821.42

Bundesgesetz
über die eidgenössische Einigungsstelle zur
Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten

vom 12. Februar 1949 (Stand am 1. Januar 2013)

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft,

gestützt auf Artikel 34ter Absatz 1 Buchstabe b der Bundesverfassung1,
nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 25. Juni 19482,

beschliesst:

1 [BS 1 3]. Siehe heute: BV vom 18. April 1999 (SR 101).

2 BBl 1948 II 796

I. Einsetzung und Organisation

Art. 1

1 Zur Vermittlung in Kollektivstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeit­neh­mern über das Arbeitsverhältnis, die über die Grenzen eines Kantons hinausrei­chen, kann der Bundesrat das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF)3 ermächtigen, von Fall zu Fall eine eidgenössi­sche Eini­gungs­stelle (im folgenden Einigungsstelle genannt) einzusetzen.

2 Bei Streitigkeiten, die zwar über die Grenzen eines Kantons hinausreichen, aber nur von regionaler Bedeutung sind, kann das WBF nach Anhörung der beteiligten Kantone ein kantonales Einigungsamt mit der Vermittlung betrauen.

3 Die Einsetzung der Einigungsstelle erfolgt nur auf Ersuchen Beteiligter, sofern alle Verständigungsversuche der Parteien durch direkte Verhandlungen nicht zum Ziel ge­führt haben und nur wenn keine vertragliche paritätische Einigungs- oder Schieds­stelle besteht.

4 Als vertragliche paritätische Einigungs- oder Schiedsstellen im Sinne dieses Gesetzes gelten solche, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit gleichen Rechten und Pflichten in gleicher Zahl vertreten sind und die unter neutraler Leitung ste­hen.

3 Ausdruck gemäss Ziff. I 17 der V vom 15. Juni 2012 (Neugliederung der Departemente), in Kraft seit 1. Jan. 2013 (AS 2012 3655). Diese Änd. wurde im ganzen Text berücksichtigt.

Art. 2

1 Die Einigungsstelle wird vom WBF von Fall zu Fall aus einem Obmann und zwei Beisitzern zusammengesetzt.

2 Das WBF bezeichnet die Mitglieder der Einigungsstelle im einzelnen Fall wie folgt:

a.
den Obmann, ausgewählt aus fünf hiezu vom Bundesrat ernannten Personen;
b.
je einen Beisitzer, ausgewählt aus je sechs vom Bundesrat auf Vorschlag der Spitzenverbände der Arbeitgeber und der Spitzenverbände der Arbeitnehmer er­nannten Personen.

3 Der Bundesrat entscheidet über Einsprachen wegen Befangenheit dieser Personen.

4 Die Wahl der Mitglieder erfolgt für die jeweilige Amtsdauer des Nationalrates.

II. Einigungsverfahren

Art. 3

1 Die von der Einigungsstelle Vorgeladenen sind verpflichtet, zu erscheinen, zu ver­handeln, Auskunft zu erteilen und die von der Einigungsstelle verlangten Un­terla­gen vorzulegen. Bei Widerhandlung gegen diese Bestimmung kann die Eini­gungs­stelle Ordnungsbussen bis zu 500 Franken ausfällen.

2 Auf begründetes Gesuch einer der Parteien kann die Akteneinsichtnahme auf den Obmann beschränkt werden, der den Beisitzern die nötigen Aufschlüsse erteilt.

3 Die Einigungsstelle kann von sich aus oder auf Antrag der Parteien je eine von die­sen zu bezeichnende sachkundige Person zur Auskunfterteilung beiziehen. Sie kann ferner in jedem Stadium des Verfahrens Zeugen anhören und Gutachten Sachver­ständiger einholen. Die einschlägigen Bestimmungen des Bundeszivilpro­zesses4 fin­den sinngemäss Anwen­dung.

Art. 4

1 Die Einigungsstelle sucht zunächst eine direkte Verständigung unter den Parteien zu erzielen. Gelingt ihr dies nicht, so stellt sie einen Vermittlungsvorschlag auf der den Parteien zur Abgabe einer Erklärung über Annahme oder Ablehnung eröffnet wird. Nur teilweise Annahme gilt als Ablehnung.

2 Die Parteien haben ihre Anträge schriftlich zu stellen; im Übrigen ist das Verfah­ren mündlich. Es soll zudem rasch und kostenlos sein. Immerhin kann die Eini­gungs­stelle die Verfahrenskosten ganz oder teilweise derjenigen Partei auferlegen, die mutwillig das Verfahren veranlasst oder erschwert hat. Bussen- und Kostenent­scheide sind hinsichtlich ihrer Vollstreckbarkeit gerichtlichen Urteilen gleichge­stellt.

3 Scheitert die Vermittlung und erklären sich die Parteien nicht zur Durchführung eines Schiedsverfahrens bereit, so unterrichtet die Einigungsstelle in der Regel die Öffentlichkeit über den Sachverhalt in der ihr geeignet erscheinenden Weise.

III. Schiedsverfahren

Art. 5

1 Im Einverständnis beider Parteien fällt die Einigungsstelle im Rahmen ihrer Zustän­digkeit gemäss Artikel 1 sowie in denjenigen Fällen, in denen eine vertrag­liche Eini­gungsstelle, jedoch keine vertragliche Schiedsstelle besteht, einen ver­bindlichen Schiedsspruch. Das Schiedsverfahren ist sowohl nach erfolgloser Durch­führung des Einigungsverfahrens vor der eidgenössischen Einigungsstelle als auch an dessen Stelle zulässig.

2 Nach erfolgloser Durchführung des Einigungsverfahrens vor der Einigungsstelle kann das WBF auf Ersuchen beider Parteien auch eine besondere Schieds­stelle mit der Durchführung des Schiedsverfahrens beauftragen.

3 Die Schiedsstelle entscheidet endgültig. Ihre Entscheide sind hinsichtlich der Voll­streckbarkeit gerichtlichen Urteilen gleichgestellt.

4 Im Übrigen finden für das Schiedsverfahren ausser den Bestimmungen dieses Bun­desgesetzes über das Einigungsverfahren (Art. 3 und 4) diejenigen des Bundeszivil­prozesses5 sinngemäss Anwendung.

IV. Friedenspflicht

Art. 6

1 Während der Dauer des Einigungs- oder Schiedsverfahrens besteht für die betei­lig­ten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und deren Verbände die Pflicht, den Arbeits­frie­den zu wahren und sich jeder Kampfmassnahme zu enthalten. Diese Friedens­pflicht be­ginnt vom Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einsetzung der Einigungs- oder Schieds­­stelle an die Parteien und dauert 45 Tage. Durch einstimmigen Be­schluss der Eini­gungs- oder Schiedsstelle kann die Frist verlängert werden.

2 Zur Sicherung des Arbeitsfriedens kann die Einigungs- oder Schiedsstelle die Partei­en anhalten, für die Dauer des Einigungs- oder Schiedsverfahrens eine be­son­dere Vereinbarung über die Folgen der Verletzung der Friedenspflicht zu tref­fen.

3 Verletzungen der Friedenspflicht werden von der Einigungs- oder Schiedsstelle festgestellt und können, wenn die fehlbare Partei von ihrem Verhalten nicht ab­steht, in geeignet erscheinender Weise der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden.

4 Die in Vereinbarungen vorgesehenen Sanktionen bei Verletzung der Friedens­pflicht bleiben vorbehalten.

V. Schlussbestimmung

Art. 7

1 Artikel 32 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 19146 betreffend die Arbeit in den Fabriken wird aufgehoben.

2 Der Bundesrat erlässt die erforderlichen Vollzugsbestimmungen und setzt den Zeit­punkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes fest.

Datum des Inkrafttretens: 1. Oktober 19497

6 SR 821.41

7 BRB vom 2. Sept. 1949