0.276.191.721

AS 1962 894; BBl 1959 II 309

Übersetzung1

Abkommen
zwischen der Schweiz und Belgien
über die Anerkennung und Vollstreckung
von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen2

Abgeschlossen am 29. April 1959
Von der Bundesversammlung genehmigt am 21. Dezember 19593
Ratifikationsurkunden ausgetauscht am 14. August 1962
In Kraft getreten am 15. Oktober 1962

(Stand am 1. Januar 2011)

1 Der Originaltext findet sich unter der gleichen Nummer in der französischen Ausgabe dieser Sammlung.

2 Das Übereink. vom 30. Okt. 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.12) ersetzt im Rahmen seines Anwendungsbereichs dieses Abk. Vgl. Art. 65 und 66 sowie Anhang VII LugÜ.

3 AS 1962 893

Der Schweizerische Bundesrat
und
Seine Majestät der König der Belgier,

von dem Wunsche geleitet, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen zu regeln, haben beschlossen, hierüber ein Abkommen zu schliessen, und haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt:

(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten)

die nach Mitteilung ihrer Vollmachten, die in guter und gehöriger Form befunden worden sind, folgende Bestimmungen vereinbart haben:

Art. 1

1 Die in einem der beiden Staaten gefällten gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen werden im andern Staat, selbst wenn sie durch ein Strafgericht gefällt wurden, anerkannt, falls sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

a)
die Anerkennung der Entscheidung muss mit der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem die Entscheidung angerufen wird, vereinbar sein;
b)
Die Entscheidung muss von einem nach den Bestimmungen des Artikels 2 zuständigen Gerichte gefüllt sein;
c)
die Entscheidung darf nach dem Rechte des Staates, in dem sie ergangen ist, durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar sein;
d)
im Falle eines Versäumnisurteils muss die den Prozess einleitende Verfügung oder Ladung dem Beklagten gemäss dem Rechte des Staates, wo die Entscheidung ergangen ist, und den allenfalls zwischen den beiden Ländern bestehenden Abkommen zugestellt worden sein und ihn rechtzeitig erreicht haben.

2 Entscheidungen, die einen Arrest oder eine andere vorläufige oder sichernde Massnahme anordnen sowie Entscheidungen in Konkurs‑ oder Nachlassvertragssachen können auf Grund dieses Abkommens nicht anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden.

3 Entscheidungen von in der Schweiz zur Anordnung und Beaufsichtigung der Vormundschaft berufenen Verwaltungsbehörden werden hinsichtlich dieses Abkom­mens den gerichtlichen Entscheidungen gleichgestellt.

Art. 2

1 Die Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung gefällt wurde, ist im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Bst. b in den folgenden Fällen begründet:

a)
wenn der Beklagte im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz in dem Staate hatte, wo die Entscheidung ergangen ist, oder wenn er, mangels eines Wohnsitzes in einem der beiden Staaten, seinen gewöhn­lichen Aufenthalt in dem Staate hatte, wo die Entscheidung ergangen ist;
b)
wenn der Beklagte sich durch eine Vereinbarung der Zuständigkeit des Gerichts unterworfen hat, das in der Sache erkannt hat, wobei eine solche Vereinbarung mindestens eine von der einen Partei schriftlich abgegebene, von der Gegenpartei angenommene Erklärung oder, im Falle einer münd­lichen Vereinbarung, eine schriftliche, nicht angefochtene Bestätigung voraussetzt;
c)
wenn der Beklagte zur Hauptsache verhandelt hat, ohne hinsichtlich der im Sinne dieses Abkommens zu verstehenden Zuständigkeit der Gerichte des Staates, wo die Entscheidung ergangen ist, einen Vorbehalt anzubringen.
d)
im Falle einer mit der Hauptklage in rechtlichem Zusammenhange stehenden Widerklage, wenn das Gericht, welches die Entscheidung gefällt hat, im Sinne dieses Abkommens zuständig war, über die Hauptklage zu erkennen;
e)
wenn der Beklagte, der im Staate, wo die Entscheidung ergangen ist, eine geschäftliche Niederlassung, Zweigniederlassung oder Agentur hat, dort für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb belangt wurde;
f)
wenn die Entscheidung den Ersatz von Schäden aus Unfällen betrifft, die sich im Staate, wo die Entscheidung ergangen ist, ereignet haben und die durch den Gebrauch von Strassenfahrzeugen verursacht wurden;
g)
wenn die Entscheidung von einem Gerichte gefällt wurde, dessen Zuständigkeit durch ein zwischenstaatliches Abkommen vorgesehen ist, das selbst keine Bestimmungen über die Anerkennung und Vollstreckung enthält;
h)
wenn die Klage ein dingliches Recht an einem Grundstück betraf, das im Staate gelegen ist, wo die Entscheidung gefällt wurde;
i)
in Personenstands‑, Handlungsfähigkeits‑ oder Familienrechtssachen von Angehörigen des Staates, wo die Entscheidung gefällt wurde;
j)
in Erbschaftsstreitigkeiten zwischen den Erben einer Person, die ihren letzten Wohnsitz in dem Staate hatte, wo die Entscheidung ergangen ist, gleichgültig, ob zu dem Nachlass bewegliche oder unbewegliche Sachen gehören.

2 Ungeachtet der Bestimmungen von Absatz 1 Bst. a, b, c, d und e dieses Artikels ist die Zuständigkeit der Gerichte des Staates, in welchem die Entscheidung gefällt wurde, im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Bst. b nicht begründet, wenn nach dem Rechte des Staates, in welchem die Entscheidung geltend gemacht wird, eine andere Gerichtsbarkeit ausschliesslich zuständig ist.

Art. 3

Die von den Gerichten des einen der beiden Staaten gefällten Entscheidungen, deren Anerkennung im andern Staat verlangt wird, dürfen nur daraufhin geprüft werden, ob die in Artikel 1 dieses Abkommens vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Eine sachliche Nachprüfung dieser Entscheidungen darf in keinem Falle stattfinden.

Art. 4

Die von den Gerichten des einen der beiden Staaten gefällten Entscheidungen, welche die in Artikel 1 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen. können im andern Staate, nachdem sie für vollstreckbar erklärt wurden, zur Zwangsvollstreckung gelangen.

Art. 5

1 In der Schweiz bestimmen sich die Zuständigkeit und das Verfahren für die Zwangsvollstreckung, wenn diese auf eine Geldzahlung oder Sicherheitsleistung gerichtet ist, nach der Bundesgesetzgebung über Schuldbetreibung und Konkurs und in den übrigen Fällen nach dem Prozessrechte des Kantons, wo die Vollstreckung stattfinden soll.

2 In Belgien ist das Exequaturbegehren beim Gericht erster Instanz des Ortes, wo die Vollstreckung stattfinden soll, zu stellen.

3 Das Exequaturverfahren soll möglichst einfach, rasch und billig sein.

Art. 6

1 Die Partei, welche das Exequatur nachsucht, hat beizubringen:

a)
das Original oder eine beweiskräftige Ausfertigung der Entscheidung;
b)
eine Urkunde oder Bescheinigung darüber, dass die Entscheidung nach dem Rechte des Staates, in dem sie ergangen ist, durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar und dass sie vollstreckbar ist;
c)
eine Urkunde oder Bescheinigung darüber, dass die Entscheidung der Partei, gegen welche die Vollstreckung verlangt wird, gemäss dem Rechte des Staates, wo sie ergangen ist, und den allenfalls zwischen den beiden Ländern bestehenden Abkommen eröffnet wurde;
d)
im Falle eines Versäumnisurteils das Original oder eine als richtig bescheinigte Abschrift der Urkunden, aus denen hervorgeht, dass die säumige Partei gemäss den Erfordernissen von Artikel 1 Absatz 1 Bst. d geladen wurde.

2 Auf Verlangen der Behörde, bei der das Exequatur nachgesucht wird, ist überdies eine Übersetzung der in Absatz 1 dieses Artikels bezeichneten Urkunden beizubringen. Diese Übersetzung muss von einem diplomatischen oder konsularischen Vertreter eines der beiden Staaten oder von einem vereidigten Übersetzer eines der beiden Staaten als richtig bescheinigt sein.

3 Die gemäss diesem Artikel beizubringenden Urkunden bedürfen keiner Beglaubigung.

Art. 7

Die Prüfung des Exequaturbegehrens hat sich auf die in Artikel 1 dieses Abkommens vorgesehenen Voraussetzungen und auf die gemäss Artikel 6 beizubringenden Urkunden zu beschränken. Eine sachliche Nachprüfung der Entscheidung darf in keinem Falle stattfinden.

Art. 8

1 In Belgien ist gegen das Urteil über das Exequaturbegehren der Einspruch nicht zulässig, wohl aber kann das Urteil, falls es im kontradiktorischen Verfahren erlassen wurde, innerhalb von dreissig Tagen nach seiner Eröffnung und, falls es im Versäumnisverfahren erlassen wurde, innerhalb von dreissig Tagen nach seiner Zustellung mit der Berufung angefochten werden.

2 In der Schweiz kann der Entscheid über das Exequaturbegehren innerhalb von dreissig Tagen nach seiner Eröffnung mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht angefochten werden.

Art. 9

1 Die in einem der beiden Staaten gefällten Schiedssprüche werden im andern Staat anerkannt und als vollstreckbar erklärt, wenn sie die in Artikel 1 Absatz 1 Bst. a, c und d vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen und wenn ihre beigebrachte Ausfertigung als echt erscheint.

2 Das Exequatur ist zu versagen, wenn der Schiedsspruch seine Vollstreckung an Bedingungen geknüpft hat, die im Zeitpunkt, in dem das Exequatur nachgesucht wird, nicht erfüllt sind.

3 Der Entscheid über das Exequaturbegehren ist mit den Rechtsmitteln anfechtbar, welche das Recht des Staates, wo er ergangen ist, vorsieht.

Art. 10

1 Auf Antrag einer Prozesspartei haben sich die Gerichte eines jeden der beiden Staaten der Entscheidung in einer Streitsache zu enthalten, wenn wegen des gleichen Anspruchs und zwischen denselben Parteien bereits ein Verfahren vor einem Gericht des andern Staates hängig ist, vorausgesetzt, dass dieses Gericht im Sinne dieses Abkommens zuständig ist und eine Entscheidung fällen könnte, die im andern Staat anerkannt werden müsste.

2 Die in der Gesetzgebung Belgiens und der Schweiz vorgesehenen vorläufigen oder sichernden Massnahmen können in dringlichen Fällen bei den Behörden eines jeden der beiden Staaten nachgesucht werden, gleichgültig, welches Gericht sich mit der Hauptsache befasst.

Art. 11

Dieses Abkommen ist auf die vor seinem Inkrafttreten gefällten gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüche nicht anwendbar.

Art. 12

1 Dieses Abkommen ist ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien anzuwenden.

2 Es schliesst die Anwendung anderer Abkommen oder Vereinbarungen, denen beide Staaten angehören oder angehören werden und welche die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen regeln oder regeln werden, nicht aus.

Art. 13

Die Hohen vertragschliessenden Parteien behalten sich vor, im gemeinsamen Einverständnis durch Notenaustausch die Anwendbarkeit dieses Abkommens auf Belgisch‑Kongo und das Gebiet von Ruanda‑Urundi auszudehnen.

Art. 14

1 Dieses Abkommen soll ratifiziert werden.

2 Die Ratifikationsurkunden sollen sobald als möglich in Brüssel ausgetauscht werden.

3 Das Abkommen tritt zwei Monate nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.

4 Es kann von jeder der Hohen vertragschliessenden Parteien gekündigt werden; es tritt ein Jahr nach der Kündigung ausser Kraft.

Unterschriften

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten der beiden Hohen vertragschliessenden Parteien dieses Abkommen unterzeichnet und mit ihrem Siegel versehen.

So geschehen, in doppelter Ausfertigung, in Bern am neunundzwanzigsten April eintausendneunhundertneunundfünfzig.

Für die
Schweizerische Eidgenossenschaft:

Für das
Königreich Belgien:

Max Petitpierre

F. Seynaeve