantragt, hat beizubringen:

1.
die Entscheidung in der Urschrift oder in einer beweiskräftigen Ausferti­gung;
2.
eine Bescheinigung über die Rechtskraft und gegebenenfalls über die Voll­streckbarkeit der Entscheidung; die Bescheinigung ist vom Gericht, welches die Entscheidung gefällt hat, oder vom Gerichtsschreiber auszustellen;
3.
im Falle eines Versäumnisurteils eine Abschrift der den Prozess einleitenden Verfügung oder Ladung und eine Bescheinigung über die Art und Zeit ihrer Zustellung an die nicht erschienene Partei;
4.
wenn die Entscheidung den ihr zugrunde liegenden Sachverhalt nicht so weit erkennen lässt, dass die Prüfung im Sinne des Artikels 1 möglich ist, eine als richtig bescheinigte Abschrift der Klage oder andere geeignete Urkunden;
5.
gegebenenfalls eine Übersetzung der in Ziffern 1 bis 4 bezeichneten Urkun­den in die Amtssprache der Behörde, bei welcher die Anerkennung der Ent­schei­dung verlangt oder die Vollstreckung beantragt wird. Die Übersetzung muss nach dem Recht eines der beiden Staaten als richtig bescheinigt sein.

Die gemäss diesem Artikel beizubringenden Urkunden bedürfen keiner Beglaubi­gung.

Art. 6

Die Prüfung des Vollstreckungsantrages hat sich auf die in Artikel 1 dieses Ab­kommens vorgesehenen Voraussetzungen und auf die gemäss Artikel 5 beizubrin­genden Urkunden zu beschränken. Eine sachliche Nachprüfung der Entscheidung darf in keinem Falle stattfinden.

Art. 7

Die in einem der beiden Staaten gefällten Schiedssprüche werden im andern Staat anerkannt und vollstreckt, wenn sie den Vorschriften der vorstehenden Artikel, soweit diese Anwendung finden können, genügen. Insbesondere ist Artikel 2 Absatz 1 Ziffer 7 auf den Schiedsvertrag (Schiedsabrede oder Schiedsklausel), unter Vorbehalt der in Absatz 2 vorgesehenen ausschliesslichen Gerichtszuständigkeit, entsprechend anwendbar.6

Dies gilt auch für gerichtliche oder vor Schiedsgerichten abgeschlossene Vergleiche.

Die Bescheinigung über die Rechtskraft und über die Vollstreckbarkeit des Schieds­spruches oder des vor einem Schiedsgericht abgeschlossenen Vergleiches wird in der Schweiz durch die zuständige Behörde des Kantons, in welchem der Schieds­spruch gefällt oder der Vergleich geschlossen wurde, im Fürstentum Liechtenstein durch das Landgericht in Vaduz ausgestellt.

6 Fassung gemäss Notenaustausch vom 28. Aug. 2014, in Kraft seit 28. Aug. 2014 (AS 2014 2943).

Art. 8

In einem der beiden Staaten vor Gericht oder einer zur Anordnung und Beaufsichti­gung einer Vormundschaft berufenen Verwaltungsbehörde abgeschlossene Unter­haltsvergleiche werden, ungeachtet der Staatsangehörigkeit der Parteien, im andern Staat vollstreckt, wenn sie den Vorschriften der vorstehenden Artikel, soweit diese Anwendung finden können, genügen.

Art. 9

Ist ein Verfahren vor einem Gericht eines der beiden Staaten anhängig und wird die Entscheidung über den Gegenstand dieses Verfahrens im andern Staate voraussicht­lich anzuerkennen sein, so hat ein später befasstes Gericht dieses andern Staates die Durchführung eines Verfahrens über denselben Gegenstand und zwischen denselben Parteien abzulehnen.

Die in der Gesetzgebung der Schweiz und Liechtensteins vorgesehenen vorläufigen oder sichernden Massnahmen können bei den Behörden eines jeden der beiden Staaten nachgesucht werden, gleichgültig, welches Gericht sich mit der Hauptsache befasst.

Art. 10

Die Bestimmungen zwischenstaatlicher Übereinkommen, an denen beide Staaten beteiligt sind, werden durch dieses Abkommen nicht berührt.

Art. 11

Die Bestimmungen dieses Abkommens sind unter Vorbehalt von Artikel 2, Absatz 1, Ziffer 6 ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien anzu­wenden.

Art. 12

Dieses Abkommen ist auf gerichtliche Entscheidungen, Schiedssprüche und Ver­gleiche anzuwenden, die nach seinem Inkrafttreten gefällt oder geschlossen werden.

Art. 13

Das Eidgenössische Justiz‑ und Polizeidepartement und die Regierung des Fürsten­tums Liechtenstein werden einander unmittelbar über Fragen, zu denen die Anwen­dung dieses Abkommens Anlass geben sollte, auf Ersuchen Rechtsauskunft erteilen. Die Entscheidungsfreiheit der Gerichte bleibt unberührt.

Art. 14

Alle die Auslegung oder die Anwendung dieses Abkommens betreffenden Mei­nungsverschiedenheiten, die im Wege diplomatischer Verhandlungen nicht inner­halb von sechs Monaten zu bereinigen sein sollten, sind auf Verlangen eines der beiden Staaten einer Kommission zu unterbreiten, die beauftragt ist, eine Lösung des Streitfalles zu suchen, und die sich aus je einem Vertreter der beiden Regierungen zusammensetzt.

Hat einer der beiden Staaten seinen Vertreter nicht bezeichnet und ist er der Ein­ladung seitens des andern Staates, innerhalb von zwei Monaten diese Bezeichnung vorzunehmen, nicht nachgekommen, so wird der Vertreter auf Begehren dieses letzteren Staates vom Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes ernannt.

Für den Fall, dass diese beiden Vertreter nicht innerhalb dreier Monate, nachdem ihnen die Meinungsverschiedenheit unterbreitet wurde, zu einer Regelung kommen können, haben sie im gemeinsamen Einvernehmen ein unter den Angehörigen eines dritten Staates auszuwählendes Mitglied zu bezeichnen. Mangels Einigung über die Auswahl dieses Mitgliedes innerhalb einer Frist von zwei Monaten kann der eine oder der andere der beiden Staaten den Präsidenten des Internationalen Gerichts­hofes ersuchen, die Ernennung des dritten Mitgliedes der Kommission vorzuneh­men; diese hat sodann die Aufgaben eines Schiedsgerichtes zu versehen.

Sofern die beiden Staaten es nicht anders bestimmen, setzt das Schiedsgericht sein Verfahren selbst fest. Das Schiedsgericht entscheidet mit Stimmenmehrheit seiner Mitglieder; seine Entscheidung ist endgültig und bindend.

Jeder der beiden Staaten übernimmt die durch die Tätigkeit des von ihm ernannten Schiedsrichters verursachten Kosten. Die Kosten des Präsidenten werden durch beide Staaten zu gleichen Teilen getragen.

Art. 15

Dieses Abkommen soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen in Bern aus­getauscht werden.

Das Abkommen tritt zwei Monate nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.

Das Abkommen kann von jedem der beiden Staaten jederzeit gekündigt werden; es bleibt jedoch nach erfolgter Kündigung noch ein Jahr in Kraft.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen in doppelter Ausfertigung unterzeichnet und mit ihrem Siegel versehen.

So geschehen in Vaduz, am 25. April 1968.

Für die
Schweizerische Eidgenossenschaft:

Für das
Fürstentum Liechtenstein:

Thalmann

Batliner